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Ich mochte diesen Laptop gern. Ich nannte ihn „Salmagundi“, was soviel heißt wie „etwas aus Ersatzteilen<br />
Zusammengebautes“.<br />
Wenn man erst mal damit anfängt, seinem Laptop einen Namen zu geben, ist klar, dass man eine enge Beziehung<br />
zu dem Teil hat. Aber jetzt hatte ich das Gefühl, ich würde ihn nie wieder berühren mögen. Ich wollte ihn aus<br />
dem Fenster werfen. Wer weiß, was die damit gemacht hatten? Wer weiß, wie der angezapft war?<br />
Ich klappte ihn zu, steckte ihn in eine Schublade und starrte an die Decke. Es war spät, und ich sollte schlafen.<br />
Aber jetzt konnte ich schon mal gar nicht schlafen. Ich war verwanzt. Jeder konnte verwanzt sein. Die Welt war<br />
für immer eine andere geworden.<br />
„Irgendwie krieg ich die“, sagte ich. Das war ein Schwur, ich wusste es, als ich es hörte, obwohl ich nie zuvor<br />
einen Schwur geleistet hatte.<br />
Jetzt konnte ich nicht mehr schlafen. Und außerdem hatte ich eine Idee.<br />
Irgendwo im Schrank hatte ich noch einen eingeschweißten Karton mit einer unberührten, originalverpackten<br />
Xbox Universal. Jede Xbox war deutlich unter Herstellungspreis verkauft worden – Microsoft macht das meiste<br />
Geld damit, Lizenzgebühren von Spielefirmen zu nehmen, die Xbox-Spiele vertreiben wollen –, aber die Universal<br />
war die erste Xbox, die Microsoft völlig gratis unters Volk brachte.<br />
Letzten Advent standen an jeder Ecke arme Loser, verkleidet als Krieger aus der Halo-Serie, und hauten Taschen<br />
mit diesen Spielkonsolen raus, so schnell sie konnten. Scheint funktioniert zu haben – jeder sagt, sie hätten einen<br />
Riesenberg Spiele verkauft. Natürlich gabs Sicherheitsvorkehrungen, damit du damit wirklich nur Spiele von Firmen<br />
spielen konntest, die dafür Lizenzen von Microsoft erworben hatten.<br />
Hacker gehen durch solche Sperren glatt durch. Die Ur-Xbox wurde von nem Jungen am MIT gecrackt, der dann<br />
einen Bestseller drüber schrieb; dann war die 360 an der Reihe, und danach ging die kurzlebige Xbox portable in<br />
die Knie (wir nannten sie „die Schleppbox“, weil sie drei Pfund wog). Die Universal sollte komplett kugelsicher<br />
sein. Die Highschool-Kids, die sie knackten, waren brasilianische Linux-Hacker, die in einer Favela lebten, einer<br />
illegalen Armen-Siedlung.<br />
Unterschätze nie die Entschlossenheit eines Jungen mit viel Zeit und wenig Geld.<br />
Als die Brasilianer ihren Hack veröffentlichten, fuhren wir alle drauf ab. Bald gabs Dutzende alternativer Betriebssysteme<br />
für die Xbox Universal. Meine erste Wahl war ParanoidXbox, eine Variante von ParanoidLinux. Dieses<br />
Betriebssystem geht davon aus, dass der Benutzer von seiner Regierung unter Druck gesetzt wird (ursprünglich<br />
war es für chinesische und syrische Dissidenten gedacht), und ist darauf ausgelegt, deine Kommunikation und<br />
deine Dokumente möglichst geheim zu halten. Es setzt sogar Pseudokommunikation in Gang, um den Umstand<br />
zu verschleiern, dass du grade was Geheimes machst. Während du zum Beispiel Buchstabe für Buchstabe eine<br />
politische Nachricht erhältst, tut ParanoidLinux so, als surfst du im Web und flirtest in Chats. Dabei ist jeder fünfhundertste<br />
Buchstabe, der bei dir ankommt, Teil der eigentlichen Nachricht, eine Nadel in einem gigantischen<br />
Heuhaufen.<br />
Ich hatte mir ne ParanoidXbox-DVD gebrannt, als es frisch draußen war, aber irgendwie war ich nie dazu gekommen,<br />
die Xbox in meinem Schrank auszupacken, einen Fernseher zum Anschließen zu finden und so weiter. Mein<br />
Zimmer ist auch so schon verstopft genug, ohne dass Microsoft-Crashware wertvollen Raum beansprucht.<br />
Heute Nacht würde ich den Raum opfern. Es dauerte etwa zwanzig Minuten, bis alles lief. Keine Glotze zu haben<br />
war das kniffligste Problem, aber dann fiel mir ein, dass ich noch einen kleinen LCD-Projektor mit Standard-TV-Eingängen<br />
hatte. Ich schloss die Xbox an, warf das Bild an meine Zimmertür und installierte ParanoidLinux.<br />
Jetzt war ich soweit, und ParanoidLinux suchte nach anderen Xbox Universals, mit denen es sprechen konnte.<br />
Jede Xbox Universal hat WLAN für Mehrspieler-Modi eingebaut. Du kannst dich mit deinen Nachbarn direkt drahtlos<br />
verbinden oder übers Internet, wenn du einen drahtlosen Zugang hast. Ich fand drei Nachbarn in Funkreichweite.<br />
Zwei davon hatten ihre Xbox Universal auch mit dem Internet verbunden. Das war für ParanoidXbox ideal:<br />
Es konnte einen Teil der Internet-Verbindungen der Nachbarn für sich abzweigen und so über das Spielenetzwerk<br />
selbst online gehen. Den Nachbarn würde das bisschen Datentransfer nicht auffallen: Sie hatten Flatrate-Internetverbindungen,<br />
und nachts um zwei surften sie selbst nicht viel.<br />
Das Beste an all dem war, dass ich wieder das Gefühl hatte, alles unter Kontrolle zu haben. Meine Technik arbeitete<br />
für mich, diente mir, beschützte mich. Sie schnüffelte mir nicht hinterher. Dafür liebte ich Technik: Wenn du<br />
sie richtig benutzt, gibt sie dir Macht und Privatsphäre.<br />
x Cory Doctorow: Little Brother