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kapitel 1 - adamas.ai

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Meine Anwältin hob an zu sprechen, doch der Richter bedeutete ihr mit einem Blick zu schweigen. Er rieb sich<br />

wieder die Augen.<br />

„Haben Sie etwas dazu zu sagen?“<br />

„Ich hatte Gelegenheit zu fliehen“, sagte ich. „Letzte Woche. Jemand hatte mir angeboten, mich fortzubringen,<br />

weg aus der Stadt, und mir eine neue Identität aufzubauen. Stattdessen habe ich dieser Frau das Telefon gestohlen,<br />

bin aus unserem Lastwagen abgehauen und fortgerannt. Ich habe ihr Telefon – auf dem sich Beweise über meinen<br />

Freund Darryl Glover befanden – einer Journalistin übergeben und mich dann hier, in der Stadt, versteckt.“<br />

„Sie haben ein Telefon gestohlen?“<br />

„Ich war zu der Erkenntnis gelangt, dass ich nicht weglaufen durfte. Dass ich mich der Justiz zu stellen hatte – dass<br />

meine Freiheit nichts wert war, solange ich gesucht wurde oder solange meine Stadt noch dem DHS unterworfen<br />

war. Solange meine Freunde immer noch eingesperrt waren. Und dass meine Freiheit nicht so wichtig war wie die<br />

Freiheit des Landes.“<br />

„Aber Sie haben ein Telefon gestohlen.“<br />

Ich nickte. „Ja, das habe ich. Ich beabsichtige es zurückzugeben, sobald ich die fragliche junge Frau finde.“<br />

„Nun, ich danke Ihnen für diese Rede, Mr. Yallow. Sie sind ein sehr eloquenter junger Mann.“ Er fixierte den<br />

Staatsanwalt. „Mancher würde sagen, auch ein sehr mutiger Mann. Heute früh lief in den Nachrichten ein gewisses<br />

Video, das die Annahme rechtfertigt, dass Sie gute Gründe hatten, den Strafverfolgungsbehörden aus dem Weg<br />

zu gehen. Vor diesem Hintergrund und eingedenk Ihrer kleinen Rede hier werde ich Kaution gewähren, aber ich<br />

werde veranlassen, dass die Anklage gegen Sie um den Punkt minderschweren Diebstahls im Hinblick auf das Telefon<br />

ergänzt wird. Diesbezüglich setze ich zusätzlich 50.000 Dollar Kaution fest.“<br />

Er pochte wieder mit dem Hammer, und meine Anwältin drückte mir die Hand.<br />

Er schaute wieder herunter zu mir und rückte seine Brille zurecht. Er hatte Schuppen auf den Schultern seiner<br />

Robe. Als die Brille sein drahtiges, lockiges Haar berührte, rieselten noch einige mehr herab.<br />

„Sie können jetzt gehen, junger Mann. Halten Sie sich von Ärger fern.“<br />

x<br />

Ich wandte mich zum Gehen, als mich jemand tackelte. Es war Dad. Er riss mich wortwörtlich von den Füßen und<br />

umarmte mich so stürmisch, dass meine Rippen knirschten. Er drückte mich genau so, wie ich das von früher in<br />

Erinnerung hatte, als ich ein kleiner Junge war: als er mich in großartigen, schwindelerregenden Flugzeugspielen<br />

um sich herumschleuderte, mich in die Luft warf, auffing und dann eben drückte, so fest, dass es beinahe wehtat.<br />

Ein Paar weicherer Hände entzog mich sanft seinen Armen. Mom. Sie hielt mich einen Moment lang auf Armlänge,<br />

suchte irgendetwas in meinem Gesicht und sprach kein Wort, während ihr die Tränen übers Gesicht rannen. Sie<br />

lächelte, aus dem Lächeln wurde wieder ein Schluchzen, und dann hielt sie mich fest, während Dads Arm uns<br />

beide umfasste.<br />

Als sie mich losließen, gelang es mir endlich, etwas zu sagen. „Darryl?“<br />

„Sein Vater hat mich anderswo getroffen. Er ist im Krankenhaus.“<br />

„Wann kann ich ihn sehen?“<br />

„Das ist unsere nächste Station“, sagte Dad mit finsterer Miene. „Er ist nicht …“ Er brach ab. Dann: „Sie sagen, er<br />

wird sich berappeln.“ Seine Stimme klang erstickt.<br />

„Und was ist mit Ange?“<br />

„Ihre Mutter hat sie nach Hause gebracht. Sie wollte hier auf dich warten, aber …“<br />

Ich verstand. Ich war jetzt voller Verständnis für all die Familien all der Leute, die sie weggesperrt hatten. Überall<br />

im Gerichtssaal wurde geweint und umarmt, nicht einmal die Gerichtsdiener konnten sich mehr zurückhalten.<br />

„Lasst uns zu Darryl gehen“, sagte ich. „Und darf ich euer Handy leihen?“<br />

Ich rief Ange auf dem Weg zum Krankenhaus an, in das sie Darryl gebracht hatten – San Francisco General, von<br />

uns aus bloß die Straße runter –, um mich mit ihr für nach dem Essen zu verabreden. Sie sprach in gehetztem Flüsterton.<br />

Ihre Mutter war noch unschlüssig, ob sie sie nun bestrafen sollte oder nicht, und Ange wollte das Schicksal<br />

nicht herausfordern.<br />

x Cory Doctorow: Little Brother

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