Antworten auf Althusser - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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992 Wolf-Dietrich Schmidt<br />
über den asiatischen Feudalismus und den asiatischen Kapitalismus<br />
hin zum halbasiatischen Staatskapitalismus und halbasiatischen<br />
Staatssozialismus.<br />
Rudi Dutschke ein Entdecker neuer Gesellschaftsformationen?<br />
Welche sozialökonomischen Untersuchungen liegen seiner <strong>Theorie</strong><br />
zugrunde? Er zitiert ausgiebig aus Schriften von Marx, Engels und<br />
(mit anderer Intention) Lenin, dies jedoch so eklektisch, daß die Verfasser<br />
des Manifests" und des „Kapitals" vielfach nicht wiederzuerkennen<br />
sind. Eine Durchsicht des Anmerkungsapparates ergibt<br />
darüber hinaus eine bescheidene Ausbeute: ein Buch Kostomarows<br />
von 1905, Wittfogels „Orientalische Despotie", die Kulturgeschichte<br />
Rußlands, verfaßt vom Kadettenführer Miljukow, ein Aufsatz Rjazanows,<br />
ein Buch und ein Aufsatz Bernhard Rabehls, ein Aufsatz aus<br />
dem „Roten Forum", Deutschers Trotzki II sowie eine Rezension (!)<br />
V. Gitermanns. Der Verfasser ist also eher als Erfinder denn als<br />
Forscher und Entdecker neuer Gesellschaftsformationen anzusprechen.<br />
Aber die Tatsache, daß fünfzig Jahre sowjetischer Forschung von<br />
ihm ebenso ignoriert werden wie die mehr oder (vor allem) weniger<br />
guten Darstellungen westlicher Herkunft, tangiert unseren Wissenschaftler<br />
nicht im mindesten: „Ich versuche hier nun keine historischkonkrete<br />
Analyse der russischen Geschichte. Vielmehr werde ich in<br />
orthodoxer Weise das analytische und begriffliche Verständnis von<br />
Marx und Engels — was die russische Geschichte betrifft — rekonstruieren.<br />
Gefragt wird nach den gesellschaftlichen Möglichkeiten<br />
und Schranken einer asiatischen Industrialisierung <strong>auf</strong> einer der bürgerlichen<br />
Kapitalbewegung elementar entgegengesetzten Basis" (42).<br />
— So verwandelt der Autor flugs eine historisch-konkrete Fragestellung<br />
in eine orthodoxe; ein Verfahren, das sich in diesem Fall<br />
besonders verheerend auswirkt. Die Geschichte Rußlands bildete nie<br />
einen Hauptgegenstand der Untersuchungen von Marx und Engels.<br />
Ihre Kenntnisse über die russische Geschichte vor allem der früheren<br />
Jahrhunderte mußten sie aus unzureichenden russischen und deutschen<br />
Darstellungen schöpfen. Schließlich müssen viele ihrer polemischen<br />
Äußerungen vor dem Hintergrund gesehen werden, daß der<br />
Zarismus nach den Befreiungskriegen als Bollwerk der europäischen<br />
Reaktion fungierte und sich daher dèn berechtigten Haß aller <strong>auf</strong>rechten<br />
Demokraten zuzog. Daß derartige Polemiken keine Grundlage<br />
<strong>für</strong> eine Revision der bis heute detailliert von den sowjetischen<br />
Historikern erforschten Geschichte Rußlands abgeben können, dürfte<br />
sich eigentlich von selbst verstehen.<br />
Mit Hilfe von Zitaten-Fledderei versucht der Verfasser, die erzreaktionäre<br />
These, die Eroberung Rußlands durch die Tataro-Mongolen<br />
im 13. Jahrhundert habe die russische Geschichte bis heute entscheidend<br />
determiniert und zu grundverschiedenen gesellschaftlichen<br />
Verhältnissen in Rußland und dem übrigen Europa geführt, „marxistisch"<br />
<strong>auf</strong>zupolieren. Dutschke beschreibt in Anlehnung an Marx<br />
richtig die feudale Zersplitterung Rußlands vor dem Mongoleneinfall,<br />
allerdings ohne auch nur mit einem Wort <strong>auf</strong> den feudalen Charakter<br />
DAS ARGUMENT 94/1975 ©