Was dabei auffällt, ist zunächst ein Paradoxon: Die Überbietungdurch Erhöhung der zur Bestimmung freigegebenenParameter der Arbeit führt gerade aus der Linearität,der sie vorderhand zu gehorchen scheint, hinaus, hineinin aufeinander verwiesene Dimensionen. Auch der Begriffder erhöhten Komplexität oder andere metalineareBeschreibungen von Steigerung greifen nicht, weil, unddas ist das andere, Erhöhung von Komplexität und Überbietungim oben beschriebenen Sinne gerade nicht kompatibelsind – hier sich aber begegnen. Wie das?Es ist zunächst nicht das Geflecht von initiierten Bewegungenund Abläufen, das den Eindruck von Überbietungauslöst, sondern das, was jeweils in den einzelnen Abläufengeschieht. Rapper:in, Sänger:innen, Band, Partiturarbeiten je für sich – und das kann ich für das ProjektD•I•E nur aus den gegebenen Infos zu Zeiten seiner nochnicht abgeschlossenen Entwicklung extrapolieren, aberich weiß es von früheren Arbeiten desselben Künstlers –und werden bzw. sind in sich bzw. für sich je lauter, drastischer,schneller, vertrackter, intensiver. Wenn sie dagegenaufeinandertreffen und von Codings eingehegt werden,tendieren sie dazu, diese offensichtlichen Eigenschaftenund Reize zu verlieren: zumindest für die Wahrnehmungdes Publikums; denn dessen Aufmerksamkeit richtet sichnun auf den größeren Zusammenhang. Nur, auch diesesErgebnis, das zuverlässig bei klassischen sogenanntenGesamtkunstwerken einzutreten pflegt, entsteht beiWertmüller, so wie ich seine Arbeit bisher erlebt habe,nicht dauerhaft: Die Wahl der beteiligten Genres, Traditionen,Sozialformen und Medien vertretenden Mitwirkendenist so angelegt, dass die innere Logik ihrer jeweiligenPraktiken nicht nur Überbietungs- und Radikalitätsformenkennt, die sich leicht verselbstständigen (Lautstärke, Geschwindigkeit,physische Anstrengung), sondern auchdass der Steigerungsgedanke in den von ihnen vertretenenFormen sich zuallererst asozialisieren muss, bevorer sich eventuell wieder sozialisieren kann. Asozialität isthier anders zu bewerten als Dissonanz oder Dissens, sieweicht nicht innerhalb eines gegebenen Systems möglicherEinigung unter Bedingungen der Nichteinigung ab,sondern hält eine solche Einigung gar nicht für möglich.Wie verhalten sich die Ausgangspunkte zu diesen Wegen:Rainald Goetz und Albert Oehlen haben gemeinsam einBuch, D•I•E1, mit Texten bzw. Gedichten und Bildern, alsoIllustrationen, Zeichnungen gestaltet, das 2010 erschienenist. Die Gedichte von Goetz lassen sich nicht auf Themen,Positionen, Inhalte irgendeiner Art festlegen, dennoch(oder gerade deswegen) enthalten sie eine Vielzahl vonKonkreta in der Nähe von Eigennamen (»Ölbaron«, »Sittenstrolch«,»Turbo«, »Madonna«), also auch die Art vonKonkretheit, die Massenmedien durch häufigen Gebraucheiner Bezeichnung für eine bestimmte Person oder Sacheherstellen. Allerdings enthalten die Texte eine noch höhereAnzahl an allgemeinen (»Haufen«, »Nacht«, »hoch«) oderShifter-Vokabeln (»dem da«, »die da«), sodass sie stetsauf einem gespannten Seil zwischen Festlegung undKappung der Festlegung zu schwingen scheinen.Die Zeichnungen Oehlens können als alle drei Zeichentypenim Sinne von Charles Sanders Peirce gesehenwerden: als Ikone (sie sehen einer Gestalt meistens abstrakt,aber nicht immer ähnlich), als Index (sie verwiesenspurenartig auf eine besondere körperliche Präsenz desKünstlers) und als Symbole (sie können als Zeichen einerTanzpartitur verstanden werden). Der Zusammenhangzwischen Texten und Bildern hat eine ähnliche Spannung:Ist sie eine unbegründete Setzung ins Nichts, die vonnichts anderem als dem Entschluss der beiden Urheberzeugt und deswegen die besondere Autorität der creatioex nihilo trägt? Oder handelt es sich um eine gemeinsameBemühung um Annäherung an ein sich vorher gegebenesThema, das in der vorläufigen Gestalt des Themas, desVorhabens, des Ziels nur den beiden bekannt ist?Dieser extrem offenen und doch an Worte wie »Irrenanstalt«oder »Werkstatt« gebundenen, als Partitur zu vernachlässigendenund dann als Zeichnungen doch wiederüberpräzisen, sich als Notation anbietenden Vorgabe nähertsich das Musiktheater, indem es nicht interpretiert, alsosich in möglicher Semantik verliert und diese dann wiederrückübersetzt, sondern alle Teile – die Vorarbeiten Wertmüllers,sein musikalisch-künstlerisches Gedächtnis, echteund vermeintliche Semantik, Lesen der Vorgabe alsSprechakte, Aufforderung, Urteil, Partitur – durch ihrerseitsextrem vorgeprägte, durch soziale Verhältnisse, Rezep tionsundProduktionsroutinen und -traditionen zugespitztemusikalische und darstellerische Dynamik in alle denk barenRichtungen explodieren lässt, es dem maximal hin- undhergerissenen Publikum überlassend, ob es die systemischeoder antisystemische Zusammenhangsbildung hinkriegt– oder auch von ihr in einem unerwarteten Momenthinterrücks überrascht wird. Dabei bleibt Rap Rap, Jazzbleibt Jazz und »Irrenanstalt« und »Werkstatt« bleiben»Irrenanstalt« und »Werkstatt«. Wie es singt und lacht.Am 21 .4. 2008 veröffentlichte DIEDRICH DIEDERICHSEN einenArtikel über Michael Wertmüller in der Berliner Zeitung.Der Leser Rainald Goetz schreibt darüber auf seinemBlog: »Komm nicht ins Offene!, rief die Überschrift derKulturaufmacherseite, ebenfalls hölderlinisch inspiriert,aber heftig umgekippt ins Gegenwärtige, aus, stürze dichin den unentwirrbaren Prozess! In jeder Zeile des Artikelsstand eine Information, von der ich noch nie etwas gehörthabe, und alles klang so, dass ich sofort gerne auch etwasdarüber wissen würde.« Diedrich Diederichsen ist Wegbegleiter,Kritiker und Freund von Albert Oehlen, RainaldGoetz und Michael Wertmüller. In seinem Schreiben undDenken über ihre Arbeit sind der Maler, der Autor und derKomponist verbunden. Seit den 80er-Jahren hat er sicheinen Namen als Theoretiker von Pop, Politik und neuesterKunst gemacht. Er lehrt seit 2006 an der Akademie derbildenden Künste Wien und lebt in Berlin und Wien.1 Albert Oehlen und Rainald Goetz, D•I•E, Künstlerbuch, Berlin 2010.194
KLANG, DERRÄUMEAUFSCHLIESSTZUM KONZERTPROGRAMMDER RUHRTRIENNALE 2021VON BARBARA ECKLEKONZERT IM MORGENGRAUENChris Watson / Maurice Ravel / Salvatore SciarrinoKonzert am 14. August 2021Siehe S. 12 _______________ www.ruhr3.com/morgenSTIL IST GEWALTTATPatricia Alessandrini / Luciano Berio / Claude Debussy / Arnold SchönbergKonzert am 21. August 2021Siehe S. 40 _______________ www.ruhr3.com/stilVISIONARY ARCHITECTSEdgar Varèse / Iannis Xenakis / Anton BrucknerKonzert am 28. August 2021Siehe S. 46 _______________ www.ruhr3.com/visionaryTHE HISTORY OF PHOTOGRAPHY IN SOUNDMichael FinnissyKonzerte am 4. und 5. September 2021Siehe S. 54 _______________ www.ruhr3.com/history195
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