ETHIK DES MAIMONIDES - Rachel
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107<br />
Kräftigung der Sinne wie zur Erhaltung und Verlängerung des Lebens.<br />
Und ebenso der Ge sch 1 e ch t s v er keh r ; er ist zu ernsten Zwecken,<br />
zur Erleichterung des vollsaftigen Körpers und zur Beschaffung einer<br />
Nachkommenschaft, nicht aber zur Befriedigung der Sinnenlust bestimmt<br />
1 ).<br />
Dieser Forderung müssen wir schon in unserer Eigenschaft als<br />
Menschen genügen. Das Thier folgt blindlings seinem Triebe, und<br />
so erniedrigt sich der Mensch zum Thiere, wenn er Nahrung, Erwerb,<br />
Geschlechtsleben um des damit verbundenen Vergnügens willen erstrebt<br />
oder Zeit und Gegenstand nach der damit verbundenen Lust wählt 2 ).<br />
Wer Mensch zu heissen wirklich verdient, der vermeidet beispielsweise<br />
leckere Nahrung, die ihm schaden kann, und nimmt selbst die<br />
nicht wohlschmeckende, wenn sie ihm nützlich ist. In dieser Hinsieht<br />
ist die Heilkunde eine Lehrerin sittlichen Lebens 3 ) und führt<br />
mittelbar zur wahren Glückseligkeit, zur Gotteserkenntniss. Darum ist<br />
die Heilkunde auch nicht den gemeinen Kunstfertigkeiten gleichzusetzen,<br />
sondern ist eine edle Kunst, deren Studium den vorzüglichsten<br />
religiösen Uebungen beigezählt werden kann.<br />
2. Aber der Gesichtspunkt der Nützlichkeit allein genügt<br />
noch nicht; denn nicht als Mensch schlechthin, sondern als tugendhafter<br />
Mensch soll Jeder sich bewähren. Es genügt also nicht, die leibliehe<br />
Gesundheit als Zweck der Nahrung, fleissige und helfende Kinder<br />
als Zweck des ehelichen Lebens anzusehen und zu behandeln, da das<br />
') Dasselbe in Deot III, 2 und Mor. III, 8. Bei dem die Lust — PLATO und<br />
AA. gegenüber — in Schutz nehmenden ARISTOTELES (NE. X, 2 ff.) finden sich nur<br />
Anklänge und mildere Aeusserungen in diesem Sinne, z. B. NE. II, 9: iv •nav-ri 8è<br />
FTÀÀIA-A X. T. Die bei M. sich zeigende neuplatonische Abneigung gegen alle<br />
Lust als solche spricht z. B. PORPHYRIUS, der Schüler PLOTIN'S mit Entschiedenheit<br />
aus, wenn er verlangt, dass wir uns schlechthin keine anderen Genüsse erlauben<br />
als diejenigen, die zur Erhaltung des Lebens und der Gesundheit nothwendig sind<br />
(s. ZELLER, Phű. d. Gr. III2 , ־ S. 596). Unter gleichem Einflüsse steht die jüdische<br />
Ethik des Mittelalters überhaupt, wie die Beispiele SAADIA'S (Em. X, 3 fol. 90 ff.<br />
ed. Berl.) und BACHJA'a (Hpfl. IX, 5 S. 414) zeigen.<br />
2<br />
) Was ARIST. (NE. X, 5 Schi.) von den «schimpflichen Genüssen» sagt,<br />
wird hier verschärft und auf alle Lust ausgedehnt.<br />
ä<br />
) Vgl. IBN DAÜD, Em. ram. II, Eird. — M. hat übrigens mit dieser seiner<br />
Ansicht Ernst gemacht, indem er dem ethischen Abschnitte Deot seines die religiöse<br />
Praxis umfassenden Mischneli torah eine Diätetik (Deot IV) einverleibte<br />
und so zugleich jede die Gesundheit und Kraft schädigende Askese ausschloss.