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54<br />

Mark Escherich<br />

Schreinern ist immer Ausgangspunkt ... [er] bestimmt die<br />

Form.“ 11 Das erste Studienjahr begann am kleinstmöglichen<br />

Studienobjekt. Möglichst alle Phasen des Planungsprozesses bis<br />

hin zum Werkplan sollten exerziert werden. 12<br />

Die ‚typologische Entwurfslehre’ – wie sie exemplarisch<br />

Paul Schmitthenners Buch „Baugestaltung“ darstellt 13 – suchte<br />

nach der „ ‚letzte[n] beste[n] Form’ für ein bestimmtes Bedürfnis“<br />

und eine bestimmte Landschaft. 14 Die Verwendung des mit<br />

ihr verbunden Materials und dessen spezifi sche Verarbeitung<br />

„legitimiert den Bau an seinem Ort.“ 15 In dem unvollendeten<br />

Buchprojekt „Gebaute Form“ präsentierte Paul Schmitthenner<br />

landschaftsgebundene Variationen über einen Haustyp. Den<br />

Studenten wurde in Stuttgart eine „anständige Baugesinnung“<br />

abverlangt. Belohnt wurden sie mit der Einbindung in ein Netzwerk,<br />

das während des Dritten Reiches die Alltagsarchitektur<br />

mitbestimmen sollte und in Westdeutschland auch nach 1945<br />

recht gut funktionierte.<br />

Trotz der Nähe, die Äußerungen ihrer Hauptexponenten<br />

gelegentlich zur NS-Ideologie verraten hatten und trotz<br />

der zweifelhaften Rolle, welche die Stuttgarter Schule bisweilen<br />

im Dritten Reich gespielt hatte, konnten sich Vertreter der<br />

Stuttgarter Schule bzw. der Heimatschutzarchitektur vor allem<br />

Anfang der 1950er Jahre auch im Osten Deutschlands auf den<br />

Plan gerufen fühlen. Nachdem 1950 mit den „16 Grundsätzen“<br />

ein Leitbild für einen schönen, klassischen Kompositionsgrundsätzen<br />

folgenden Städtebau geschaffen worden war,<br />

„propagierten Partei und Bauakademie bald auch in der Baugestaltung“<br />

eine Rückbesinnung auf das kulturelle Erbe. Die<br />

neue, sozialistische Architektur sollte trotz bzw. wegen ihrer<br />

neuen Aufgaben und Inhalte den Formen nach im Volke verankert<br />

sein. 16 Andererseits konnte sich die DDR so von der<br />

modernistisch-dekadent geltenden Architektur in der Bundesrepublik<br />

und damit auch von dieser selbst abgrenzen.<br />

Der positive Widerhall, den der konservative Wiederaufbau<br />

von Freudendstadt im Schwarzwald, also im Südwesten<br />

Deutschlands gelegen, ausgerechnet in Ostdeutschland fand 17 ,<br />

spricht für eine Affi nität, die die Entwurfshaltung der Stuttgarter<br />

Schule mit der Architekturdoktrin des Sozialistischen Realismus<br />

besaß. Die Erneuerung der Ehrendoktorwürde der TH<br />

Dresden für Paul Schmitthenner im Frühjahr 1955 hängt damit<br />

allerdings nicht zusammen. Sie wurde von seinen Schülern<br />

Heinrich Rettig und Bernhard Klemm (1916-1995) – seit<br />

11 Schmitthenner, zit. nach Joedicke 1979 (wie in Anm. 10), 444<br />

12 vgl. Freytag 1996 (wie in Anm. 6), 72<br />

13 siehe Voigt, Wolfgang: Vom Ur-Haus zum Typ. Paul Schmitthenners<br />

„deutsches Wohnhaus“ und seine Vorbilder, in: Lampugnani<br />

(Hg.) 1992 (wie in Anm. 8), 245-265, hier 263<br />

14 Schmitthenner, nach Voigt 1992 (wie in Anm. 13), 260<br />

15 Voigt 1992 (wie in Anm. 13), 256<br />

16 M. Escherich – U. Wieler: Planen und Bauen in Thüringen 1945-1990.<br />

Architektur in SBZ und DDR, Erfurt 2002, 34<br />

17 vgl. Deutsche Architektur, Jg. 1955, 230ff ., nach W. Durth: Stadt<br />

und Landschaft. Kriegszerstörungen und Zukunftsentwürfe, in:<br />

J. Düwel – W. Durth – N. Gutschow – J. Schneider (Hg): Krieg,<br />

Zerstörung, Augbau. Architektur und Stadtplanung 1940-1960,<br />

Berlin o.J., 126- 175, hier 165<br />

Anfang der 1950er Jahre im Lehrkörper der TH – aus Verehrung<br />

arrangiert. 18<br />

Dresden und Heinrich Rettig<br />

Unter den nach 1945 in der Ostzone bzw. seit 1949 in<br />

der Deutschen Demokratischen Republik tätigen Vertretern<br />

der Stuttgart Schule war wohl Heinrich Rettig derjenige mit<br />

der engsten persönlichen Beziehung zu Schmitthenner. Beide<br />

hatten frühe Berufsjahre im Büro Richard Riemerschmids absolviert.<br />

Nach selbständiger Architektenpraxis 19 wurde Rettig<br />

1942 Professor für Werklehre und Entwerfen an der TH Dresden.<br />

Nach einer Unterbrechung von 1945 bis 1949 konnte er<br />

seine Lehrtätigkeit in Dresden fortsetzen, wo er in den 1950er<br />

Jahren eine ganze Generation von Studenten im Sinne der Werklehre<br />

Schmitthenners erzog. 20<br />

Rettigs Werklehre in Dresden hatte streng gewerkgerechtes<br />

Konstruieren zum Inhalt, während das Entwerfen auf<br />

eine werkgerechte Form, die Werkform, zielte. „Man solle den<br />

Dingen ansehen, wie sie gemacht sind“ lautet eine oft wiederholte<br />

Kernaussage. 21 Seine Vorlesungen und Veröffentlichungen<br />

waren von diesem Thema bestimmt, so z. B. „Baukunst und<br />

Massenfertigung“ – eine Baugeschichte, die in bester Heimatschutz-Manier<br />

„handwerksgerechte“ und „handwerksfremde“<br />

Geschichtsepochen gegenüberstellt und sie mit baukünstlerischem<br />

Aufstieg bzw. Niedergang in Zusammenhang bringt. Er<br />

beruft sich auf das frühe 19. Jahrhundert und auf das Ländliche,<br />

wo die handwerkliche Überlieferung „nie ganz abgerissen“<br />

sei. „Hier bauten die Handwerker für sich selbst, und sie fanden<br />

es nicht beschämend, wenn man den Dingen ansah‚ wie sie gemacht<br />

waren.“ 22 Folgerichtig lobte er den Werkbundgedanken.<br />

Mit seiner Forderung nach Handwerklichkeit in der<br />

Architektur plädierte Rettig zugleich für die Verwendung<br />

landschaftsbezogener Materialien und tradierter Haustypen.<br />

„Vorfertigung“ und „Montagebauweise“ seien Schlagworte.<br />

Allerdings lehnte Rettig Möglichkeiten der Vorfertigung offenbar<br />

nicht grundsätzlich ab, sondern verwandte schon seit<br />

den 1930er Jahren Beton-Fertigteile und ersann vorgefertigte<br />

Fenstergewände-Rahmen, die beim Mauern und Putzen<br />

als verlorene Lehren dienten (Abb. 1). 23 Normung bzw. die<br />

18 vgl. div. Briefe im Archiv Paul Schmitthenner, München<br />

19 Nach Tätigkeit bei Adolf Abel hat Heinrich Rettig ab 1934 in München,<br />

Oberbayern und Oberösterreich zahlreich und erfolgreich<br />

gebaut.<br />

20 Rettig widmete Richard Riemerschmid einen Vortag anläßlich<br />

dessen 80. Geburtstags (Typoskript abgedruckt in: Gedenkschrift<br />

zum 100. Geburtstag von Prof. Dr.-Ing. E. h. Heinrich Rettig, Schriftenreihe<br />

des Instituts für Baukonstruktion und Holzbau der TU<br />

Dresden, H. 3, 2000, 73 - 80). Vgl. R. Göpfert: Prof. Dr.-Ing. E.h.<br />

Heinrich Rettig zum 65. Geburtstag, in: Deutsche Architektur Jg.<br />

1965, 344<br />

21 H. Rettig: Baukunst und Massenfertigung, Leipzig 1954, 17 (der<br />

Text war bereits 1952/53 in einem Heft der Wissenschaftlichen<br />

Zeitschrift der TH Dresden veröff entlich worden).<br />

22 Rettig 1954 (wie in Anm. 21), 9<br />

23 Z. B. bei den Bauten der sogenannten Führersiedlung in Linz 1940-<br />

42, vgl. Rettig 1954 (wie in Anm. 21), 22

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