ETHIK DES MAIMONIDES - Rachel
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eben nicht übersehen werden, dass man leichter und schneller von der<br />
Verschwendung als vom Geize zum richtigen Masze edler Freigebigkeit<br />
gelangt 1 ). Ganz ebenso ist der für Genuss Unempfängliche leichter<br />
als der Genusssüchtige zur richtigen Mitte zwischen beiden, nämlich<br />
zur Mäszigkeit, zu gewinnen. Es folgt daraus, dass der Genusssüchtige<br />
zu seiner moralischen Besserung viel länger zur Gleichgültigkeit<br />
gegen allen Genuss angehalten werden muss, als der dem Genüsse<br />
gegenüber Stumpfe etwa zur Unmäszigkeit 2 ). Aus gleichem Grunde<br />
müssen wir den Feigling zu seiner Besserung in höherem Masze zur<br />
Verwegenheit anleiten, als den Verwegenen zur Feigheit, und ebenso<br />
den Schäbigen mehr zur Prunksucht als den Prunkliebenden zur<br />
Schäbigkeit 3 ).<br />
3. Dieses bei manchen Handlungen und Eigenschaften ungleiche<br />
Verhältniss der fehlerhaften Extreme zu der tugendhaften Mitte, hat<br />
nun in der Sittengeschichte zwei Erscheinungen hervorgerufen,<br />
die von der aufgestellten sittlichen Regel abweichen. Die Eine derselben<br />
verdient nach M. Zustimmung, die andere Missbilligung.<br />
a) Ein höherer Grad von Gewissenhaftigkeit, sagt M., bewog die<br />
Tugendhaften unter unseren Glaubensgenossen, über das<br />
Masz sittlicher Verpflichtung hinauszugehen und sich Erschwerungen<br />
freiwillig aufzuerlegen. M. führt uns eine zwiefache Art dieser Erschwerungen<br />
vor.<br />
a) Da Eines der Extreme bei den einzelnen Handlungen und<br />
Eigenschaften von der richtigen Mitte weiter abliegt und diese mehr<br />
gefährdet, so zogen jene Tugendhaften es vor, sich das unausgesetzte<br />
Beharren in der genau bemessenen Mitte nicht zuzumuthen, weil von<br />
derselben aus eine Abweichung nach der bedenklicheren, ihr mehr<br />
widerstreitenden Seite fortwährend droht. Darum gaben sie ihren<br />
Handlungen und Gewohnheiten aus Vorsicht lieber eine Richtung<br />
immer gegen dasjenige Extrem hin, welches dem sittlich guten Ver-<br />
י) Vgl. ABIST. NE. IV, 3.<br />
s ) Auf der hierin liegenden näheren Verwandtschaft bald des Einen, bald<br />
des anderen Extrems mit der tugendhaften Mitte beruht eben jene oben (S. 81)<br />
angegebene Verwechselung desselben mit der Tugend Belbst.<br />
') Vgl. ABIST. NE. II, 8.