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zur Rezension - Iudicium Verlag GmbH

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ein eher negativer, teilweise sogar verächtlicher<br />

Ruf an. Philosophisch und<br />

sprachwissenschaftlich spielte es lange<br />

Zeit keine Rolle. Kurt Tucholsky fällte<br />

1927 folgendes abwertendes Urteil: Die<br />

Alltagssprache sei »ein Urwald – überwuchert<br />

vom Schlinggewächs der Füllsel<br />

und Füllwörter« (13). Gegen Haltungen<br />

wie diese will das vorliegende Buch, das<br />

jetzt in zweiter, überarbeiteter Auflage<br />

vorliegt, angehen und ein Plädoyer für<br />

die »Würde der Alltagssprache« leisten,<br />

da sie exakt zu beschreibende kommunikative<br />

Funktionen hat und »voller Überraschungen<br />

[steckt]. Sie ist lebendig und<br />

geschmeidig, hat zuweilen Witz und<br />

ästhetische Reize« (15). Keinesfalls sollte<br />

sie als minderwertig und seicht abgetan<br />

werden.<br />

Da die Untersuchung gesprochener Sprache<br />

abhängig von bestimmten technischen<br />

Voraussetzungen ist, handelt es<br />

sich um eine »späte« Wissenschaft, die<br />

erst seit den sechziger Jahren systematisch<br />

betrieben wird. Vor dem Hintergrund<br />

der umfangreichen Forschung, die<br />

bereits auf diesem Gebiet geleistet worden<br />

ist (besonders im Bereich Syntax,<br />

weniger im Bereich Wortschatz), gibt<br />

dieses Buch Einblicke in die Möglichkeiten<br />

und Funktionen mündlicher Alltagskommunikation.<br />

Da sich der mündliche<br />

schneller als der schriftliche Sprachgebrauch<br />

ändert und diesen unweigerlich<br />

beeinflußt, wird in der Untersuchung<br />

mündlicher Sprache dem Sprecher buchstäblich<br />

»aufs Maul geschaut«, und dies<br />

ermöglicht eine Momentaufnahme von<br />

Schemata, Veränderungen und Trends.<br />

Wie sich Schreib- und Sprechsprache<br />

voneinander unterscheiden, aber auch,<br />

welche Gemeinsamkeiten sie haben, will<br />

das Buch herausarbeiten und setzt sich<br />

zum Ziel darzustellen, wie Gesprochenes<br />

gebildet und eingesetzt wird. Es ist gedacht<br />

als Hilfsmittel für Germanisten, die<br />

gesprochene Sprache analysieren wollen<br />

(dialektal, soziolinguistisch, DaF-spezifisch<br />

etc.), hat aber auch Relevanz für<br />

andere Richtungen (Psychologie, Ethnographie<br />

oder Medienwissenschaften).<br />

Daher ist es sowohl eine Anleitung (oder<br />

Wiederholung) für Sprachwissenschaftler<br />

und -praktiker, als auch eine Anregung<br />

zu disziplinübergreifenden Überlegungen.<br />

Basierend auf einer Reihe von Korpora,<br />

die vom Institut für deutsche Sprache<br />

erstellt wurden, aber auch unter Berücksichtigung<br />

anderer Forschungsarbeiten<br />

wird die Beschreibung und Funktionalität<br />

gesprochener Sprache mit Hilfe mehrerer,<br />

aufeinander aufbauender Kapitel<br />

veranschaulicht (Laute – Silben – Äußerungseinheiten<br />

– Syntax – Lexik). Während<br />

Schriftsprache zwar häufig syntaktisch<br />

korrekter und komplexer (Nominalphrasen,<br />

attributive Nebensätze) sein<br />

mag, zeichnet sich gesprochene Sprache<br />

durch »unmittelbarere« Eigenschaften<br />

aus, wie zum Beispiel weniger normierte<br />

Regeln in Aussprache, Satzmelodie, Lexik<br />

und Syntax. Gesprochenes tendiert<br />

zum salopperen Ausdruck, individuellen<br />

Variationen und zeichnet sich besonders<br />

durch den Gebrauch von Partikeln aus.<br />

Besonders wichtig sind aber nicht nur die<br />

verbalen Prinzipien, die der Sprecher bei<br />

der Formulierung einsetzt, sondern deren<br />

kommunikative Funktionen. In der<br />

Alltagssprache monologisieren wir nicht,<br />

sondern werden durch die Anwesenheit<br />

eines Gegenübers in unserem Sprechund<br />

Sprachverhalten beeinflußt (z. B. code<br />

switching, Widerspruch, Korrektur, Unterbrechung),<br />

und der Sprecher hat mehr<br />

Möglichkeiten (inklusive non-verbaler<br />

Kommunikation). Damit ist Sprechsprache<br />

eigentlich fast immer eine einmalige<br />

Ad-hoc-Leistung. Die Ausleuchtung unseres<br />

mündlichen Sprechverhaltens ist<br />

eine Spiegelung unserer aktuellen Umgebung,<br />

auf die wir sprachlich reagieren, sei

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