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Festivalkatalog der Ruhrtriennale 2021-V3

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Zwei Schweizer Schlagzeuggrößen treffen sich bei der Ruhrtriennale wieder: Lucas Niggli

als Drummer von Steamboat Switzerland im Musiktheaterprojekt D•I•E und Fritz Hauser,

musikalischer Kopf der Konzertperformance POINT LINE AREA und Solist in Spettro.

Ein Plausch mit Johanna Danhauser über Risikospiel, Schießbuden und Flaschengeister.

Johanna Danhauser (JD): Wie habt ihr euch kennengelernt?

Lucas Niggli (LN): Der Fritz hat mich 1991 bei einem

Doppelkonzert im Migros-Hochhaus in Zürich kennengelernt.

Ich kannte das Wesen seiner Musik aber schon

lange aus der Publikumsperspektive, weil ich bereits als

junger Schlagzeuger auf seinen Konzerten war.

Fritz Hauser (FH): Dieses Doppelkonzert war ziemlich

gut. Lucas war mit seinem Trio Kieloor Entartet da, ich

mit Adelhard Roidinger und Urs Leimgruber zur freien

Improvisation. Als wir am Nachmittag ankamen, hattet

ihr schon tonnenweise Material in dieses Hochhaus

geschleppt und Soundchecks ohne Ende gemacht.

Wir haben nur unsere drei Sachen abgestellt und sind

essen gegangen. In dieser Free-Jazz-Phase sind wir

von giftigen Soundchecks weggekommen. Weil wir die

Tourneen mit dem Zug gemacht haben, musste ich

mir ein Schlagzeug zusammenstellen, das ich alleine

transportieren konnte. Du hast immer noch eine große

Schießbude, oder?

LN: Ich brauche immer weniger. Aber es stimmt, wir

haben dazu geneigt, sehr aufwendige Projekte zu realisieren.

Dazu gehörten Experimente mit Live-Elektronik,

als Computer noch wirklich alte Schwarten waren.

Wir haben keinen Aufwand gescheut. Dieser Perfektionismus

verbindet uns eigentlich, Fritz.

FH: Du bist mir jedenfalls als energiegeladener junger

Musiker in Erinnerung geblieben. Später hatten wir

ja dann das Trio Klick mit Peter Conradin Zumthor.

Das war eigentlich meine erste Erfahrung in einem

Schlagzeugensemble auf Augenhöhe: Es ging nicht

um schneller, lauter, komplizierter, sondern darum, uns

gegenseitig hochzuschaukeln. Man konnte auch offen

über kompositorische Ideen diskutieren, ohne dass

dann einer sofort beleidigt war.

JD: Schlagzeuger:innen sind in Bands oft alleine. Ihr beide

sucht aber in auffällig vielen Projekten den Kontakt zu

Kolleg:innen. Was gibt euch das?

LN: Man lernt so viel von den anderen: welche Instrumente

sie auswählen, wie sie aufbauen, hören, üben …

Im Schlagzeugensemble finde ich vor allem das Unisono

spektakulär. Dieses Synchronspiel hat auch etwas

Tänzerisches. Und dabei ist das Schlagzeug eigentlich

ein individualistisches Instrument.

FH: Man braucht eigentlich überhaupt keine anderen

Instrumente, wenn man mal begriffen hat, wie vielfältig

das Schlagzeug ist.

JD: Fritz, mit 64 Schlagzeuger:innen in POINT LINE AREA.

Ein Perkussionsritual treibst du es auf die Spitze.

FH: Ja, vor allem kann ich mit 64 Schlagzeuger:innen

auch unglaublich leise Klangflächen generieren. Mit

dem Piano ist es wie mit dem Licht: Um es gleichmäßig

dunkel zu machen, braucht es viele Lampen. In

der Masse entsteht eine Klanggewalt, die auch dynamisch

Ungeheures auslösen kann. Alle haben dasselbe

Instrumentarium, aber die Spielmöglichkeiten sind

endlos. Die Komposition ist als Zeitpartitur konzipiert,

das heißt, wir starten zusammen die Stoppuhr und

niemand muss auf einen Dirigenten schauen. Es kann

ein wildes Durcheinander geben, das letztlich durch

die Musik wie von Geisterhand synchronisiert wird.

Aber es sind eben auch 64 verschiedene Trommeln,

64 verschiedene Becken und 64 verschiedene Menschen.

Die Individualität beim Schlagzeugspielen ist

entlarvend, aber wir werden mit dieser Heterogenität

präzise arbeiten.

JD: Konträr zu diesem Großprojekt gibst du auch ein Solokonzert

in der Gebläsehalle.

FH: Spettro! Das ist in meinem Haus in Italien entstanden.

»La Casa delle Masche« (»Das Geisterhaus«).

Man sagt, dass es dort spukt. Barbara Frey und ich

haben viel über die seltsame Energie dort gesprochen

und dann beschlossen: Wir machen Musik, wie die

Geister sie machen, wenn wir nicht da sind. Normalerweise

beginne ich meine Solokonzerte eher poetisch-verästelt,

aber Spettro ist grundsätzlich anders.

Da steckt viel von Barbara drinnen, von ihren Ideen

und ihrer Kritik. Uns geht es nicht um beeindruckende

Techniken, sondern um Alchemie. Es geht um die Frage,

ob man den Geist der Musik aus der Flasche lassen

kann, es geht um Fokus und Hingabe: rein ins Ritual.

Nach Spettro wird es noch ein Nachglühen geben. Ich

liebe es, nach dem Konzert noch ohne Druck eine Improvisation

zu machen. Mit dem Publikum, das dann

noch nicht nach Hause gegangen ist, kann man noch

einen Schritt weitergehen.

JD: Wie kann man solche Erfahrungen an Studierende

oder Schüler:innen vermitteln?

FH: Ich sage den Studierenden, dass es vergebene

Liebesmühe ist, mit 30 % zu üben. Man muss immer

voll da sein. Selbst wenn man in einem Konzert kaum

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