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„Ich hab schon seit Monaten auf dem Zettel, den indienet-Code zu überarbeiten“, sagte Jolu. „Die ursprünglichen<br />
Programme waren schnell zusammengekloppt, und mit nem bisschen Arbeit könnten sie viel effizienter gemacht<br />
werden. Aber ich hatte noch keine Zeit dafür. Einer der Punkte ganz oben auf der Liste ist, die Verbindungen<br />
zu verschlüsseln, weil Trudy das gern so möchte.“ Trudy Doo war die Gründerin von Pigspleen. Außerdem war<br />
sie eine alte Punk-Legende in San Francisco, Frontfrau der anarcho-feministischen Band Speedwhores, und Privatsphäre<br />
war ihre fixe Idee. Ich glaubte sofort, dass sie schon aus Prinzip ihren Musik-Dienst verschlüsselt haben<br />
wollte.<br />
„Wird das schwer? Ich mein, wie lange dauert das?“<br />
„Na ja, massenweise Krypto-Code gibt’s schon online für lau“, sagte Jolu. Jetzt tat er wieder das, was er immer tat,<br />
wenn er an einem kniffligen Programmierproblem kaute: Er bekam diesen abwesenden Blick, trommelte mit den<br />
Händen auf dem Tisch und ließ den Kaffee überschwappen. Mir war nach Lachen zumute – und wenn alles um<br />
ihn rum den Bach runterginge, Jolu würde diesen Code schreiben.<br />
„Kann ich helfen?“<br />
Er schaute mich an. „Was, glaubst du nicht, dass ichs allein hinkriege?“<br />
„Was?“<br />
„Na ja, du hast das ganze Xnet-Ding allein aufgezogen, ohne mir auch bloß was zu erzählen; ohne mit mir drüber<br />
zu reden. Und dann dachte ich so, wahrscheinlich brauchst du bei so was meine Hilfe gar nicht.“<br />
Jetzt hatte er mich kalt erwischt. „Was?“, wiederholte ich. Jolu sah mittlerweile richtig aufgebracht aus. Es war<br />
klar, dass das schon eine ganze Weile an ihm genagt hatte. „Jolu …“<br />
Er sah mich wieder an, und jetzt merkte ich, dass er richtig sauer war. Wie hatte ich das übersehen können? Oh<br />
Gott, manchmal war ich echt so ein Idiot.<br />
„Weißt du, Kumpel, es ist keine große Sache …“ – womit er eindeutig meinte, dass es eine verdammt große Sache<br />
war – „ich meine, du hast mich nicht mal gefragt. Hey, ich hasse das DHS. Darryl war auch mein Freund. Ich hätte<br />
dir wirklich dabei helfen können.“<br />
Ich wollte den Kopf zwischen den Knien vergraben. „Hey, Jolu, das war echt bescheuert von mir. Ich hab das<br />
halt so um zwei Uhr morgens gemacht. Ich war irgendwie rasend, als das passierte. Ich …“ Ich konnte es nicht<br />
erklären. Er hatte Recht, und das war das Problem. Okay, es war nachts um zwei Uhr gewesen, aber ich hätte ihm<br />
am nächsten oder übernächsten Tag davon erzählen können. Aber ich hatte es nicht getan, weil ich wusste, was<br />
er sagen würde – dass es ein hässlicher Hack war und dass ich das besser durchdenken sollte. Jolu wusste immer,<br />
wie man meine Zwei-Uhr-Nachts-Ideen in sauberen Code umsetzen konnte, aber das, womit er dann rumkam, war<br />
immer ein bisschen anders als das, was ich mir ursprünglich ausgedacht hatte. Dieses Projekt hatte ich für mich<br />
allein haben wollen. Ich war voll in meiner Rolle als M1k3y aufgegangen.<br />
„Tut mir Leid“, sagte ich schließlich. „Tut mir wirklich, wirklich Leid. Du hast völlig Recht. Ich bin irgendwie<br />
durchgedreht und hab dummes Zeug gemacht. Aber ich brauche wirklich deine Hilfe – ohne dich kriege ich das<br />
nicht hin.“<br />
„Meinst du das ernst?“<br />
„Und wie“, sagte ich. „Mann, du bist der beste Programmierer, den ich kenne. Du bist ein verdammtes Genie, Jolu.<br />
Es wäre echt eine Ehre, wenn du mir dabei helfen würdest.“<br />
Er trommelte weiter mit seinen Fingern. „Es ist bloß … du weißt schon. Du bist der Teamchef. Van ist die Clevere.<br />
Darryl war … er war dein Stellvertreter, der Typ, der alles organisiert hat und ein Auge auf die Det<strong>ai</strong>ls hatte. Der<br />
Programmierer, das war mein Job. Und es war so, als hättest du gesagt, dass du mich nicht brauchst.“<br />
„Oh Mann, ich bin son Idiot. Jolu, du bist der Beste für den Job, den ich kenne. Ich bin echt, echt, …“<br />
„Lass gut sein, ja? Stopp. Ich glaub dir ja. Wir sind doch alle grade ziemlich neben der Spur. Also: Klar kannst du<br />
helfen. Wahrscheinlich können wir dich sogar bezahlen – ich hab ein kleines Budget für freie Programmierer.“<br />
„Echt jetzt?“ Fürs Programmieren hatte mich noch nie jemand bezahlt.<br />
„Logisch. Wahrscheinlich bist du gut genug, um das Geld wert zu sein.“ Er grinste und boxte mich in die Schulter.<br />
Jolu ist eigentlich meistens total entspannt, und eben deshalb hatte er mich grade so aus der Bahn geworfen.<br />
Ich zahlte die Kaffees, und wir gingen. Dann rief ich meine Eltern an, um ihnen zu berichten, was ich vorhatte.<br />
Jolus Mom bestand drauf, uns Sandwiches zu machen. Wir schlossen uns mit seinem Computer und dem Code<br />
Cory Doctorow: Little Brother x