ETHIK DES MAIMONIDES - Rachel
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A. Es giebt keine Bestimmtheit und keine Bestimmung<br />
für den Menschen in Betreff des Sittlichen.<br />
I. Eine Bestimmtheit des Menschen in sittlicher Hinsicht anzunehmen,<br />
ist unzulässig.<br />
1. Eine Bestimmtheit nämlich wäre es erstlich, wenn dem Menschen<br />
Tugend und Laster angeboren wären. Dies ist aber so wenig wahr,<br />
wie dass eine Kunstfertigkeit Jemand angeboren sei. Nur eine natürliehe<br />
Anlage, bestehend in einem gewissen Temperamente — und einer<br />
damit zusammenhängenden Beschaffenheit von Geist und Gemüth —<br />
ist von Hause aus dem Einzelnen, aber auch ganzen Nationen 2 ), gegeben.<br />
Allein das jedem Menschen eigne Temperament ist sittlich<br />
gleichgültig und nicht selbst schon Tugend oder Laster. Nur eine<br />
Disposition zu gewissen Tugenden oder Lastern enthält diese angeborne<br />
körperliche — oder geistige — Beschaffenheit 3 ). Es ist aber<br />
eben die sittliche Aufgabe des Menschen, die Anlagen zu den Tugenden<br />
zu benutzen und die zu den Lastern zu unterdrücken. Keine Tugend<br />
ist unerreichbar, auch wo die Anlagen ungünstig für dieselbe sind,<br />
und ebenso kein Laster für den Menschen unvermeidlich, mag auch<br />
seine ursprüngliche Natur dazu neigen 4 ).<br />
Fragen wir sodann nach den Mitteln, wodurch es den Menschen<br />
möglich werde, die Anlagen ihrer Natur zu entwickeln oder zu be-<br />
*) Mor. III, 12: Die Eigenschaften der Seele richten sich nach dem Temperament<br />
des Körpers.<br />
2 ) Wie nach der interessanten Stelle in Pirke Moscheh, Cap. 25, fol. 53 a• hinzugefügt<br />
werden muss. — Beiläufig sei bemerkt, dass für den das. angeführten<br />
und auch sonst in dem Buche öfters vorkommenden Arzt ALRASI — aus Mor. III,<br />
12 Anf. hinreichend bekannt — in beharrlich fehlerhafter Weise im Sendschreiten<br />
an den Sultan Almalik (Ker. ehem. III, S. 15. 26. 27 und sonst) יוארה statt = יזארה<br />
יזארלא gedruckt worden ist.<br />
3 ) Vgl. ARISTOT. NE. II, 1.<br />
4 ) Vgl. Mor. III, 8: Eine Gottesgabe ist die günstige Materie (sinnliche Anläge<br />
und damit zusammenhängende Seelenthätigkeit; s. schon oben S. 52 f. und A. 2<br />
das.); aber unmöglich ist es nicht, durch Uebung zur Beherrschung selbst der ungünstigsten<br />
Materie sich zu befähigen. — ALFARABI, Princip. S. 37 : Die Verschiedenheit<br />
der natürlichen Anlagen für Erkenntniss und Sittlichkeit in den einzelnen<br />
Menschen hebt die Willensfreiheit nicht auf, sondern bietet nur eine grössere<br />
Schwierigkeit oder Leichtigkeit in der Entscheidung. — Sehr ähnlich IBN DAÜD<br />
in Em. ram. II, 6, 2 S. 96 (wie denn jenes Cap. in E. ram. überhaupt voll von<br />
Berührungen mit M. ist).