DAS HÖRENDEGESICHTJUDITH GERSTENBERG IM GESPRÄCHMIT MATS STAUB21 — ERINNERUNGEN ANS ERWACHSENWERDEN (VOLLSTÄNDIGE EDITION)Installation 15. August – 25. September 2021Siehe S. 26 _______________ www.ruhr3.com/21JETZT & JETZTPartizipative Installation 17. August – 25. September 2021Siehe S. 28 _______________ www.ruhr3.com/jetzt208
Lieber Mats, seit vielen Jahren verfolgst du eine künstlerischeArbeit am Gedächtnis.Du versammelst Lebenszeugnisse ganz unterschiedlicherPersonen, hältst sie auf verschiedenen Speichermedienfest, überführst sie in ein Archiv, das über die Jahrewächst, inszenierst sie im Raum. Was genau treibt dichan? Geht es dir um das, was du dem Vergessen entreißt,oder um den Prozess des Erinnerns?Es geht mir nicht so sehr um das Bewahren. Ich magden Vorgang, der sich in dem Wort Er-innern verbirgt,einen ins Innere führenden Weg, die Beschäftigungmit sich, seiner inneren Welt. Ich hatte mich zu Beginnmeiner künstlerischen Arbeit gegen den Begriffder »oral history« abgegrenzt, da ich kein Historiker binund mein Interesse weniger der Vergangenheit als derGegenwart gilt. Oder besser: Mich interessiert die Präsenzder Vergangenheit: »Was macht etwas aus frühererZeit heute mit mir?«Mich leitet etwas, das wir in der Schweiz »gwundrig«nennen, eine Neugierde, die sich mit einem Wundernverbindet und nicht – wie dieses Wort allzu schnell imHochdeutschen konnotiert ist – mit einem übergriffigenInteresse. Die Fragestellungen meiner Arbeiten beziehensich auf universelle Themen – Liebe, Familie,Geschlecht, Geburt, Tod, Zeit –, die jedoch alle ihrenAuslöser in meiner eigenen Lebensgeschichte haben.Mich nimmt wunder, wie gehen andere mit diesenErfahrungen um?Vielleicht darf ich da gleich einhaken: Wie hat alles angefangen?Du hast zuvor als Journalist und Dramaturg gearbeitet.Wann hast du dein Selbstverständnis als Künstler gefunden?Eigentlich war mein großer Wunsch, Autor zu werden,ich hatte aber das Gefühl, dafür erst meinen Weg findenzu müssen. Ich begann zu studieren und habe baldgemerkt, dass eine wissenschaftliche Karriere nichtsfür mich ist. Das Schöne an der Universität ist, dasssie einem den Raum und die Möglichkeit gibt, sich inetwas zu vertiefen, aber die Zwänge des Apparats sindschrecklich. Mit Journalismus hatte ich mein Studiumfinanziert, schrieb Kritiken und wurde auch nicht froh.Ich spürte, ich möchte nicht objektiv etwas beurteilen,sondern mich ganz persönlich berühren lassen,und ich möchte eigentlich auf die andere Seite. Ichhabe in jener Zeit für eher unwichtige Publikationenauch Porträts über Menschen geschrieben, dienicht berühmt waren, Nachtwächter, Hoteldirektoren,Versicherungsmathematikerinnen. Da hatte ich meinAha-Erlebnis. Sie waren dankbar, dass man sich für sieinteressiert, dass man ihren Erzählungen, ihren ErfahrungsschätzenWert beimisst. Plötzlich sah ich: Da istdas Leben, hier wird es spannend. Doch im Journalismushat man keine Zeit, und es gibt keinen Raum fürdas scheinbar Unscheinbare. Also sah ich da auch keinenWeg für mich. Ich ergriff die Chance, am TheaterNeumarkt in Zürich als Regie- und Dramaturgieassistentanzufangen und durfte dort, zusammen mitder Ausstattungsassistentin, im dritten Jahr etwasEigenes auf die Beine stellen. Natürlich waren dieMöglichkeiten für Anfänger limitiert: Der zur Verfügunggestellte Raum war klein, und höchstens zwei Schauspieler,hieß es, stünden zur Verfügung. Ich hatte vomArchiv einer Sprachforscherin erfahren, das 5000Liebesbriefe beherbergte. Nicht von berühmtenSchriftsteller:innen, sondern von Laien, die wegen derLiebe zu faszinierenden Autor:innen geworden waren.Mir war klar: Diese Texte brauchen eine Vielstimmigkeit,und so haben wir nicht nur die beiden Schauspielerbesetzt, sondern die gesamte Belegschaft des Hausesvon den Schneider:innen über das Kassenpersonal biszu den Techniker:innen. Alle haben Briefe eingelesen,wir speicherten sie auf Kassetten und errichteten indem kleinen Raum eine »Audio-Bar«, an der sich dieZuschauer zum Glas Wein anhand eines kleinen Katalogsund unserer Beratung mehrere Kassetten ausder entstandenen Hörbibliothek ausleihen konnten,um sie vor Ort zu hören. Die Leitung des Neumarktsfand die Idee zwar sympathisch, war aber überzeugt,dass diese in einem Theater nicht funktionieren könne.Ich sah das anders, mich interessiert Theater vor allemals Ort, an dem Menschen zusammen kommen undsich für eine bestimmte Zeit auf eine gemeinsameErfahrung einlassen. Wir waren dann dauernd ausverkauftund es war vollkommen beglückend, wie dieBesucher:innen reagiert haben.Das Projekt 5000 Liebesbriefe hat dir dann auch gleich eineEinladung zu den Wiener Festwochen gebracht, an denendu das Projekt weitergeführt hast. Alle deine Arbeitensind Langzeitprojekte, die dich über viele Jahre begleiten.War dies von vornherein geplant?Inzwischen ist es geplant, da es mir entspricht, längereZeit an einem Thema zu arbeiten, und weil eseine wunderbare Art des Reisens ist, an neuen Orten209
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Liebes Publikum!»Mir fehlt etwas,
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