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Zwischen Heimatschutzarchitektur und Nationaler Tradition – Einfl üsse der Stuttgarter Schule in Ostdeutschland nach 1945<br />
aber nie gedruckte „Analyse der nationalen Traditionen in der<br />
DDR“ vor. 40 Im Widerspruch zu bereits bestehenden, in ihrer<br />
Monumentalität und Ornamentfreudigkeit am Berliner Beispiel<br />
orientierten Planungen einzelner Aufbaustädte versuchte<br />
er einen generelleren baugeschichtlichen Zugriff. Er unterteilte<br />
– ganz in der volkskundlicher Tradition der Defi nition von<br />
Hauslandschaften – die DDR in vier Baukultur-Landschaften,<br />
die er mit „charakteristischen Stilepochen“ zu verbinden<br />
trachtete: „Ostseeküste“, „Brandenburg-Anhalt“, „Sachsen“<br />
und schließlich „Thüringen und Harz“, mit denen sich jedoch<br />
kein spezieller Stilbegriff oder Formenkanon zusammenbringen<br />
ließ. Wie traditionalistisch erzogene Architekten in der<br />
BDA-Bezirksgruppe Suhl diese unpräzise Zuweisung nutzten,<br />
um ihre eh und je gepfl egte Baugesinnung mit dem in Berlin<br />
gesuchten ‚guten deutschen Bauerbe’ in Übereinstimmung zu<br />
bringen, zeigen der von diesen geprägte Begriff der „Architektur-Tradition<br />
des Thüringer-Waldes“ 41 und entsprechende Planungen,<br />
wie für ein gewerkschaftliches Ferienheim des FDGB<br />
(Abb. 14), das an Vorbilder nationalsozialistischer Heimatschutzarchitektur<br />
in der Manier von Julius Schulte-Frohlinde<br />
erinnern kann<br />
Noch während Gericke seine Forschungsansätze und<br />
Theoriebildungen verfolgte und die Bauakademie eine Reihe<br />
von größeren baugeschichtlichen Publikationen aufnahm,<br />
deutete sich ein grundsätzlicher Kurswechsel an. Im Jahre<br />
1954 rief Nikita Chruschtschow in der Sowjetunion den Beginn<br />
einer neuen Entwicklungsphase der sozialistischen Gesellschaft<br />
aus, die „wissenschaftlich-technische Revolution“. 42<br />
Seine Abrechnung mit Josef Stalin und der politische Kurswechsel<br />
machten auch vor der sog. Zuckerbäcker-Architektur<br />
der Stalinjahre nicht halt. Unter der Devise „besser, schneller,<br />
billiger bauen“ setzte eine umfassende „Industrialisierung des<br />
Bauens“ und eine forcierte Rationalisierung durch Typenprojekte<br />
ein, die schließlich auch auf die DDR übergriff. 43<br />
40 Gericke nach Düwel 1995 (wie in Anm. 3), 121<br />
41 IRS Erkner, Wissenschaftliche Sammlungen, BDA-Antragsbogen<br />
Nr. 4245. Daß die Suhler Architekten auf eigene Faust ‚ihren Traditionen’<br />
nachgingen, bestätigte Hans Gericke gegenüber dem Verfasser<br />
am 15.10.2002.<br />
42 vgl. S. Hain: Abenteuer in Beton. Industrialisierung des Bauens in<br />
der DDR, in: Deutsche Bauzeitung 9/2000, 40<br />
43 Vor allem in der Deutschen Bauakademie wehrte man sich gegen<br />
Auslegungen der neuen Baupolitik Chruschtschows, die eine ”Wiederherstellung<br />
der konstruktivistischen und funktionalistischen<br />
Architektur” befürchten ließen. Der Präsident der Deutschen Bauakademie,<br />
Kurt Liebknecht, dem die Architektur der Nationalen<br />
Tradition auch die ironische Bezeichnung „KuLiNatra“ (=Kurt<br />
Liebknechts nationale Tradition) verdankte, betonte vorerst, daß<br />
in der sowjetischen Architektur tatsächlich kritikwürdige ”Verzerrungen”<br />
entstanden seien, die bei den Bauten des nationalen Aufbauwerks<br />
in der DDR nicht vorlägen. Auch die I. Baukonferenz<br />
der DDR, die im April 1955 eigens zur Auswertung der Moskauer<br />
Allunionstagung durchgeführt wurde, bestätigte die ”prinzipielle<br />
Richtigkeit” des eingeschlagen Weges. Gleichzeitig räumte man die<br />
Fehler, besonders in der ӆberbetonung der ideellen Seite der Architektur<br />
gegenüber der materiellen” ein. Escherich – Wieler 2000<br />
(wie in Anm. 16), 51f.<br />
Der Fertigungs- und Konstruktionsspezialisten Heinrich<br />
Rettig nahm als Architekt bald auch eine führende Stellung auf<br />
dem Gebiet industrialisierten Bauens ein. Andere Vertreter der<br />
Stuttgarter Schule, wie Felix Riehl (1910-1992), der Stadtarchitekt<br />
von Halle, zogen sich im Laufe der 1960er Jahre zurück<br />
oder bekleideten weniger exponierte Posten. Ein wichtiges Refugium<br />
bot – noch mehr als in den Vorjahren – die praktische<br />
und behördliche Denkmalpfl ege. Neben Albert Mayer und<br />
Bernhard Klemm ist hier auch Hans Berger (1919-1993), der<br />
ehemalige Chefkonservator von Sachsen-Anhalt, zu nennen.<br />
Letzterer erhielt nach dem Mauerfall 1991 für sein Lebenswerk<br />
den Karl-Friedrich-Schinkel-Ring des Deutschen Nationalkomitees<br />
für Denkmalschutz.<br />
Anmerkung<br />
* Bei dem vorliegenden Text handelt es um eine gekürzte<br />
Fassung des Beitrages des Verfassers „Heimatschutzarchitektur<br />
in der SBZ und DDR. Die Architekten der Stuttgarter Schule<br />
1945-55“ in: Bericht über die 44. Tagung für Ausgrabungswissenschaft<br />
und Bauforschung der Koldewey-Gesellschaft in<br />
Wroclaw/Breslau 2006, Stuttgart 2008, S. 37-51.<br />
Abb. 1. Fenstergewände-Rahmen, Baustelle Kindergarten in Zwickau-Planitz,<br />
1952, Arch.: Heinrich Rettig<br />
(Foto aus Heinrich Rettig: Baukunst und Massenfertigung,<br />
Leipzig 1954, S. 13<br />
Abb. 2. Altenhof/Sachsen, 4-klassige Grundschule, 1950, Arch. Heinrich<br />
Rettig<br />
(Foto aus Heinrich Rettig: Sparsame Schulbauten, Leipzig<br />
1955, S. 28)<br />
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