Der Großvater Ein Lebensbild gezeichnet von AZ - Licht und Recht
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Die öffentliche Tätigkeit. 70<br />
gaben, konnte freilich die städtische Behörde nichts weiter tun, so lange die Kirchengemeinde selbst<br />
sie für unmöglich erklärte.<br />
Mit der dritten größeren Gemeinde endlich war über die Berechnungsweise <strong>und</strong> den Betrag der<br />
ihr zu übergebenden Summe kein Verständnis zu erzielen.<br />
Unter solchen Umständen musste auf den Wunsch, die kirchliche Armenpflege wieder herzustellen,<br />
für jetzt <strong>und</strong> auf unbestimmte Zeit verzichtet werden, <strong>und</strong> es blieb nur übrig, die bürgerliche<br />
Armenpflege als solche umzugestalten.<br />
Das langjährige Bestehen der alten bürgerlichen Armen-Verwaltung hatte die Ursachen ihrer<br />
mangelhaften <strong>und</strong> vorderblichen Wirksamkeit hinreichend klar gemacht. Es waren keine anderen als<br />
diejenigen, welche ich oben als die allgemeinen Ursachen des Verfalls der bürgerlichen Armenpflege<br />
in den großen Städten bezeichnet habe: ein rein amtliches, äußerliches, erstarrtes Wesen. Es handelte<br />
sich also darum, den Organismus zu beleben, die toten Formen mit dem Geiste der opferwilligen,<br />
tatkräftigen Liebe zu erfüllen. Aus diesem Standpunkte wurde die alte Armen-Ordnung in allen<br />
ihren Bestimmungen sorgsamst geprüft; alles, was jenes alte Wesen fördern konnte <strong>und</strong> erfahrungsmäßig<br />
gefördert hatte, wurde daraus verbannt <strong>und</strong> durch Bestimmungen ersetzt, welche geeignet erschienen,<br />
um jenen lebendigen Geist zu wecken <strong>und</strong> dauernd zu bewahren.<br />
Das Ergebnis dieser Arbeit war ein neues Statut für die Armen-Verwaltung, welches in seinen<br />
Gr<strong>und</strong>zügen so wesentlich <strong>von</strong> dem abweicht, was bisher üblich gewesen oder auch nur für möglich<br />
oder zulässig erachtet worden war, dass man dasselbe nicht ohne Besorgnis in das Leben treten sah.<br />
Es sind namentlich drei Gr<strong>und</strong>sätze, in welchen der eigentliche Charakter dieses Statutes <strong>und</strong><br />
seine wesentliche Verschiedenheit <strong>von</strong> den übrigen mir bekannten ausgeprägt ist, nämlich:<br />
1) die unbedingte Verpflichtung der Pfleger zu persönlicher Untersuchung <strong>und</strong> fortgesetzter<br />
Kontrolle der Verhältnisse der Armen, sowie zur persönlichen Verabreichung der Almosen<br />
an dieselben unter gänzlichem Ausschluss aller Vermittelung durch Beamte irgend einer Art;<br />
2) die unmittelbare Bewilligung der Almosen durch die Pfleger selbst, ohne direkte <strong>Ein</strong>wirkung<br />
des nur kontrollierenden <strong>und</strong> die Gr<strong>und</strong>sätze feststellenden vorgesetzten Verwaltungs-Kollegiums;<br />
3) Die Beschränkung des Geschäftskreises der Pfleger auf die Sorge für eine möglichst kleine<br />
Zahl <strong>von</strong> Familien oder <strong>Ein</strong>zelnstehende, welche in der Regel 4 nicht übersteigen soll.<br />
1. Die vollständige <strong>und</strong> nachhaltige Erfüllung der ersten Vorschrift ist eine überaus schwierige<br />
Aufgabe. Hier ist nicht bloß die eigene Trägheit <strong>und</strong> Bequemlichkeit, nicht bloß der störende <strong>Ein</strong>fluss<br />
der Geschäfte <strong>und</strong> Zerstreuungen des Tages zu bekämpfen, sondern oft auch – <strong>und</strong> dies ist das<br />
Allerschwerste – die natürliche Scheu des Menschen vor der unmittelbaren Berührung des Ekelhaften,<br />
die Besorgnis vor eigener Verunreinigung <strong>und</strong> Ansteckung zu überwinden. Es liegt aber gerade<br />
hierin das wesentlichste <strong>und</strong> entscheidende Moment. Nur durch fortgesetzten persönlichen Verkehr<br />
mit dem Armen ist es möglich, seine Not in ihrem ganzen Wesen <strong>und</strong> in ihren Ursachen zu erkennen<br />
<strong>und</strong> die rechte Art der Hilfe zu bemessen, alle Veränderungen in den Zuständen, äußerliche <strong>und</strong><br />
innerliche, mögen sie eine Folge der angewandten Mittel oder anderer Umstände sein, sofort zu gewahren<br />
<strong>und</strong> die Behandlungsweise entsprechend zu ändern, kurz einen jeden der vielfach verschiedenen<br />
Fülle in seinem ganzen Verlaufe nach seiner ganzen Besonderheit zu behandeln. Nur auf diese<br />
Weise, wenn der Arme, inmitten seiner Familie <strong>und</strong> Häuslichkeit, ganz persönlich <strong>und</strong> menschlich<br />
dem Pfleger gegenüber tritt, kann in diesem das volle Gefühl seiner christlichen Liebespflicht,<br />
seines Nächstenberufes, die erkältende Vorstellung der bloß amtlichen Aufgabe kräftig überwinden<br />
<strong>und</strong> dagegen den Sieg behalten. Nur auf diesem Wege kann der Arme die brüderliche Hand erken-