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Zwischen Heimatschutzarchitektur und Nationaler Tradition – Einfl üsse der Stuttgarter Schule in Ostdeutschland nach 1945<br />

Wiederholung genormter Bauteile verstand Rettig als altes Gestaltungsmittel.<br />

„Ob eine Wiederholung öde und langweilig,<br />

wohltunend ruhig oder reizvoll wirkt, hat mit der Gleichheit<br />

der Grundelemente nichts zu tun“, und er verweist auf die Fenstertypen<br />

„alter Städte“, wie Salzburg, wo man „durch viele<br />

Straßen hindurch das gleiche Fenster“ fi nden könne. 24<br />

Der Aufsatz „Sparsame Schulbauten“ 25 zeigt, wie Rettig<br />

seine traditionellen Baukonzepte mit dem Verweis auf die<br />

Zeitumstände zu verteidigen wußte. Beispielsweise könnten<br />

Gemeinden zwar Zuschüsse für einen Schulbau erwarten,<br />

hätten aber die laufenden Unterhaltungskosten später selbst<br />

zu tragen. Deshalb seien kompakte Baukörper und einfache<br />

Konstruktionsweisen vorzuziehen, die Heizkosten und Aufwendungen<br />

für Reparaturen und Wartung verringern helfen.<br />

Im Jahre 1950 entstanden zwei gleiche vierklassige Schulen in<br />

Altenhof und in Lenz (Sachsen), denen Rettig einen bewährten<br />

Grundrißtyp mit Hallenerschließung zu Grunde legte. „Auch<br />

das Äußere der Schulen paßt sich in seiner Bescheidenheit der<br />

dörfl ichen Umgebung an, wenn auch das fl achgeneigte Pappdach<br />

den zulässigen Grad der Bescheidenheit schon zu überschreiten<br />

droht“, wie Rettig selbst eingestand (Abb. 2). Wie<br />

andere, der Heimatschutzarchitektur verpfl ichtete Architekten,<br />

lehnte Rettig die Pavillonschulen des Neuen Bauens, mit<br />

„stark aufgelösten Bauanlagen [und] zerklüfteten Dächern“<br />

ab. 26 In einem Artikel der Zeitschrift „Bauen und Wohnen“<br />

entzauberte er 1949 gleich drei fortschrittlich beleumundete<br />

Entwurfsmaximen des sogenannten Neuen Schulbaus, indem<br />

er die innovative Qualität und vor allem die Wirtschaftlichkeit<br />

einer variablen Schulbankmöblierung, den Einbau von Stahlfenstern<br />

sowie den Nutzen von Flachbautypen (im Gegensatz<br />

zum Stockwerksbau) relativierte. 27<br />

Größere Schulbauten, die Rettig bis in die zweite Hälfte<br />

der 1950er Jahre hinein verwirklichen konnte, waren<br />

dementsprechend von kompakter Form, nicht zuletzt, weil<br />

er die Mittelfl urerschließung nicht in Frage stellte. 28 Die 32-<br />

Klassen-Schule in Zwickau-Eckersbach von 1956 hat beachtliche<br />

Ausmaße. Der Dachreiter ist ein auch in Kommunal- und<br />

Schulbauten der NS-Zeit und von Rettig selbst gern verwendetes<br />

Hoheitsmotiv gewesen (Abb. 3). Zusammen mit einem repräsentativen<br />

Giebel akzentuiert ein Dachreiter die Schaufront<br />

der Schule in Demmin (1958/59). Der Unterschied zu Rettigs<br />

wohl wichtigstem Bau, dem Rathaus von München-Pasing von<br />

1937/38, ist beträchtlich. Aber die architektonische Handschrift,<br />

die typologischen Regeln und Handwerksgerechtigkeit<br />

erscheinen verbindend und verbindlich zugleich (Abb. 4 u. 5).<br />

24 Rettig 1954 (wie in Anm. 21), 33<br />

25 Vgl. H. Rettig: Sparsame Schulbauten, in: Wissenschaftliche Zeitschrift<br />

der TH Dresden, 2, 1952/53 Heft 1, 44-54. Der Aufsatz wurde<br />

1955 noch einmal gedruckt: H. Rettig: Sparsame Schulbauten,<br />

Leipzig 1955<br />

26 Rettig 1955 (wie in Anm. 25), 6<br />

27 vgl. H. Rettig: Zur baulichen Schulreform, in: Bauen und Wohnen,<br />

Heft 1, 1949, 19f. Den Hinweis auf diesen Artikel verdanke ich<br />

Herrn Ulrich Wieler, Wien.<br />

28 Ihm ging es vielmehr um die Qualifi zierung der zweihüftigen Bauweise.<br />

Rettig 1955 (wie in Anm. 25), 9<br />

Der Einfl uss der Stuttgarter Schule<br />

in Thüringen<br />

In Jena gab es ein Netzwerk ehemaliger Stuttgarter,<br />

für die die gemeinsamen Lehrmeister einen wichtigen Bezugspunkt<br />

darstellten. Im Jahre 1949 entstand dort eine<br />

Außenstelle des Landesprojektierungsbüros Thüringen.<br />

Leiter wurde Rolf Fricke (geb. 1911), der befreundete Kollegen<br />

in das immer größer werdende Büro nachzog, u. a.<br />

Georg Schirrmeister (1890-1969) und Hans Schlag (1890-<br />

1970), die wie er – wenn auch früher – in Stuttgart studiert<br />

hatten. 29 Auch Frickes Büropartner in der unmittelbaren<br />

Nachkriegszeit, Horst Fischer, gehörte zur Stuttgarter Schule. 30<br />

Ihr Bau für das „Physiologische Institut“ war 1946/47 der Auftakt<br />

zum Aufbau der Jenaer Innenstadt und ein Bekenntnis<br />

Rolf Frickes zum behutsamen Umgang mit der im Zentrum<br />

schwerst geschädigten Stadt und zu ihren Traditionen. Angesichts<br />

der 1946 in Jena aufgeworfenen Frage „Wiederaufbau<br />

oder Neubau [der Stadt]?“ 31 , mahnte er: „Gebt der alten Stadt,<br />

was ihr gebührt, [und] habt Achtung vor dem Werk unserer<br />

Vorfahren“. 32<br />

Fricke teilte seine Haltung offenbar mit vielen Jenaer Architekten,<br />

zumindest legen diesen Eindruck verschiedene Wettbewerbsergebnisse<br />

nahe, etwa für die Marktwestseite (1948).<br />

Hans Schlag erhielt den ersten Preis mit einem Beitrag, der<br />

eine Reihe von aus der NS-Heimatschutzarchitektur gut bekannten<br />

Versatzstücken zeigte, einschließlich der segmentbogig<br />

überspannten Lauben, für die der Preisträger bei der offenen<br />

Pfeilerhalle des mittelalterlichen Rathauses eine historische Legitimation<br />

zu fi nden versuchte (Abb. 6). Frei von solchen Bezugnahmen<br />

sind die von Hans Schlag entworfenen neuen Schulen<br />

in Kleinkamsdorf und Kahla (Thüringen). Der Rauputz, die akkuraten<br />

Ortgangausbildungen und die Pfeilervorlagen verraten<br />

ein handwerkliches Baumeisterideal, dem er – trotz einer dem<br />

Neuen Bauen verpfl ichteten Werkphase in den 1920er Jahren –<br />

auch nach 1945 immer treu blieb (Abb. 7).<br />

Bevor Hans Schlag 1953 Mitarbeiter der Landesprojektierungsstelle<br />

in Jena wurde und seit den späten 1950er<br />

Jahren großmaßstäbliche Architektur- und Städtebaukonzepte<br />

sich durchzusetzen begannen, prägten Rolf Fricke und Georg<br />

29 zu Rolf Fricke vgl. IRS Erkner, Wissenschaftliche Sammlungen,<br />

BDA-Antragsbogen Nr. 1998; zu Georg Schirrmeister vgl. R. Stutz:<br />

„Herzkammer“ oder ‘Barriere’ der Stadtentwicklung? Zum Widerstreit<br />

um die Erneuerung von Alt-Jena in der NS- und frühen Nachkriegszeit,<br />

in: M. Escherich – C. Misch – R. Müller (Hg.): Entstehung<br />

und Wandel mittelalterlicher Städte in Thüringen (Erfurter<br />

Studien zur Kunst- und Baugeschichte Band 3), Berlin 2006, Anm.<br />

75; zu Hans Schlag vgl. C. Meurer: Das Architekturbüro Schreiter<br />

und Schlag in Jena. Vom Siedlungsbau bis zur Neuplanung des<br />

Stadtzentrums, in: H. Barth (Hg.): Planen für das Kollektiv. Dokumentation<br />

des 4. Werkstattgesprächs vom 15. und 16. Oktober<br />

1998, Erkner 1999, 115ff .<br />

30 nach freundlicher Mitteilung von Rolf Frickes Witwe in Jena<br />

31 vgl. C. Meurer: Die „Stunde Null“ – Jenas Wiederaufbau, 1945-<br />

1967, in: M. Diers, S. Grohe, C. Meurer (Hg.): Der Turm von Jena.<br />

Architektur und Zeichen, Jena 1999, S. 15<br />

32 zit. nach Meurer 1999 (wie in Anm. 31), 16<br />

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