Antworten auf Althusser - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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Medizin 1035<br />
Ein Teil des Kostenanstiegs wird <strong>auf</strong> den Nachholbedarf an Gesundheitsinvestitionen<br />
zurückgeführt, die in den fünfziger Jahren<br />
versäumt worden waren. Auch das Krankenhauspersonal, speziell<br />
die Pflegekräfte, hatten erheblich Lohnrückstände <strong>auf</strong>zuholen, ohne<br />
daß darum jenen, die die finanzielle Krankenhausmisere als Ergebnis<br />
einer „Lohnexplosion" gesehen haben wollen, auch nur ein Argument<br />
zuwächst. Denn der Hinweis <strong>auf</strong> die steigende Lohnsumme<br />
kann nicht vergessen lassen, daß die Löhne des Personals zwar ein<br />
wenig stärker als die übrigen Löhne gestiegen sind, aber ebenso wie<br />
diese déutlich schwächer als das Bruttosozialprodukt (vgl. 50).<br />
Ein .weiterer Kostenfaktor sind die Profite jener Großkonzerne,<br />
deren Kapitalrendite sich proportional zur medizinischen Mangelhaftigkeit<br />
des Gesundheitswesens entwickelt hat. Gerade <strong>für</strong> die<br />
Schweiz als Standort pharmazeutischer Weltunternehmen wäre die<br />
Analyse der Zusammenhänge zwischen den Großproduzenten materieller<br />
Gesundheitswaren und der Entwicklung des Gesundheitswesens<br />
lohnend. Leider bleibt die Arbeit gerade hier <strong>auf</strong> unbefriedigendem<br />
Niveau.<br />
Eine bedeutende Ursache des Anwachsens der Gesundheitskosten<br />
sehen die Autoren im „erhöhten Krankheitsrisiko" (66) als Resultat<br />
gewandelter Lebensbedingungen. Jedoch liefern sie durch Reduktion<br />
gesellschaftlicher Lebensbedingungen <strong>auf</strong> die stofflich-gegenständliche<br />
Umwelt sowie der Arbeitsbedingungen <strong>auf</strong> den Prozeß der<br />
konkreten Arbeit und <strong>auf</strong>grund eines entsprechend verstümmelten<br />
Begriffs von Krankheit „als einer Unverhältnismäßigkeit zwischen<br />
materieller Struktur (des einzelnen Menschen, H. K.) und Umwelt"<br />
(69) eine theoretische Basis, <strong>auf</strong> der erhöhte Morbidität nicht erklärt<br />
werden kann.<br />
Im lesenswertesten Teil des Buches wird die Struktur des Gesundheitswesens<br />
als weitere Triebfeder der Kostensteigerungen dargestellt<br />
und dabei primär die fehlende präventive Zielgerichtetheit<br />
der gesamten Gesundheitspolitik <strong>auf</strong>gezeigt. Erst in zweiter Linie<br />
führen die Autoren den kurativen Sektor an, der „in verschiedener<br />
Hinsicht zusätzlich noch ökonomisch uneffizient und verschwenderisch<br />
organisiert (ist)" (117). Konsequent weitergedacht heißt das,<br />
daß eine grundlegende Verbesserung allein innerhalb des kurativen<br />
Bereichs nicht zu erreichen ist.<br />
Die dem Kapital verpflichteten politischen Kräfte streben als Antwort<br />
<strong>auf</strong> die Kostensteigerungen nun „Reformen" an mit dem Ziel,<br />
die ökonomische Dysfunktionalität des Gesundheitswesens nach ihren<br />
Maßstäben abzubauen. Und dieser Zusammenhang ist es, in dem der<br />
Begriff der „Kostenexplosion" zum reaktionären Kampfbegriff wird,<br />
mit dessen Hilfe drei Hauptziele angestrebt werden: „1. Einschränkung<br />
der konsumtiven medizinischen Leistungen" unter Berücksichtigung<br />
von Mindestbedingungen (133). „2. Steigerung der Effizienz<br />
im Gesundheitswesen durch Strukturreform und Druck <strong>auf</strong> die Arbeitsbedingungen<br />
des Personals" (134) und „3. Umverteilung der entstehenden<br />
Kosten" zu Lasten der Lohnabhängigen (134).<br />
DAS ARGUMENT 94/1975 ©