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Eines Dienstagmorgens, eine Woche nach Beginn der Operation Falsch-Positiv, kam ich pfeifend aus der Haustür.<br />
Ich hörte neue Musik, die ich in der Nacht zuvor aus dem Xnet geladen hatte – eine Menge Leute schickten M1k3y<br />
kleine digitale Geschenke, um sich dafür zu bedanken, dass er ihnen wieder Hoffnung gab.<br />
Ich bog auf die 23. Straße ein und nahm vorsichtig die paar schmalen Steinstufen in der Flanke des Hügels. Auf<br />
dem Weg runter kam ich an Herrn Dackel vorbei. Herrn Dackels richtigen Namen kenne ich nicht, aber ich sehe<br />
ihn fast täglich, wenn er seine drei schnaufenden Dackel die Treppe hoch zu dem kleinen Park führt. Es ist praktisch<br />
unmöglich, sich auf der Treppe an dieser Meute vorbeizuquetschen, und so verheddere ich mich regelmäßig<br />
in einer Leine, werde in einen Vorgarten abgedrängt oder bleibe an der Stoßstange eines der am Straßenrand parkenden<br />
Autos hängen.<br />
Herr Dackel ist offensichtlich sehr wichtig, denn er hat eine schicke Uhr und trägt immer einen eleganten Anzug.<br />
Ich ging davon aus, dass er im Finanzdistrikt arbeitete.<br />
Als ich heute an ihm entlangschubberte, löste ich meinen RFID-Kloner aus, der in der Tasche meiner Lederjacke<br />
bereit lag. Der Kloner saugte sich die Nummern seiner Kreditkarten, der Autoschlüssel, seines Passes und die der<br />
Hundert-Dollar-Noten in seiner Brieftasche.<br />
Während das noch geschah, flashte ich ein paar davon mit neuen Nummern, die ich im Gedränge von anderen<br />
Leuten gesaugt hatte. Das war so, wie ein paar Nummernschilder auszutauschen, aber unsichtbar und in Echtzeit.<br />
Ich lächelte Herrn Dackel entschuldigend an und ging weiter die Treppe runter. Neben drei Autos blieb ich lange<br />
genug stehen, um ihre FasTrak-Nummern gegen die Nummern von Wagen zu tauschen, an denen ich am Tag<br />
zuvor vorbeigekommen war.<br />
Man mag das für ziemlich rüpelig halten, aber im Vergleich mit vielen Xnettern war ich noch zurückhaltend und<br />
konservativ. Ein paar Mädels im Verfahrenstechnik-Programm an der UC Berkeley hatten ausgetüftelt, wie man aus<br />
Küchenartikeln eine harmlose Substanz erzeugt, die Sprengstoff-Sensoren anschlagen ließ. Sie hatten ihren Spaß<br />
dabei, das Zeug auf die Aktentaschen und Jacken ihrer Profs zu streuen, um sich dann zu verstecken und zu beobachten,<br />
wie diese Profs versuchten, Auditorien und Bibliotheken auf dem Campus zu betreten, nur um von den<br />
mittlerweile allgegenwärtigen Sicherheitsdiensten in die Mangel genommen zu werden.<br />
Andere wollten ausprobieren, wie man Umschläge so mit Substanzen pudern könnte, dass sie positiv auf Anthrax<br />
getestet würden, aber alle anderen hielten das für bescheuert. Zum Glück hatten sies wohl auch nicht hingekriegt.<br />
Ich kam am San Francisco General Hospital vorbei und nickte zufrieden, als ich die langen Schlangen am Haupteingang<br />
sah. Natürlich hatten sie dort auch einen Polizeiposten, und es arbeiteten da genügend Xnetter als Praktikanten,<br />
in der Caféteria und sonstwo, dass sie mittlerweile die Marken von allen Mitarbeitern wild durchgemischt<br />
hatten. Ich hatte gelesen, dass die Sicherheits-Checks für jeden die Arbeitszeit um eine Stunde pro Tag verlängerten,<br />
und die Gewerkschaften drohten mit Streik für den Fall, dass das Hospital nichts dagegen unternahm.<br />
Ein paar Blöcke weiter sah ich eine noch längere Schlange am Zugang zur BART. Polizisten stapften die Schlange<br />
entlang und pickten Leute raus, um sie zu befragen, die Taschen zu durchsuchen und sie komplett zu filzen. Sie<br />
wurden zwar immer öfter deswegen verklagt, aber das schien sie nicht zu bremsen.<br />
Ich war ein bisschen zu früh an der Schule und beschloss, noch mal zur 22. Straße zu gehen, um einen Kaffee zu<br />
trinken, und da kam ich an einem Polizeiposten vorbei, an dem sie Autos anhielten und penibel durchsuchten.<br />
In der Schule wars nicht weniger bizarr – die Sicherheitsleute an den Metalldetektoren prüften auch unsere Schulausweise<br />
und griffen sich Schüler mit ungewöhnlichen Bewegungsprofilen zur Befragung raus. Natürlich hatten<br />
wir alle ungewöhnliche Bewegungsprofile. Und natürlich fing der Unterricht mindestens eine Stunde später an.<br />
Und im Unterricht wars völlig verrückt. Ich glaub nicht, dass sich überhaupt jemand konzentrieren konnte. Ich<br />
hörte, wie zwei Lehrer drüber sprachen, wie lange sie am Tag zuvor für den Heimweg gebraucht hatten und dass<br />
sie heute heimlich früher loskommen wollten.<br />
Ich konnte mich nur mit Mühe beherrschen, um nicht loszuplatzen. Das Paradoxon vom Falsch-Positiven hatte<br />
wieder zugeschlagen!<br />
Klar, dass sie uns früh aus dem Unterricht entließen; ich nahm den langen Weg nach Hause und stromerte durch<br />
Mission, um das Chaos zu begutachten. Endlose Autoschlangen. Anstehen vor BART-Stationen bis einmal um den<br />
Block rum. Leute, die Geldautomaten beschimpften, die kein Geld rausrückten, weil ihre Konten wegen unge-<br />
Cory Doctorow: Little Brother x