Antworten auf Althusser - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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<strong>Althusser</strong>s „Selbstkritik" 979<br />
damit die Wahrheitsfrage — nur <strong>für</strong> die Wissenschaft Geltung<br />
haben, können die Kategorien Wahrheit/Irrtum in der Philosophie<br />
(= Nichtwissenschaft) keine Verwendung finden. Zur Erarbeitung<br />
des postulierten Unterschieds werden zuerst Namen geändert. An<br />
die Stelle von ,,vérité"/„erreur", die adäquat sind den „rein theoretischen"<br />
Thesen der Wissenschaft 8 , sind <strong>für</strong> philosophische „Vorschläge"/„Thesen"<br />
die Kategorien „justesse" (Richtigkeit), „Tendenz"<br />
und „Abweichung" (Gegenteil von „justesse") zu setzen; die philosophische<br />
Arbeit ist ein „ajustement". Da sich auch im Französischen<br />
„vérité" und „justesse" nur in Nuancen voneinander unterscheiden,<br />
kann aus dieser Spitzfindigkeit, eher aber noch daraus, daß ganz<br />
nebenbei „erreur" kein eindeutiges „philosophisches" Pendant mehr<br />
gefunden hat, eigentlich nur ein Schluß gezogen werden: Außer als<br />
Nichtwissenschaft wird Philosophie auch definiert als in letzter<br />
Instanz Klassenkampf in der <strong>Theorie</strong>, „Wissenschaft" ihrerseits aber<br />
wird beharrlich vom Klassenkampf getrennt. Dies aber hieße auch,<br />
daß das Gebiet wissenschaftlich-politischer Planung eigentlich der<br />
„wendigeren" Nichtwissenschaft Philosophie mit ihrem verbrieften<br />
Recht <strong>auf</strong> Abweichung/Annäherung, ihrer Immunität gegenüber<br />
Wahrheit und vor allem Falschheit zu überantworten sei. <strong>Althusser</strong>s<br />
Begründung der neuen Namen scheint diese Annahme zu erhärten;<br />
seine neuen philosophischen Kategorien erlauben nämlich nicht nur,<br />
so die Selbsteinschätzung, eine ganz neue Vorstellung von dem, was<br />
sich in der Philosophie abspielt, sondern ihre Begründung vermittelt<br />
darüber hinaus eine Vorstellung, welcher politischen Position sie<br />
entspringen, und umgekehrt, <strong>auf</strong> welchem politischen Weg marxistisch<br />
intendierte <strong>Theorie</strong> so seltsame Metamorphosen durchmachen<br />
kann bis hin zu <strong>Althusser</strong>s Philosophiebegriff. Es wird nur referiert:<br />
Wie es keine absolut bösen/guten politischen Gegner gibt, wie es<br />
Haupt- und Nebengegner gibt, so gibt es auch im philosophischen<br />
Kampf Haupt- und Nebentendenzen, Haupt- und Nebeneinsätze<br />
(enjeu). Dies bedeutet umgekehrt <strong>für</strong> die Philosophie, daß ihre<br />
Haupttendenzen (Idealismus und Materialismus) nie in Reinkultur<br />
vorkommen, daß jede dieser Richtungen, selbst mit konsequentester<br />
Tendenz, stets Elemente ihres Gegenteils in sich schließt, denn: Die<br />
eine Seite muß versuchen, die Positionen der anderen (psychisch) zu<br />
„besetzen" (investir), den Konflikt zu „verinnerlichen" (intérioriser).<br />
Diese „allgemeinen Bemerkungen" zur „Philosophie überhaupt"<br />
wurden pro domo gesprochen: „selbstkritisch" zieht <strong>Althusser</strong> daraus<br />
das Resümee, daß sich somit seine frühere Philosophie beschreiben<br />
lasse als in ihrer Haupttendenz gegen bürgerliche Ideologien gerichtet,<br />
in ihrer Nebentendenz (= „Theoretizismus") aber eine „Abwei-<br />
8 Wiewohl <strong>Althusser</strong> inzwischen jeglichen Strukturalismusverdacht<br />
von sich weist, ist dies z. B. ein eindeutiges Relikt der strukturalistischen,<br />
am naturwiss. Experiment orientierten Vorstellung vom ideellen Laboratorium,<br />
die etwa auch Lévi-Strauss vertritt.<br />
, DAS ARGUMENT 94/1975 ©