zur Rezension - Iudicium Verlag GmbH
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162<br />
man sich gerne an Judith Macheiners viel<br />
gelobtes Buch Das grammatische Varieté<br />
(1991), in dem die ebenso verblüffende<br />
wie naheliegende Frage gestellt wird,<br />
welche Sätze eigentlich »schön« seien.<br />
Fills Buch stellt nun die ebenso naheliegende<br />
Frage, wie mittels Sprache Spannung<br />
erzeugt wird. Schlagen wir das<br />
Buch auf. Man darf gespannt sein.<br />
Es fängt gut an. Schon der Untertitel des<br />
Buches verrät es: »Spannung« ist ein<br />
universales Phänomen und ist somit anthropologisch<br />
fundiert. Das Bedürfnis<br />
nach Spannung hält uns unser Leben<br />
lang in Bewegung. Dabei gibt es zwei<br />
Arten von Spannung, die positive, lustvolle,<br />
und die negative, qualvolle. Die<br />
Lektüre eines Romans mag für den ersten<br />
Fall stehen, der Gang zum Zahnarzt für<br />
den zweiten. Ruhe hat man, wenn jede<br />
Spannung erlischt. Doch wie der Teufel<br />
es will, wird auch dieser Zustand schnell<br />
<strong>zur</strong> Qual. Dann geht es wieder von<br />
neuem los: Spannung, Entspannung, Ruhephase,<br />
neue Anspannung. Der Wert<br />
dieses Buches liegt unter anderem darin,<br />
diesen Zyklus bewußt zu machen. Alsdann<br />
wird er in der Sprache und in<br />
anderen semiotischen Systemen aufgesucht.<br />
Auf der phonologischen Ebene sorgen<br />
verschiedenste Mittel für Spannung:<br />
Rhythmen und Reime, Lautstärke und<br />
Klangfarbe, Fluß und Stauung, Erwartungen,<br />
die erfüllt werden, und Erwartungen,<br />
die durchkreuzt werden. Auf der<br />
Wortebene begegnen wir Metaphern, die<br />
frisch wirken wie die Morgenröte, und<br />
Wortfügungen, denen man noch nie begegnet<br />
ist. Alles, was gesagt wird, wird<br />
irgendwo und irgendwann zum ersten<br />
Mal gesagt. Das schafft Spannung. Doch<br />
währt Spannung nicht ewig. Unversehens<br />
stellt Routine sich ein. Unter diesem<br />
Aspekt steuert der Verfasser auch einige<br />
innovative Gedanken <strong>zur</strong> Ursache des<br />
Sprachwandels bei.<br />
Überspringen wir die Wortebene mit<br />
ihren Wiederholungen auf der einen Seite<br />
und ihren Innovationen, Kontrasten und<br />
Verfremdungen auf der anderen Seite<br />
und begeben uns auf die Ebene der<br />
Syntax. Wir wissen auch ohne dieses<br />
Buch, daß es spannungslose Sätze gibt<br />
und solche, die aufhorchen lassen: durch<br />
ungewöhnliche Wortstellungen in den<br />
verschiedenen Feldern, durch Verzögerungen<br />
und Ellipsen und durch hypotaktische<br />
Spannungen im Gegensatz <strong>zur</strong><br />
Schlaffheit monotoner Aneinanderreihungen.<br />
Das Prinzip Spannung kulminiert auf der<br />
Ebene des Textes (63). Je bewußter man<br />
spannungserzeugende Mittel auf allen<br />
Ebenen einzusetzen versteht, je wirkungsmächtiger<br />
bündeln sie sich auf der<br />
obersten Ebene. Machen wir einen kurzen<br />
Halt beim »Prinzip Spannung in<br />
literarischen Texten« (67 ff.): Spannung<br />
wird dort auf den verschiedensten Ebenen<br />
erzeugt, nicht nur auf den Ebenen<br />
der Lexik und der syntaktischen Konstruktion,<br />
sondern auch auf denjenigen<br />
der Thematik, der Charaktere, der Handlungen,<br />
des Stils und so fort. Spannung<br />
wird auch durch perspektivische Techniken<br />
erzielt, durch Aussparungen und<br />
verzögerte Informationsvergabe, nicht<br />
zuletzt durch das ständig wechselnde<br />
Verhältnis von Erzählzeit und erzählter<br />
Zeit (81). Das bewußte Einsetzen von<br />
spannungserzeugenden Mitteln in der<br />
neueren Literatur führt Fill darauf <strong>zur</strong>ück,<br />
daß heutige Autoren mit Film und<br />
Fernsehen zu konkurrieren hätten. Wie<br />
dem auch sei, es lohnt sich, den Geheimnissen<br />
von Spannung und Langeweile<br />
einmal analytisch auf den Grund zu<br />
gehen, anstatt sich von ihnen beherrschen<br />
zu lassen.<br />
Ob erzählende Texte, Gedichte oder Dramen,<br />
Fill geht auf alle literarischen Gattungen<br />
ein. In sachlicher Nachbarschaft<br />
<strong>zur</strong> Welt des Dramas steht die reale Welt