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Als Leitprojekt schlechthin der Nachkriegsdiskussion um<br />
den Weg der deutschen Architektur in der jungen DDR kann nur<br />
ein Bau angesehen werden: das Hochhaus an der Weberwiese<br />
von Hermann Henselmann. Nach großen Auseinandersetzungen<br />
zustande gekommen, stellte es die Weichen für das Bauen<br />
in den kommenden Jahren. Am Schlusspunkt dieser Architektur<br />
der nationalen Traditionen steht die Leipziger Oper von Kunz<br />
Nierade – ein Anachronismus nun, der aus der vollzogenen<br />
Wende im Bauwesen in zurückhaltend-feierlicher Schlichtheit<br />
hervorragt. In den wenigen Jahren dazwischen liegt der Beginn<br />
so aufwendiger wie prestigeträchtiger Vorhaben: die Lange Straße<br />
in Rostock, der Roßplatz in Leipzig, der Zentrale Platz in<br />
Magdeburg, der Altmarkt in Dresden. Die beiden letzteren waren<br />
die jüngsten Vorhaben in dieser Reihe, erst am 10. Mai in<br />
Magdeburg und am 31. Mai 1953 in Dresden wurden die Grundsteine<br />
gelegt. Der Wiederaufbau von Neubrandenburg oder das<br />
kleine Projekt der Wilhelm-Staab-Straße in Potsdam sollen in<br />
dem Beitrag ebenfalls in Erinnerung gerufen werden. Der kritische<br />
Wiederaufbau der zerstörten Gebäude Unter den Linden<br />
gehört ebenso wie der der Dresdner Semper-Galerie in diesen<br />
Zusammenhang. So konfl iktreich das Ringen um die grundsätzlichen<br />
Positionen bis hin zu den Details der Ausführung in den<br />
einzelnen Fällen auch gewesen sein mögen, alle Projekte waren<br />
auf die Sechzehn Grundsätze des Städtebaus verpfl ichtet, die<br />
mit einem dreifach programmatisch sich steigernden Akkord<br />
angehoben hatten: der gesellschaftlichen Ordnung der Deutschen<br />
Demokratischen Republik, sodann den fortschrittlichen<br />
Traditionen des deutschen Volkes und schließlich dem Aufbau<br />
ganz Deutschlands solle Ausdruck verliehen werden.<br />
Lange wurde die Idee zu einer Architektur der nationalen<br />
Traditionen in der jungen DDR vor allem dem Import<br />
aus der Sowjetunion zugeschrieben. Besonders die Reise einer<br />
Delegation deutscher Architekten nach Moskau im April und<br />
Mai 1950, in deren Ergebnis die Formulierung dieser Sechzehn<br />
Grundsätze des Städtebaus stand, schien geeignet, die besondere<br />
Einfl ussnahme der Besatzungsmacht deutlich zu machen.<br />
Stalins Worte, wonach beim Sozialismus ein Aufblühen der nationalen<br />
Kultur sei und diese dem Inhalt nach sozialistisch und<br />
der Form nach national, gründeten dabei prinzipiell auf der politischen<br />
Erfahrung bereits der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg.<br />
Den damaligen Hoffnungen zum Trotz war eine sozialistische<br />
Revolution in größerem Umfang nicht zu erwarten gewesen, mit<br />
der neuen Formel: durch Nationalismus zum Sozialismus konnte<br />
die sowjetische Politik nicht nur auf die Gründung der Nationalstaaten<br />
nach 1918 reagieren, sondern insbesondere auch auf<br />
das verletzte Nationalgefühl der Deutschen angesichts des<br />
AUFERSTANDEN AUS RUINEN –<br />
LEITPROJEKTE DER NATIONALEN TRADITION<br />
IM WIEDERAUFBAU OSTDEUTSCHER STÄDTE<br />
Sigrid Brandt<br />
Aus jüngsten Forschungen, insbesondere von Ulrich<br />
Reinisch, wissen wir auch um die große Aufmerksamkeit, die<br />
deutscher Städtebaugeschichtsschreibung auf sowjetischer Seite<br />
bereits in den 1930er Jahren zuteil wurde und die nun als Re-<br />
Import ins eigene Land gelangte. Bereits zu Beginn der 1990er<br />
Jahre hatte Simone Hain, auf der anderen Seite, auf die angemahnten<br />
Kursänderungen innerhalb der CIAM hingewiesen, in<br />
denen mehr Verbindung zur Vergangenheit gefordert worden<br />
war. Nimmt man als Drittes hinzu, dass auch die westdeutsche<br />
Architekturdiskussion nicht so monolithisch im Zeichen des<br />
Neuen Bauens stand, wie es manchmal den Anschein haben mag<br />
und wie sehr sich Architekturdiskussion dieser Zeit in Deutschland<br />
aufeinander bezog, so ist die Frage der nationalen Traditionen,<br />
die einer deutschen Architektur zu Beginn der fünfziger<br />
Jahre nicht lediglich eine ost-, sondern eine prinzipiell deutsche<br />
Frage. Eingespannt in die Politik der Großmächte, laufen die fachlichen<br />
Fäden hin und her, ungeachtet der Systemgrenzen.<br />
Agg. 1. Hochhaus Weberwiese an der ehemaligen Stalinallee, heute<br />
Karl-Marx-Allee in Berlin von Hermann Henselmann, 2006<br />
Foto: Gryffi ndor / de.wikipedia.org (10.06.2010)