Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Deshalb wusste ich, dass Krypto mich vor Mithörern schützte; aber auf Histogramme war ich nicht vorbereitet.<br />
x<br />
Ich stieg aus der BART und schwenkte meine Karte über dem Drehkreuz, rauf zur Station 24. Straße. Wie üblich<br />
hingen etliche Bekloppte in der Haltestelle ab, Betrunkene, Jesus-Freaks, finstere Mexikaner, die auf den Boden<br />
starrten, und ein paar Gang-Kids. Ich guckte stur an ihnen vorbei, als ich zur Treppe ging und dann nach oben<br />
joggte. Meine Tasche war jetzt leer, nicht mehr übervoll mit den ParanoidXbox-Scheiben, die ich verteilt hatte,<br />
und das nahm den Druck von den Schultern und beflügelte meinen Gang, als ich raus auf die Straße kam. Die Prediger<br />
waren immer noch bei ihrer Arbeit, uns auf Spanisch und Englisch über Jesus etcetera zu belehren.<br />
Die Verkäufer mit ihren gefälschten Sonnenbrillen waren weg, aber ihren Platz hatten Typen mit Roboterhunden<br />
im Angebot eingenommen, die die Nationalhymne bellten und ihr Beinchen hoben, wenn man ihnen ein Foto von<br />
Osama bin Laden zeigte. Wahrscheinlich ging in deren kleinen Gehirnen ein bisschen was Interessantes vor, und<br />
ich nahm mir vor, später ein paar davon zu kaufen und sie zu zerlegen. Gesichtserkennung war in Spielzeugen<br />
noch ziemlich neu; sie war erst kürzlich vom Militärsektor zuerst zu Casinos auf der Suche nach Betrügern und zur<br />
Strafverfolgung gelangt.<br />
Ich machte mich auf den Weg die 24. Straße runter Richtung Potrero Hill und heim, rollte meine Schultern, sog<br />
die Burrito-Gerüche ein, die aus den Restaurants drangen, und dachte ans Abendessen.<br />
Keine Ahnung, warum ich zufällig mal über die Schulter schaute, jedenfalls tat ichs. Vielleicht wars ein bisschen<br />
unterbewusstes Sechster-Sinn-Zeug. Ich wusste einfach, dass mir jemand folgte.<br />
Es waren zwei stämmige weiße Typen mit kleinen Schnurrbärten, die mich an Bullen und an die schwulen Biker<br />
erinnerten, die durch Castro rauf- und runterrollten, aber Schwule hatten normalerweise stylischere Frisuren. Sie<br />
trugen Blousons in der Farbe von kaltem Zement und Jeans, und man konnte ihre Hüften nicht sehen. Ich dachte<br />
an all die Dinge, die ein Bulle an seiner Hüfte tragen könnte, an den Werkzeuggürtel, den der DHS-Typ im Truck<br />
umhatte. Beide Kerle trugen Bluetooth-Sprechgarnituren.<br />
Ich ging weiter, aber mein Herz klopfte wie wild. Ich hatte damit gerechnet, seit ich angefangen hatte. Ich hatte<br />
damit gerechnet, dass das DHS rauskriegen würde, was ich tat. Ich war so vorsichtig wie nur möglich, aber hatte<br />
Frau Strenger Haarschnitt nicht gesagt, sie würde mich unter Beobachtung halten? Sie hatte mir gesagt, ich sei nun<br />
ein gezeichneter Mann. Mir wurde klar, dass ich tatsächlich drauf gewartet hatte, hopsgenommen und ins Gefängnis<br />
gesteckt zu werden. Warum auch nicht? Warum sollte Darryl im Knast sein und ich nicht? Was sprach schon<br />
für mich? Ich hatte noch nicht mal den Mumm gehabt, meinen Eltern – oder seinen – zu erzählen, was mit uns<br />
tatsächlich passiert war.<br />
Ich legte einen Zahn zu und machte in Gedanken Inventur. Nein, ich hatte nichts Verdächtiges in meiner Tasche.<br />
Na ja, nichts allzu Verdächtiges. Auf meinem SchulBook lief der Crack, der mir Messaging und das Zeug ermöglichte,<br />
aber die Hälfte der Leute in der Schule hatte das. Und ich hatte die Verschlüsselung auf meinem Telefon<br />
geändert – jetzt hatte ich wirklich eine Pseudo-Partition, die ich mit einem einzelnen Passwort in Klartext umwandeln<br />
konnte, aber das gute Zeug war nicht da drauf, sondern erforderte ein weiteres Passwort, um es zugänglich<br />
zu machen. Dieser versteckte Teil sah wie Datenmüll aus – wenn du Daten verschlüsselst, kann man sie nicht<br />
mehr von zufälligem Rauschen unterscheiden –, und sie wüssten noch nicht mal, dass es ihn gab.<br />
Es waren keine Scheiben mehr in meiner Tasche. Mein Laptop war frei von jeglichem belastenden Material. Wenn<br />
sie sich natürlich meine Xbox genauer ansahen, dann war das Spiel aus, sozusagen.<br />
Ich blieb stehen, wo ich war. Ich hatte mich bedeckt gehalten, so gut ich eben konnte. Jetzt wars Zeit, dem<br />
Schicksal ins Auge zu blicken. Ich ging in den nächsten Burrito-Laden und bestellte einen mit Carnitas – gehacktem<br />
Schweinefleisch – und extra Salsa. Wenn schon untergehen, dann zumindest mit vollem Magen. Außerdem<br />
nahm ich einen Kübel Horchata, ein eiskaltes Reisgetränk, so ähnlich wie wässrig-süßlicher Reispudding (besser,<br />
als es klingt).<br />
Ich setzte mich hin zum Essen, und ich wurde ganz ruhig. Entweder kam ich nun ins Gefängnis für meine „Verbrechen“<br />
oder auch nicht. Meine Freiheit war, seit sie mich festgehalten hatten, ein vorübergehender Urlaub gewesen.<br />
Mein Land war nun nicht mehr mein Freund: Wir standen auf verschiedenen Seiten, und ich hatte gewusst,<br />
dass ich niemals gewinnen konnte.<br />
Die zwei Typen kamen ins Restaurant, als ich grade mit dem Burrito fertig war und Churros zum Nachtisch bestellen<br />
wollte – frittierten Teig mit Zimtzucker. Schätze mal, die hatten draußen gewartet und waren von meiner Bummelei<br />
angenervt.<br />
Cory Doctorow: Little Brother x