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kapitel 1 - adamas.ai

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Als wir in Barbara Stratfords Einfahrt bogen, war es bereits Mitternacht. Sie lebte außerhalb der Stadt, unten in<br />

Mount<strong>ai</strong>n View, und während wir über die 101 sausten, sprach keiner von uns ein Wort. Die Hightech-Gebäude<br />

längs des Highways flitzten an uns vorbei.<br />

Das war eine ganz andere Bay Area als die, in der ich lebte, eher wie das kleinstädtische Amerika, das ich manchmal<br />

im Fernsehen sah. Jede Menge Autobahnen und segmentierte Ansammlungen identischer Häuser; Städte, in<br />

denen kein einziger Obdachloser seinen Einkaufswagen den Bürgersteig entlang schob – hier gab es nicht einmal<br />

Bürgersteige!<br />

Mom hatte Barbara Stratford angerufen, während wir darauf warteten, dass Mr. Glover wieder runterkam. Die<br />

Journalistin hatte schon geschlafen, aber Mom war so erregt gewesen, dass sie völlig vergessen hatte, sich britisch<br />

zu benehmen und peinlich berührt zu sein, sie geweckt zu haben; stattdessen hatte sie ihr nachdrücklich erzählt,<br />

dass sie etwas zu besprechen habe und dass es persönlich sein müsse.<br />

Als wir zu Barbara Stratfords Haus hochrollten, war meine erste Assoziation Brady Bunch – ein geducktes Ranch-<br />

Haus mit Ziegelverblendung und ordentlichem, vollkommen quadratischem Rasen. Die Verblendung hatte ein<br />

abstraktes Kachelmuster, und dahinter ragte eine altmodische UHF-TV-Antenne hervor. Wir gingen ums Haus<br />

herum zum Eingang und sahen, dass drinnen bereits Licht brannte.<br />

Die Schreiberin öffnete die Tür, bevor wir auch nur eine Chance hatten, den Klingelknopf zu drücken. Sie war<br />

etwa so alt wie meine Eltern, mit scharf profilierter Nase und klugen Augen mit vielen Lachfältchen. Sie trug Jeans,<br />

die hip genug waren, um auch in einer der Boutiquen auf Valencia Street durchzugehen, und eine weite indische<br />

Baumwollbluse, die ihr bis über die Oberschenkel hing. Ihre kleinen runden Brillengläser blitzten im Licht ihres<br />

Korridors.<br />

Sie schenkte uns die Andeutung eines Lächelns.<br />

„Wie ich sehe, seid ihr mit der ganzen Sippe angereist.“<br />

Mom nickte. „Du wirst gleich verstehen, warum“, sagte sie.<br />

Mr. Glover trat hinter Dad hervor.<br />

„Und die Navy habt ihr auch angefordert?“<br />

„Alles zu seiner Zeit.“<br />

Wir wurden ihr vorgestellt. Sie hatte einen festen Händedruck und langgliedrige Finger.<br />

Ihr Heim war japanisch-minimalistisch eingerichtet mit nur wenigen wohlproportionierten, niedrigen Möbelstücken,<br />

großen Tongefäßen mit Bambus, dessen Wedel bis zur Decke ragten, und etwas, das aussah wie großes, verrostetes<br />

Bauteil eines Dieselaggregats auf einem polierten Marmorsockel. Ich entschied mich dafür, es zu mögen.<br />

Die Fußböden waren altes Holz, gesandet und gebeizt, aber nicht versiegelt, so dass man Risse und Vertiefungen<br />

unter dem Firnis sehen konnte. Das mochte ich wirklich sehr, insbesondere, als ich auf Socken darüberlief.<br />

„Ich habe Kaffee aufgesetzt“, sagte sie. „Wer möchte welchen?“ Wir hoben alle die Hände. Ich blickte meine Eltern<br />

herausfordernd an.<br />

„Okay“, sagte sie.<br />

Sie verschwand in einem anderen Raum und kam kurz darauf mit einem groben Bambustablett zurück, auf dem<br />

eine Zwei-Liter-Thermoskanne und sechs Tassen in sehr präziser Formgebung, aber grobschlächtiger Dekoration<br />

standen. Die mochte ich auch.<br />

„Nun denn“, sagte sie, nachdem sie eingeschenkt und verteilt hatte. „Es ist sehr schön, euch alle mal wieder zu<br />

sehen. Marcus, als ich dich letztes Mal gesehen habe, warst du ungefähr sieben Jahre alt. Und wenn ich mich recht<br />

erinnere, warst du damals sehr begeistert von deinen neuen Videospielen, die du mir gezeigt hast.“<br />

Ich erinnerte mich daran überhaupt nicht, aber es klang genau nach dem, wofür ich mich mit sieben begeistert<br />

hatte. Musste wohl meine Sega Dreamcast gewesen sein.<br />

Sie holte ein Tonbandgerät, einen gelben Block und einen Kugelschreiber und drehte den Stift auf. „Ich bin bereit,<br />

anzuhören, was immer ihr mir zu erzählen habt, und ich kann euch versprechen, dass ich alles, was ich höre,<br />

vertraulich behandeln werde. Aber ich kann nicht versprechen, dass ich das, was ich höre, irgendwie verwenden<br />

werde oder dass es veröffentlicht werden wird.“ Die Art, wie sie das sagte, machte mir klar, dass diese Lady meiner<br />

Mom, die sie aus dem Bett geklingelt hatte, einen sehr großen Dienst erwies, Freundinnen hin oder her. Berühmte<br />

Cory Doctorow: Little Brother x

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