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kapitel 1 - adamas.ai

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„Es“ entpuppte sich als Umzugslaster auf einer Nebenstraße in Nob Hill, ein Achtachser in der Größe der allgegenwärtigen<br />

DHS-Trucks, die immer noch, antennenüberladen, an San Franciscos Straßenecken auftauchten.<br />

Dieser hier trug jedoch die Aufschrift „Drei Jungs und ein Laster – Umzüge“, und die drei Jungs waren deutlich zu<br />

sehen, wie sie bei einem großen Appartementhaus mit grünem Vordach ein- und ausgingen. Vorsichtig trugen sie<br />

verpackte Möbel und säuberlich beschriftete Kartons zum Laster, brachten sie einzeln hinein und verstauten sie<br />

sorgfältig.<br />

Masha ließ uns noch einmal um den Block laufen, weil sie offensichtlich mit etwas unzufrieden war; bei der nächsten<br />

Runde stellte sie Blickkontakt zu dem Mann her, der den Laster beaufsichtigte, einem älteren Farbigen mit<br />

Nierengurt und robusten Handschuhen. Er hatte ein freundliches Gesicht und lächelte uns zu, als sie uns schnell,<br />

aber beiläufig die drei Stufen zum Truck hoch und in seine Tiefen hineinführte. „Unter dem großen Tisch“, sagte<br />

er. „Wir haben euch da ein bisschen Platz gelassen.“<br />

Der Truck war schon mehr als zur Hälfte voll, aber es gab einen schmalen Gang rund um einen riesigen Tisch,<br />

über den eine Quiltdecke geworfen war und dessen Beine mit Blisterfolie eingewickelt waren.<br />

Masha zog mich unter den Tisch. Es war schwül, still und staubig da unten, und ich unterdrückte ein Niesen,<br />

als wir uns zwischen den Kartons zusammenkauerten. Der Platz war so knapp, dass wir aufeinander hingen. Ich<br />

glaube nicht, dass Ange da auch noch drunter gepasst hätte.<br />

„Du Miststück“, sagte ich zu Masha.<br />

„Halts Maul. Du solltest mir lieber die Stiefel lecken aus Dankbarkeit. In einer Woche, höchstens zwei, wärst du<br />

im Knast gewesen. Nicht Gitmo-an-der-Bay. Eher Syrien. Ich glaube, da haben sie die hingeschickt, die sie wirklich<br />

verschwinden lassen wollten.“<br />

Ich legte den Kopf auf die Knie und versuchte tief zu atmen.<br />

„Was hat dich überhaupt auf die Schwachsinnsidee gebracht, dem DHS den Krieg zu erklären?“<br />

Ich erzählte es ihr. Ich erzählte ihr von meiner Festnahme, und ich erzählte ihr von Darryl.<br />

Sie befingerte ihre Taschen und zog ein Handy raus. Es war das von Charles. „Falsches Telefon.“ Sie holte ein<br />

anderes raus. Sie schaltete es ein, und der Schein seines Monitors erfüllte unser kleines Fort. Nach ein wenig Rumgetippe<br />

zeigte sie es mir.<br />

Es war das Bild, das sie von uns gemacht hatte, unmittelbar bevor die Bomben hochgingen. Es war das Bild von<br />

Jolu und Van und mir und …<br />

Darryl.<br />

In meiner Hand hielt ich den Beweis, dass Darryl Minuten vor unserer Festnahme bei uns gewesen war. Den<br />

Beweis, dass er lebte, wohlauf und in unserer Begleitung war.<br />

„Du musst mir eine Kopie davon geben“, sagte ich. „Ich brauch das.“<br />

„Wenn wir in L.A. sind“, sagte sie und nahm das Handy wieder an sich. „Wenn du erst mal eine Einführung in die<br />

Kunst hattest, ein Flüchtling zu sein, ohne unsere beiden Ärsche in Syrien verschwinden zu lassen. Ich will nicht,<br />

dass du Rettungsfantasien für diesen Typ entwickelst. Da, wo er ist, ist er sicher – momentan.“<br />

Ich spielte mit dem Gedanken, ihr das Handy mit Gewalt abzunehmen, aber sie hatte mir ja schon ihre physischen<br />

Fähigkeiten bewiesen. Sie musste ein Schwarzgurt sein oder so was.<br />

Wir saßen da im Dunkeln, hörten den drei Jungs zu, wie sie den Laster mit Kartons beluden, alles verrödelten und<br />

dabei ächzten vor Anstrengung. Ich versuchte zu schlafen, aber es ging nicht. Masha hatte das Problem nicht. Sie<br />

schnarchte.<br />

Immer noch schien Licht durch den engen, zugestellten Korridor, der uns mit der frischen Luft draußen verband.<br />

Ich starrte es an durch die Finsternis und dachte an Ange.<br />

Meine Ange. Ihr Haar, das über ihre Schultern strich, wenn sie den Kopf schüttelte vor Lachen über etwas, das<br />

ich getan hatte. Ihr Gesicht, wie ich es zum letzten Mal sah, als sie beim VampMob in der Menge untertauchte. All<br />

diese Menschen beim VampMob, wie die Menschen im Park, wie sie sich auf dem Boden krümmten, während das<br />

DHS mit Knüppeln einmarschierte. Die Verschwundenen.<br />

Darryl. Festgesetzt auf Treasure Island, seine Seite genäht, aus der Zelle geholt für endlose Befragungen über die<br />

Terroristen.<br />

x Cory Doctorow: Little Brother

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