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56<br />
Mark Escherich<br />
Schirrmeister fast uneingeschränkt die regionale Baugesinnung.<br />
Der erste größere Bau war die Landesschule der Freien<br />
Deutschen Jugend (FDJ) in Erfurt, die wesentliche Merkmale<br />
zahlreicher späterer Bauten der beiden, vor allem für die Jenaer<br />
Universität, zeigt (Abb. 8). Die gleichförmigen Fensterpaare<br />
am südlichen Schaugiebel lassen die Mittelgangerschließung<br />
kaum erkennen. Wichtiger als der Ausdruck der inneren Disposition<br />
scheint die Geschlossenheit der quadratisch proportionierten<br />
Stirnfront über der Sockelzone und unter dem Giebeldreieck<br />
gewesen zu sein. Wie am Giebel sind auch an den<br />
Längsseiten die Möglichkeiten des Putzerhandwerks ausgeschöpft<br />
worden, um den Fassaden Schmuck zu verleihen. Die<br />
leicht zurück- bzw. vorgesetzten Putzstreifen des Giebeldreiecks<br />
und des Gurtgesims erinnern an ländliche Bauten „um<br />
1800“. Rettig empfahl sie in einer seiner Publikationen als<br />
besonders werkgerechte Erscheinungsform. 33 Auf teuren Werkstein<br />
wurde weitestgehend verzichtet. Auch das möglichst<br />
nicht zu durchbrechende Satteldach – wie es der Autor der<br />
Thüringer Baufi bel, Werner Vollrath, forderte 34 – die Traufe<br />
mit den sichtbaren Sparrenfüßen und der traufseitige Ortstein<br />
sind typisch für die Bauten von Fricke und Schirrmeister u. a.<br />
Anfang der 1950er Jahre.<br />
Das Geologische Institut der Universität Jena von<br />
1952/53 läßt dagegen einen höheren, gestalterischen Anspruch<br />
und mehr Strenge erkennen, wie es sich für einen Hochschulbau<br />
geziemt. Der ländliche Grundmodus wurde mit steinernen<br />
Elementen angereichert (Abb. 9), wie sie auch die Repräsentationsarchitektur<br />
der Zeit des Nationalsozialismus bisweilen<br />
zeigt. Einem Hörsaalgebäude, wie dem des Chemischen Instituts,<br />
wurde größerer architektonischer Reichtum in den Fassaden<br />
und ein aufwändigeres Giebel-Relief zugestanden (Abb.<br />
10). Hier wollten Fricke und Schirrmeister mit Bezug auf Aufklärung<br />
und Klassizismus die ‚Feierlichkeit’ des gesellschaftlichen<br />
Neubeginns zeigen 35 – offensichtlich ein Zeichen für das<br />
Eingehen auf die Forderungen der Architekturpolitik in Berlin.<br />
Auch das ein Jahr später von beiden Architekten entworfene<br />
Physikalischen Institut (Entwurf 1952, verwirklicht 1955/56)<br />
formuliert eine monumentale Geste.<br />
Von den „Nationalen Traditionen“<br />
zur „Industrialisierung des Bauwesens“<br />
Bei anderen Architekten aus dem Kreis der Stuttgarter<br />
Schule ist das formale Einschwenken auf das Leitbild der „Nationalen<br />
Traditionen“, abgekürzt „Nati-Tradi“ genannt, weniger<br />
deutlich zu beobachten. Heinrich Rettig beispielsweise<br />
folgte der allgemeinen baukünstlerischen Prachtentfaltung des<br />
Nationalen Aufbauwerkes nicht (Abb. 11). In seinem Streben<br />
33 vgl. H. Rettig: Typisierung und Normung im Bauwesen – ihr Einfl<br />
uß auf die künstlerische Gestaltung“, in: Rettig 1954 (wie in<br />
Anm. 21), 37<br />
34 vgl. W. Vollrath: Bedachung und Architektur, in: Deutsche Architektur,<br />
Jg. 1955, 408<br />
35 U. Hartung: Arbeiter- und Bauerntempel. DDR-Kulturhäuser der<br />
fünfziger Jahre - ein architekturhistorisches Kompendium, Berlin<br />
1997, 40<br />
nach dem Einfachen, dem Typischen und Sparsamen konnte<br />
er unter der Formenfülle der „Nati-Tradi-Phase“ gleichsam<br />
wegtauchen. Es seien – so Rettig ganz in der Diktion der Stuttgarter<br />
Schule – „ja gar nicht die Formen im einzelnen, ... die<br />
einem Bauwerk den Ausdruck geben, um würdig, großartig<br />
und feierlich oder behaglich und liebenswürdig zu erscheinen.<br />
... Es sind vielmehr die Maßverhältnisse im Ganzen, die Proportionen<br />
des Baukörpers, seiner Gliederung und seiner Öffnungen.“<br />
36<br />
Heinrich Rettigs Lebensweg ist allerdings nicht typisch<br />
für Absolventen der Stuttgarter Schule in der DDR. Soweit sie<br />
in der DDR verblieben, ist eher eine Hinwendung auf Nebenschauplätze<br />
des Architekturgeschehens zu beobachten. So hat<br />
es etwa in Bereichen des landwirtschaftlichen und gewerblichen<br />
Bauens starke traditionalistisch-baumeisterliche Kontinuitäten<br />
gegeben. In diesem Zusammenhang muß auch das<br />
kirchliche Bauwesen genannt werden, wo eine ‚tröstende Bindung’<br />
an eine gebaute Heimat als Gegenpol zum staatlichen<br />
Atheismus gewünscht war. Nicht wenige Architekten standen<br />
im Dienst der Kirche, so der Schmitthenner-Schüler Hans<br />
Koch (1902-1969), der ab 1950 das kirchliche Bauamt in Wittenberg<br />
leitete. 37 Albert Mayer aus Görlitz oder der Dresdener<br />
Professorenkollege Rettigs, Wolfgang Rauda (1907-1971) 38 , entwarfen<br />
als freie Architekten Anfang der 1950er Jahre in Sachsen<br />
schlicht anmutende, Landschaftsbezug suchende Gebäude,<br />
die nicht als Leitbauten der neuen Architekturdoktrin taugten<br />
(Abb. 12 u. 13). Um der „Größe des gesellschaftlichen Umbruchs“<br />
Ausdruck zu verleihen – so Ulrich Hartung – fehlte es<br />
der Heimatschutzarchitektur an der nötigen Monumentalität.<br />
Ihr scheint eine „Wertigkeit als ‚unterster Modus’ zugewiesen<br />
worden zu sein.“ 39<br />
Während der „Nati-Tradi-Phase“ konnten traditionalistische<br />
Architekten auch interessant werden für die Ostberliner<br />
Architekturpolitik, so wenn sie virtuos wie Fricke und<br />
Schirrmeister in Jena mit monumentalisierenden Stilzitaten<br />
spielten oder im Sinne der Lehre vom typologischen Entwerfen<br />
Forschungen zu regionalen Ausprägungen des Bauens betrieben.<br />
Am Institut für Theorie und Geschichte der Baukunst<br />
der Bauakademie der DDR bemühte sich seit Anfang 1951<br />
Hans Gericke, die formelhaften Verlautbarungen der SED und<br />
der DDR-Regierung zu konkretisieren und das >gute deutsche<br />
Bauerbe< für die Architekten in der Republik handhabbar zu<br />
machen. Damit war zumindest der ‚Werkzeugkasten’ der Heimatschutzarchitektur<br />
wieder aktuell geworden. Im Jahre 1953<br />
legte Hans Gericke eine erste, später mehrfach verfeinerte,<br />
36 Rettig 1954 (wie in Anm. 21), 20<br />
37 zu Hans Koch vgl. IRS Erkner, Wissenschaftliche Sammlungen,<br />
BDA-Antragsbogen Nr. 5735<br />
38 zu Albert Mayer vgl. IRS Erkner, Wissenschaftliche Sammlungen,<br />
BDA-Antragsbogen Nr. 6858 Wolfgang Rauda hatte während seines<br />
Studiums 1929 eigens für einen Entwurf bei Paul Bonatz für<br />
ein Semester an der Technische Hochschule Stuttgart belegt. Vgl.<br />
R. Koch: Leipzig und Dresden. Städte des Wiederaufbaus in Sachsen.<br />
Stadtplanung, Architektur, Architekten 1945-1955 (unveröffentlichte<br />
Diss.) Leipzig 1999, 302.<br />
39 Hartung 1997 (wie in Anm. 35), 40 und 50