Antworten auf Althusser - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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Die erkenntnistheoretischerl Auffassungen <strong>Althusser</strong>s 949<br />
nun jedoch schlaglichtartig sichtbar, wo <strong>Althusser</strong> „<strong>auf</strong>hebt", wovon<br />
er die Wissenschaft „gereinigt" hat: sein Ideologiebegriff erscheint<br />
nun als notwendiges Korrelat seiner Konzeption von Wissenschaft<br />
und Erkenntnis. Unsere These lautete, die Konstruktion des Begriffs<br />
der „theoretischen Praxis" erlaube es <strong>Althusser</strong>, das <strong>für</strong> die marxistische<br />
<strong>Theorie</strong> zentrale Problem des Verhältnisses von Wirklichkeit<br />
und Erkenntnis in der Praxis des materiellen Lebensprozesses und<br />
das Problem des Verhältnisses von <strong>Theorie</strong> und Praxis in der <strong>Theorie</strong><br />
als arbeitsteilig verselbständigten Bereich dieses Lebensprozesses<br />
zu eliminieren. Wir können nun sehen, in welcher Gestalt und an<br />
welchem Ort das Eliminierte wiederkehrt: die Probleme erweisen sich<br />
als nicht gelöst, sondern als bloß verschoben; was die <strong>Theorie</strong> der Erkenntnis<br />
von ihrem Gegenstand abstrahiert, erscheint wieder als wesentliche<br />
Bestimmung des Gegenstandes einer <strong>Theorie</strong> der Ideologie.<br />
Dennoch enthält <strong>Althusser</strong>s Versuch, die reine Wissenschaft als das<br />
schlechthin Andere zum ideologischen Denken formal zu bestimmen<br />
— also innerhalb der „Denkordnung" selbst noch einmal eine radikale<br />
Trennung vorzunehmen — einen rationellen Kern, den wir<br />
abschließend herausarbeiten müssen aus der Hypostasierung, in die<br />
<strong>Althusser</strong> ihn einschließt; um <strong>Althusser</strong> gerecht zu werden und der<br />
Sache, um die es geht: eine marxistische Konzeption der Erkenntnis,<br />
und damit auch des Verhältnisses von Wissenschaft und Ideologie.<br />
Wenn Marx von der Wissenschaft als „allgemeiner Arbeit", als<br />
„Produkt der allgemeinen geschichtlichen Entwicklung in ihrer abstrakten<br />
Quintessenz" spricht, so verweist uns das <strong>auf</strong> eine Differenz,<br />
die wissenschaftliches Bewußtsein gegenüber anderen Bewußtseinsformen,<br />
auch der ideologischen, spezifiziert. Worin besteht<br />
diese Differenz? Zunächst können Wissenschaft und Ideologie als je<br />
spezifische Sphären gesellschaftlichen Bewußtseins unterschieden<br />
werden (Aspekt einer „Stratigraphie" des gesellschaftlichen Bewußtseins)<br />
108 . Sodann unterscheiden sie sich auch hinsichtlich ihrer unmittelbaren<br />
Zielsetzung und Funktion: <strong>auf</strong> Seiten der Wissenschaft hat<br />
die Erkenntnisfunktion das Primat, während <strong>auf</strong> seiten der Ideologie<br />
— wie <strong>Althusser</strong> richtig feststellt — die Rechtfertigungsfunktion das<br />
Primat besitzt. Der Wahrheitscharakter von Aussagen innerhalb von<br />
Wissenschaft oder Ideologie läßt sich jedoch gerade nicht aus ihrer<br />
jeweils besonderen Struktur und Funktion ableiten. Über den Wahrheitscharakter<br />
von Aussagen über den jeweiligen Gegenstand entscheidet<br />
die Frage, ob sie seinem inneren Zusammenhang, den Gesetzmäßigkeiten,<br />
gemäß denen er funktioniert und sich entwickelt,<br />
entsprechen oder nicht. Wissenschaft und Ideologie lassen sich nicht<br />
generell als die Alternativen einer Wahrheitstafel bestimmen. Auch<br />
Ideologien können sich hinsichtlich ihres Erkenntnisgehalts unterscheiden<br />
— sie sind nicht überhistorisch als falsches, wenn auch notwendig<br />
falsches Bewußtsein charakterisierbar: die „Durchsichtig-<br />
108 Vgl. dazu A. K. Uledow, Die Struktur des gesellschaftlichen Bewußtseins,<br />
Berlin 1972, besonders Kapitel III.<br />
DAS ARGUMENT 94/1975 ©