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Pál Lővei<br />
und anschließend seine Renovierung in Angriff genommen<br />
wurde, erhielten diejenigen Personen, die sich am Kampf für<br />
die architektonischen Werte beteiligten, den Titel „Beschützer<br />
der Denkmäler des Kommunismus“. Dieses „Prädikat“ wurde<br />
unserem gerade neu gewählten Präsidenten ins Ohr gefl üstert<br />
– der allerdings kannte die seelischen Tiefen der Investoren<br />
so gut, dass er die Anschuldigung in die richtige Schublade<br />
einordnen konnte. Dies trifft auch für das Attribut „urkonservativ“<br />
zu, mit dem wir gebrandmarkt wurden, weil wir uns<br />
für das ursprüngliche Baumaterial und für die ursprüngliche<br />
materielle Substanz eingesetzt hatten.<br />
In den 1990er Jahren lehnte es die ministerielle Seite<br />
beispielsweise noch ab, die von 1951 bis 1953 errichtete Budapester<br />
Synchronwerkstatt (Arch.: Lajos Gádoros und István<br />
Mühlbacher) (Abb. 2) unter Denkmalschutz zu stellen – mit<br />
der trotzigen Bemerkung des Ministers: „Sozialistischen Realismus<br />
unterschreibe ich nicht“. Für den nachfolgenden Minister<br />
war es dann – mit Blick auf die architektonische Qualität<br />
und Einzigartigkeit der Werkstatt – kein Hindernis mehr, das<br />
aus Expertensicht unbedingt schützenswerte Gebäude unter<br />
Denkmalschutz zu stellen. In diesen Fällen gingen das Ungarische<br />
Architekturmuseum und die ungarische Denkmalschutzbehörde,<br />
d.h. die wissenschaftliche Abteilung des Denkmalamtes,<br />
Hand in Hand vor.<br />
Bereits 1996 stellten wir eine gemeinsame Liste mit<br />
denjenigen Gebäuden aus dem Vierteljahrhundert nach dem<br />
Zweiten Weltkrieg zusammen, die wir für besonders schützenswert<br />
hielten. Und im Jahre 2000 arbeiteten wir im Rahmen<br />
der Ausstellung „Die sich erweiternden Kreise der Denkmalpfl<br />
ege“ und im Katalog ebenfalls daran, Schutz und Pfl ege<br />
auf Bauwerke aus dem dritten Viertel des 20. Jahrhunderts<br />
auszuweiten. Es ist der Allgemeinheit – und den Politikern<br />
– nur schwer zu vermitteln, dass sich beim Denkmalschutz<br />
der Schwerpunkt immer mehr auf die Geschichtlichkeit der<br />
Denkmäler verlagert und dementsprechend nicht nur das,<br />
was schön ist, zu einem Denkmal erklärt werden kann. Und<br />
die Geschichte ist ein einheitlicher Strom, aus dem man die<br />
„unliebsamen“ Epochen nicht einfach weglassen darf. Daher<br />
werden – früher oder später – auch die Werke der Nachkriegszeit<br />
zum Gegenstand der architekturgeschichtlichen Analyse,<br />
und die charakteristischsten, am Maßstab ihrer Zeit gemessen<br />
niveauvollsten Gebäude können unter Denkmalschutz gestellt<br />
werden.<br />
In den 1950er und 1960er Jahren wurden in Ungarn<br />
sehr viele Gebäude errichtet: Wohnanlagen, öffentliche Gebäude,<br />
Betriebs- und Fabrikensembles, neue Städte und Stadtteile.<br />
Die Entwicklung des Tourismus, die Betonung der Wichtigkeit<br />
des Außenhandels, die – anfänglich langsame – Motorisierung<br />
und auch die Einrichtung von Fernsehsendern bildeten dann<br />
beispielsweise typische Merkmale der Kádár’schen Konsolidierung<br />
nach 1956, der vorsichtigen Öffnung nach Westen und<br />
der Bemühungen zur Anhebung des Lebensstandards. Dieser<br />
Prozess ging mit der Errichtung entsprechender Gebäudetypen<br />
einher. Auf den ersten Blick kann der Denkmalschutz<br />
aus einem riesigen Materialreservoir schöpfen. Das mehrfach<br />
angeführte Argument, wir sollten eine noch größere Distanz<br />
gewinnen und uns länger Zeit lassen, damit sich herauskristallisieren<br />
kann, was ausgewählt werden soll und was wirklich<br />
schützenswert ist, ist also nicht von der hand zu weisen. Allerdings<br />
darf die große Zahl von Gebäude nicht täuschen. Sehr<br />
Vieles wiederholt sich und ist anspruchslos – was natürlich ein<br />
Charakteristikum der Epoche ist. Und als solches ist es – in ein<br />
oder zwei Exemplaren – vielleicht auch schützenswert: Einige<br />
Gebäude der verschiedenen Typen von Plattenbauten können<br />
so – früher oder später – als Zeitdokumente auch auf die Liste<br />
des Denkmalschutzes gelangen. Es gibt aber auch eine Reihe<br />
wichtiger Gebäudetypen, die – unter historischen Aspekten –<br />
ein charakteristisches Produkt der Zeit darstellen, die aber nur<br />
in kleiner Zahl als Bauwerke verwirklicht wurden. Ihr Niveau<br />
ist schwankend, weswegen die Gelegenheit sehr leicht verpasst<br />
werden kann, die angemessensten, qualitativ hochwertigsten<br />
und frühesten oder die typischsten Beispiele auszuwählen und<br />
zu schützen.<br />
In das Verzeichnis der Denkmäler in Ungarn wurden<br />
Mitte der 1970er Jahre die wichtigsten Schöpfungen der Architektur<br />
aus der Zwischenkriegszeit und der modernen Architektur<br />
nach dem Zweiten Weltkrieg aufgenommen, wobei<br />
sich die Aufmerksamkeit damals noch auf die Bauwerke in<br />
Budapest beschränkte. Anderthalb Jahrzehnte hindurch bildete<br />
das von István Nyíri (1902–1955) entworfene, im Jahre<br />
1949 in Budapest errichtete und gegenwärtig zwar erneuerte,<br />
aber funktionslose Gebäude des Autobus-Bahnhofs am<br />
Erzsébet Platz, das das erste seiner Art war und einen neuen<br />
Bautypus erschuf, das „jüngste“ Baudenkmal Ungarns. Im<br />
Jahre 1977 wurde es unter Denkmalschutz gestellt. Das 1951<br />
errichtete Budapester Kulturhaus der Ungarischen Optischen<br />
Werke (MOM) (Arch.: Károly Dávid jun.) (Abb. 3) ist seit<br />
1991 geschützt. Es war mehr als zehn Jahre lang das jüngste<br />
Denkmal und zugleich auch das einzige denkmalgeschützte<br />
Gebäude in Ungarn, das die Architektur der 1950er Jahre repräsentierte.<br />
Gefährdungen und Verluste<br />
Ein Objekt zu einem Baudenkmal zu erklären, ist<br />
natürlich nur möglich, wenn das Gebäude noch existiert.<br />
Das Schicksal von mehreren wichtigen Bauwerken aus den<br />
1950/1960er Jahren zeigt aber, dass unser Zeitalter nur mühsam<br />
eine Möglichkeit eröffnet, dass sich ein Gebäude in ein<br />
Denkmal „verwandeln“ kann. Die Gebäude aus der Zeit nach<br />
dem Zweiten Weltkrieg gerieten bereits im Jahrzehnt vor dem<br />
Systemwechsel von 1989/1990, insbesondere aber in den Jahren<br />
danach in einen gefährdeten Zustand. Der Anspruch der<br />
Auftraggeber und der ihnen zu Diensten stehenden Architekten<br />
war nicht hoch und berücksichtigte Wert und Geschichte<br />
der Bauwerke nicht. Im Zuge eines Entwicklungsprogramms<br />
für den Tourismus am Plattensee (Balaton) /Ende der 1950er/<br />
Anfang der 1960er Jahre, wurde teils unter Verwendung der<br />
nach der Brüsseler Weltausstellung von 1958 erworbenen