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zur Rezension - Iudicium Verlag GmbH

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232<br />

Das Gehirn und seine Erforschung haben<br />

spätestens seit den faszinierenden Möglichkeiten<br />

der bildgebenden Verfahren,<br />

die es erlauben, Gehirnaktivitäten in vivo<br />

zu beobachten, an Bedeutung in der<br />

fachwissenschaftlichen Diskussion gewonnen.<br />

Zwar wurden bereits zuvor<br />

Erkenntnisse, die aufgrund von Gehirnschädigungen<br />

oder mithilfe anderer, weniger<br />

anschaulicher Forschungsmethoden<br />

gewonnen wurden, <strong>zur</strong> Begründung<br />

spezifischer Ausprägungen des Spracherwerbs<br />

oder didaktischer Maßnahmen<br />

im Fremdsprachenunterricht herangezogen.<br />

Jedoch scheint spätestens mit der<br />

gehirnphysiologischen Begründung des<br />

radikalen Konstruktivismus auch im Bereich<br />

der Fremdsprachenforschung das<br />

»Zeitalter des Gehirns« angebrochen zu<br />

sein; zumindest werden gehirnphysiologische<br />

Argumente verstärkt angeführt.<br />

Allerdings ist zugleich eine erstarkende<br />

Gegenbewegung zu dieser »Verkopfung«<br />

des Fremdsprachenunterrichts auszumachen.<br />

Wichtig scheint mir, daß die Ergebnisse<br />

der neurophysiologischen Forschung <strong>zur</strong><br />

Kenntnis genommen werden. Wichtig<br />

scheint mir aber auch, daß die Ergebnisse<br />

in ihr rechtes Licht gerückt werden. Denn<br />

in vielen Bereichen sind die Ergebnisse<br />

der Gehirnforschung nur vorläufige,<br />

nach Wahrscheinlichkeitskriterien<br />

»wahre« Aussagen. Zum Teil sind sie<br />

widersprüchlich, zum Teil lassen sie Fragen<br />

offen oder können das komplexe<br />

Zusammenspiel von Einzelphänomenen<br />

nur bruchstückhaft erklären.<br />

Darauf weisen die Autoren des hier<br />

besprochenen Bandes immer wieder hin.<br />

Vieles läßt sich nicht »auf eine griffige<br />

Kurzformel bringen – dafür stellt unser<br />

Gehirn ein gleichzeitig ganzheitliches,<br />

regional spezifisches, multipel verarbeitendes<br />

und topographisch darstellendes,<br />

geschlechtsspezifisches, lateralisiertes<br />

und plastisches Organ dar« (14).<br />

Die seit langem diskutierten geschlechtsspezifischen<br />

Unterschiede des Gehirns<br />

reichen zum Beispiel als Erklärung für<br />

spezifische Verhaltensweisen und Leistungen<br />

nicht aus. So heißt es einleitend<br />

im Kapitel zum sexuellen Dismorphismus:<br />

»(1) Es gibt einige nicht wegzudiskutierende<br />

Unterschiede sowohl im Aufbau als<br />

auch in der Funktion des männlichen und<br />

weiblichen Gehirn. (2) Es gibt innerhalb<br />

beider Gruppen mindestens ebenso viele<br />

Unterschiede wie zwischen den Gruppen.<br />

(3) Das Geschlecht stellt nur eine Möglichkeit<br />

der Einteilung von Individuen dar und<br />

die Zuordnung von Hirnunterschieden in<br />

Abhängigkeit vom Geschlecht darf nicht<br />

isoliert von z. B. Alter, sozialer Herkunft,<br />

Förderung, Interessen etc. gesehen werden.<br />

So sind beispielsweise die Unterschiede<br />

zwischen ›jungen‹ und ›alten Gehirnen‹ in<br />

der Regel größer als die zwischen männlichen<br />

und weiblichen. Auch gibt es diverse<br />

Interaktionen zwischen dem Alter und dem<br />

Geschlecht bezüglich der Gehirnentwicklung.«<br />

(377 f.)<br />

Es sind diese Bemerkungen, fast bin ich<br />

geneigt zu sagen: diese warnenden Hinweise<br />

vor einer allzu eilfertigen Übernahme<br />

von Einzelergebnissen der neurophysiologischen<br />

Forschung als Argument<br />

in (bildungs-)politischen Diskussionen,<br />

die mich dazu veranlassen, dem<br />

Buch viele Leser auch aus dem Bereich<br />

der Fremdsprachenforschung zu wünschen.<br />

So eignet sich die in der Tat<br />

vorliegende Lateralisierung bestimmter<br />

Leistungen beim Sprachgebrauch nicht<br />

für die Begründung spezifischer Unterrichtsarrangements,<br />

so wie umgekehrt<br />

ein didaktisch organisiertes Ansprechen<br />

beider Hemisphären – häufig auch als<br />

Ganzheitlichkeit bezeichnet – seine Begründung<br />

nicht ausschließlich in gehirnphysiologischen<br />

Phänomenen finden<br />

kann.<br />

Die Neurophysiologie des Gehirns liefert<br />

bei der Erklärung des komplexen Bereiches<br />

Lehren und Lernen von Sprachen

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