Show publication content!
Show publication content!
Show publication content!
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
136<br />
Detlef Karg<br />
Fest steht, dass die Verwendung des Bauschmucks in den<br />
Wohnkomplexen maßgeblich von Walter Ulbricht verfügt wurde,<br />
um der „Sozialistischen Architektur der Nationalen Bautradition“<br />
zum Durchbruch zu verhelfen. (Abb. 6)<br />
In dem 1955 begonnenen Wohnkomplex III, dessen Architektur<br />
schon von einer Vereinfachung kündet, lässt sich der<br />
Drang zur Bauornamentik dennoch nachvollziehen, wenngleich<br />
kleinlicher und nicht zu unrecht dem Geist des Handwerks<br />
und der Kleinstadt zuzuschreiben. Doch noch bezeichnender<br />
für die Abkehr von den Postulaten der nationalen Traditionen<br />
waren die im III. Wohnkomplex erkennbaren Ansätze des<br />
Übergangs zu einer offeneren Bauweise, also die Hinwendung<br />
zu dem bislang negierten Konzept der „Stadtlandschaft“ westlicher<br />
Prägung. Dieser Kurswechsel folgte den Unruhen im Juni<br />
1953, die schon das Ergebnis der sich insbesondere im Bauwesen<br />
abzeichnenden Diskrepanz von Anspruch und Wirklichkeit<br />
waren. Gestärkt wurde er letztlich aber durch die Kritik Nikita<br />
Chruschtschows an das sowjetische Bauwesen im Jahre 1954.<br />
(Abb. 7) Das neue Ziel war der Wohnungsbau, der uneingeschränkt<br />
bei gleichzeitiger Abkehr von der nun als zu aufwendig<br />
charakterisierten Architektur der Nationalen Bautradition zu<br />
forcieren war. Dieser aus materiellen und fi nanziellen Gründen<br />
unabwendbare Spagat wurde gestützt durch die Umbewertung<br />
des Ästhetischen als Ausdruck des Utilitären. Es war aber auch<br />
der Wechsel vom konventionellen Bauen zu einem industrialisierten<br />
Wohnungsbau, um den sich zunehmend dramatisierenden<br />
Wohnungsproblemen in der DDR zu begegnen. Unter dem<br />
Motto „Besser, schneller und billiger bauen“ erfolgte im Jahre<br />
1955 der Start für die Industrialisierung des Bauwesens in der<br />
DDR mit der Herausgabe von Richtlinien für die Typenprojektierung<br />
sowie einer neuen Typenordnung. Und so wird 1957<br />
im zweiten Fünfjahresplan mit dem Aufbau der neuen, gleichfalls<br />
als sozialistisch gekennzeichneten Stadt Hoyerswerda in<br />
der Plattenbauweise begonnen. Auch in Stalinstadt wirkten die<br />
Hinweise auf der nachfolgenden Baukonferenz. In dieser Übergangsphase,<br />
in der Verabschiedung der sonderlichen Paarung<br />
handwerklich kleinlicher Baudekoration und monumentalen<br />
Repräsentationswillen, werden erste Ansätze zum internationalen<br />
Vorbild, wenngleich mit einem Zeitverzug, spürbar. 11<br />
Mit Herbert Härtel tritt 1955 ein Architekt der ersten in<br />
der DDR ausgebildeten Architektengeneration auf den Plan.<br />
Sie prägt nun wesentlich das weitere Baugeschehen in Stalinstadt,<br />
angelehnt, wie Härtel später selbst bekundete, am westlichen<br />
Vorbild. 12<br />
An der Ostseite der Magistrale – entstanden war 1953<br />
lediglich das Hans-Wolf-Theater an der Westseite – platzierte<br />
er 3 neungeschossige Punkthochhäuser und akzentuiert<br />
sie zudem durch ihr Vorspringen vor der den Straßenzug<br />
begleitenden Ladenstraße. Sie vermitteln nun zwischen der<br />
Hochofengruppe des Eisenhüttenwerkes – der repräsentative<br />
Werkseingang stand nicht mehr zur Debatte – und der Stadtanlage.<br />
Ihren südlichen Abschluss fi ndet die Magistrale in dem<br />
Kaufhaus und Hotel, die wie Kopfbauten wirken, denn bis<br />
zum heutigen Tag blieb der Zentrale Platz unbebaut. Dieser<br />
11 wie Anm. 2, S. 36 ff. und Anm. 3, S. 405 ff.<br />
12 wie Anm. 2, S. 38<br />
Straßenzug muss den Vergleich mit internationalen Beispielen<br />
keineswegs scheuen – im Gegenteil! (Abb. 8)<br />
Von 1958 bis 1961 entsteht der IV. Wohnkomplex. Er<br />
entsprach in seinem Flächenzuschnitt noch ganz den Planungen<br />
von 1953. Seine Innengliederung offenbarte jedoch<br />
Verdichtungstendenzen, die offensichtlich der Not eines gestiegenen<br />
Wohnraumbedarfs folgten. Sie versagten sich der<br />
Blockbebauung und wandten sich dem freistehenden Wohnblock<br />
zu. Damit rückte die Bebauung in die Nähe der Erscheinungsbilder<br />
des im Westen schon im Rückzug begriffenen<br />
Konzepts der aufgelockerten Stadt. Und noch etwas ist an diesem<br />
Wohnkomplex bemerkenswert: In ihm kamen typisierte<br />
Ziegelbauten zum Einsatz. (Abb. 9)<br />
Mit diesen vier Wohnkomplexen, die sich um die Magistrale,<br />
der früheren Lenin- und heutigen Lindenstraße und<br />
dem Zentralen Platz, lagern, war die ursprünglich gedachte<br />
Ausdehnung der Stadtanlage erreicht. Sie vereint nun die<br />
vielschichtigen Beweg- und Hintergründe nationaler und internationaler<br />
Entwicklungstendenzen der Architektur und des<br />
Städtebaus in der DDR in einer nahezu 10-jährigen Planungs<br />
und Baugeschichte. Und am Ende dieses Entwicklungsabschnittes<br />
steht wieder eine neue Namensgebung: 1961 – im<br />
Jahr des Baus der Berliner Mauer – wird Stalinstadt in Eisenhüttenstadt<br />
umbenannt – acht Jahre nach dem Tod Stalins und<br />
sieben Jahre nach der vernichtenden Kritik Nikita Chruschtschows<br />
über die Baupolitik der Stalinära.<br />
Schon das von mir hier nur skizzenhaft vorgetragene Resümee<br />
der jüngsten Forschungsergebnisse zur Entstehung und<br />
zum Werden dieser Stadt kann, so hoffe ich, für sich sprechen<br />
und dürfte wohl kaum Zweifel an ihrer Bedeutung als Dokument<br />
von Architektur und Stadtentwicklung als Nachkriegserbe<br />
in der DDR, Deutschlands und wohl auch noch darüber<br />
hinaus aufkommen lassen.<br />
Mit den vier Wohnkomplexen war die Entwicklung in<br />
Eisenhüttenstadt nicht beendet. Schon 1953 bestanden Überlegungen,<br />
die Ost-West-Achse, die Straße der Republik, nach<br />
Osten in Richtung Fürstenberg an der Oder zu führen. Und so<br />
wird der expandierenden Stadt von 1960 bis 1963 an ihrem<br />
Südostrand ein fünfter Wohnkomplex in Großblockbauweise<br />
und Zeilenstellung angefügt.<br />
In ihm war die vollständige Durchgrünung, die offene<br />
Verbindung zur Landschaft erreicht. Doch man wird nicht<br />
ganz fehl gehen, wenn darauf verwiesen wird, dass diese sich<br />
den Wohnhöfen völlig versagende Gestaltung anfangs mehr<br />
dem industriellen Bauverfahren als den internationalen Tendenzen<br />
von Stadtentwicklung geschuldet war.<br />
Auch wird nun die weiträumige Bebauung mit ihrer großzügigen<br />
Raumbildung der Blockbebauung mit ihren isolierten<br />
Höfen, ihrem vermeintlichen Widerspruch zwischen Straße<br />
und Hofraum gegenübergestellt und sogar den sozialistischen<br />
Lebensbeziehungen der Menschen als befördernd charakterisiert.<br />
Welch ein Wandel, um auch so die notgedrungenen<br />
industriellen Bauverfahren und die Entwicklungen in Architektur<br />
und Städtebau politisch konsensfähig zu machen.<br />
Dem V. folgte der VI. Wohnkomplex, ebenfalls nach<br />
Osten gerichtet und schon an die alte Stadt Fürstenberg