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kapitel 1 - adamas.ai

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Ich erwischte ihn mit einem Feuerball, während er die Beute checkte, nachdem wir eine Horde von Orks plattgemacht<br />

hatten, indem wir mit jedem Ork eine Runde Schere-Stein-Papier spielten, um auszumachen, wer den<br />

Kampf gewinnen würde. Das ist viel spannender, als es klingt.<br />

Das war wie Sommerfreizeit für Drama-Fans. Wir quatschten in unseren Zelten bis tief in die Nacht, betrachteten<br />

die Sterne, sprangen in den Fluss, wenn uns heiß wurde, und erschlugen Stechmücken. Wir wurden beste Freunde<br />

– oder Feinde fürs Leben.<br />

Ich weiß nicht, warum Charles’ Eltern ihren Sohn zum LARPen geschickt hatten. Er war nicht die Art Junge, die<br />

dieses Zeug wirklich genoss. Er war eher die Sorte, die Fliegen ihre Flügel ausriss. Na ja, vielleicht auch nicht. Aber<br />

er war echt nicht der Typ, in Verkleidung im Wald rumzurennen. Er muffelte die ganze Zeit bloß rum, hatte für<br />

alles und jeden bloß Verachtung übrig und versuchte uns davon zu überzeugen, dass das alles lange nicht so toll<br />

war, wie wir glaubten. Bestimmt habt ihr solche Menschen schon getroffen: Menschen, deren selbst gestellte Aufgabe<br />

es ist, allen anderen jeglichen Spaß zu verderben.<br />

Charles’ zweites Problem war, dass er simulierte Gefechte einfach nicht begreifen konnte. Wenn man erst mal<br />

anfängt, im Wald rumzurennen und ausgefeilte halbmilitärische Spiele zu spielen, dann geht es ganz schnell, bis<br />

dein Adrenalinspiegel so hoch ist, dass du bereit bist, jemandem in echt an die Gurgel zu gehen. Und in diesem<br />

Zustand ist es wirklich keine gute Idee, ein Schwert, eine Keule, Lanze oder ein anderes Utensil zur Hand zu<br />

haben. Aus diesem Grund ist es in solchen Spielen jedem Teilnehmer absolut strikt verboten, einen anderen zu<br />

schlagen. Stattdessen sind, wenn du jemandem nahe genug zum Kämpfen kommst, einige flotte Runden Schere-<br />

Stein-Papier angesagt, unter Berücksichtigung deiner jeweiligen Erfahrung und Bewaffnung und deines Gesundheitszustands.<br />

Die Schiedsrichter schlichten Streitereien. Das ist ziemlich zivilisiert und ein bisschen bizarr. Da<br />

rennst du jemandem durch den Wald hinterher, holst ihn ein, fletschst die Zähne, und dann setzt du dich mit ihm<br />

hin auf ein kleines Spielchen. Aber es funktioniert, und es sorgt dafür, dass alles sicher und spaßig bleibt.<br />

Charles konnte das partout nicht begreifen. Ich glaube schon, dass er verstanden hatte, dass die Regel „kein Kontakt“<br />

lautete, aber er war zugleich in der Lage, zu entscheiden, dass die Regel egal war und dass er ihr nicht gehorchen<br />

wollte. Die Schiedsrichter mussten ihn deshalb ein paar Mal an diesem Wochenende zur Ordnung rufen, und<br />

immer versprach er, sich dran zu halten, und immer ignorierte er die Regeln aufs Neue. Er war schon damals einer<br />

von den Größeren, und es machte ihm Spaß, dich am Ende einer Jagd „versehentlich“ zu tackeln. Und wenn du<br />

auf dem felsigen Waldboden landest, ist Tackling kein Vergnügen.<br />

Ich hatte grade Darryl auf einer Waldlichtung ordentlich gequält, wo er auf Schatzsuche war, und wir lachten<br />

zusammen über meine enorme Heimtücke. Er wollte grade Monstern gehen – getötete Spieler konnten zu Monstern<br />

werden, und das bedeutete, dass mit fortschreitender Spieldauer immer mehr Monster hinter dir her waren,<br />

so dass jeder weiterspielen musste und die Schlachten immer ausschweifender wurden.<br />

In diesem Moment kam Charles hinter mir aus dem Unterholz hervor und tackelte mich; er stieß mich so hart zu<br />

Boden, dass mir einen Moment lang die Luft wegblieb. „Hab dich!“, brüllte er. Bis dahin hatte ich ihn nur entfernt<br />

gekannt, und allzu viel von ihm gehalten hatte ich noch nie; aber jetzt war ich bereit zu töten. Langsam erhob ich<br />

mich und schaute ihn an mit seinem Grinsen und der stolzgeschwellten Brust. „Du bist so was von tot“, sagte er.<br />

„Ich hab dich astrein erwischt.“<br />

Ich grinste, und dabei fühlte sich etwas in meinem Gesicht falsch und wund an. Ich berührte meine Oberlippe.<br />

Sie war blutig. Meine Nase blutete, und meine Lippe war aufgeplatzt, als ich nach seinem Angriff mit dem Gesicht<br />

zuerst auf einer Wurzel gelandet war.<br />

Ich wischte das Blut an meinem Hosenbein ab und lächelte. Ich gab mir den Anschein, das alles unheimlich lustig<br />

zu finden, lachte ein bisschen und ging auf ihn zu.<br />

Charles ließ sich nicht überlisten. Er war schon am Zurückweichen und versuchte, im Gebüsch zu verschwinden.<br />

Darryl schnitt ihm den einen Fluchtweg ab. Ich übernahm den anderen. Plötzlich drehte er sich um und rannte.<br />

Darryls Fußangel ließ ihn die Schwalbe machen. Wir stürzten uns gerade auf ihn, als wir eine Schiedsrichterpfeife<br />

hörten.<br />

Der Schiedsrichter hatte nicht gesehen, wie Charles mich foulte, aber er hatte ihn am Wochenende beim Spielen<br />

beobachtet. So sandte er Charles zum Camp-Eingang zurück und erklärte ihm, dass er aus dem Spiel war. Charles<br />

beschwerte sich lautstark, aber zu unserer Genugtuung wollte der Unparteiische nichts davon wissen. Als Charles<br />

fort war, hielt er auch uns eine Standpauke und sagte, unsere Vergeltung sei um nichts mehr gerechtfertigt gewesen<br />

als der Angriff von Charles.<br />

x Cory Doctorow: Little Brother

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