DREI RABENVON LUKAS BÄRFUSSLUKAS BÄRFUSS UND GÄSTE ______________ DIE NATUR DES MENSCHENLiteratur / Dialog ab 22. August 2021Siehe S. 42 _______________ www.ruhr3.com/natur178
Gestern Abend begegnete ich in unserer Straße einemMarder. Er und seine Geschwister sind unbeliebt, weilsie sich in die Motoren schleichen und die Kabel fressen.Gegen Marderschäden kann man sich versichern, undoben an der Tankstelle verkaufen sie den Mardertod. Ichweiß nicht, wie er wirkt, aber das Plakat verspricht, erfunktioniere ohne Gift. Marder stinken, soweit ich weiß.Und ich habe von der Menge Dreck gehört, die sie hinterlassensollen. Aber das sind nur Gerüchte. Persönlich binich keinem von ihnen näher als zwanzig Meter gekommen.Auch ich scheine bei den Geschwistern Marder nichtweiter beliebt zu sein.Mit einem Siebenschläfer die Bekanntschaft zu machen,hatte ich hingegen das Vergnügen. Diesen mausigen Gesellenfand ich eines Morgens in unserem Haus in den Bergen,im Küchenkasten, zwischen den Nüssen. Da saß ermit dicken Backen und glänzenden Augen. Bewegte sichnicht. Schaute mich an. Fraß weiter. Ließ sich nicht stören.Später las ich über seine Lebensgewohnheiten. DerSiebenschläfer schläft so gut wie immer. Neun von zwölfMonaten ist er nicht wach. Und wer nicht wach ist, kannnicht fressen. Weil die Zeit knapp ist, hält er sich an Nahrungmit hoher Energiedichte. Das macht ihn rasch dick,und das macht ihn wohlschmeckend. Ihr Fett sei aromatisch,so habe ich in einem alten Kochbuch gelesen, werdas wenige Fleisch darin gare, trage von der Speise keinenSchaden davon. Seit den Römerzeiten hält man Siebenschläferin einem Tontopf, einem sogenannten Glissarium,und füttert sie bis zur Speisereife.Ich habe den grauen Gnom nicht verzehrt, sondern hinausin die Wiese vor dem Haus getragen, in einer Pappschachtel,in die ich den Kulinariker nach einigen Versuchen bugsierenkonnte.So überließ ich ihn mit einigen Nüssen zwischen Klee undLöwenzahn seinem Schicksal.Am nächsten Morgen saß er im selben Küchenkasten anderselben Stelle und nahm sich gerade die Mandeln vor.So trug ich ihn ein zweites Mal aus dem Haus, diesmalbis weit über den Bach, und seither verblieb von diesemFresskumpan keine Spur mehr aufzufinden.Dieser Fellball verstand mich ausgezeichnet. Er kanntemeine Gewohnheiten. Er wusste, wo bei mir die Nüsselagen. Was unterschied uns? Die Sprache? Sprache alsGrund, einen hungrigen Narkoleptiker vor die Tür zu setzen?Sprache als Unterschied?Aber ich wollte von meinen drei Raben berichten.Der erste Rabe setzte sich neulich auf das Dach des Nachbarhausesund machte sich mit dem Schnabel am Mooszu schaffen. Dabei lockerte er einen Ziegel, bis dieser sichlöste und ins Rutschen kam, die Regenrinne übersprangund vier Stockwerke tief in den Hinterhof fiel. Er zerbarstim Durchgang, den nur einige Momente vorher ein Malermeisterpassiert hatte, um zu seinen Fensterläden zurückzukehren,die er am Morgen ausgehängt und auf Böckegelegt hatte, um sie frisch zu streichen. Und wäre er nurein paar Sekunden früher aus der Pause gekommen, dervermaledeite Ziegel hätte ihn erschlagen.Er war in seine Arbeit versunken und begriff nicht, welcherGefahr er gerade entronnen war. Der Rabe jedocherschrak vom Lärm und flog davon.Ich wurde Zeuge dieses Vorfalls. Einen Richter, derdieses Tier verurteilt hätte, hätte niemand finden können,nicht die Witwe und nicht die Kinder dieses armen Malermeisters.Raben sind nicht schuldfähig. Sie verstehen denDreisatz aus Konvention, Konformismus und Sanktionnicht, der die menschliche Gesellschaft bestimmt undformt. Ein Vogel versteht die Regel nicht, er wüsste nicht,wie er sich daran halten sollte, und eine Sanktion wäre fürihn nicht mit der Tat in Verbindung zu bringen. Der Rabebleibt straffrei, weil er ohne Absicht handelt. Er will keinenMalermeister töten, aus keinen uns bekannten Gründen,nicht aus Eifersucht, nicht aus Rache, selbst wenn unserMalermeister auf seinem Grundstück eine Platane hättefällen lassen, auf dem seit Generationen die Familie diesesRaben ihre Nester gebaut und den Nachwuchs aufgezogenhatte.Nachtragend seien Tiere, so erzählen wir uns, nicht, ihreAggression betreffe keinen anderen Wert als die Sicherungdes Überlebens. Einem nichtmenschlichen Organismuseine Empfindung wie Genugtuung zuzuschreiben,erscheint der Vernunft absurd, jedenfalls der erwachsenenVernunft. Ein Kind besitzt zu Tieren und zu Pflanzen undzum Regen und zum Wind ein anderes Verhältnis.Unter adulten Menschen haben Raben einen schlechtenRuf, sie gelten als schmutzig, sie machen Lärm, undtatsächlich finden sich selten Fürsprecher, wenn Raben179
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