Antworten auf Althusser - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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<strong>Theorie</strong> der Geschichte: Geschichte der <strong>Theorie</strong>? 969<br />
Kritiker sich nur noch „Rechenschaft" ablegen von dem, was sich vor<br />
ihren Augen abspielt, um „sich zum Organ desselben zu machen".<br />
Erst indem sie die „umstürzende Seite" der Negativität des Bestehenden<br />
anfangen zu begreifen, wird ihre Wissenschaft „bewußtes<br />
Erzeugnis der geschichtlichen Bewegung ..., sie hat <strong>auf</strong>gehört, doktrinär<br />
zu sein, sie ist revolutionär geworden" 57 . <strong>Althusser</strong> greift <strong>auf</strong><br />
eine ähnliche Erklärung zurück; er nimmt an, daß die Lösung unseres<br />
theoretischen Problems schon seit langem in praktischem Zustand<br />
existiere, nämlich in der marxistischen Praxis. Unser theoretisches<br />
Problem stellen und lösen heiße also letztlich, die im praktischen<br />
Zustand bestehende „Lösung" theoretisch auszudrücken; es<br />
handele sich nur darum, an einem bestimmten Punkt eine „Lücke"<br />
zwischen der <strong>Theorie</strong> und der Praxis auszufüllen 58 . Wie wahr, im<br />
Abstrakten. Wie problematisch, wenn wir zugeben müssen, daß die<br />
Praxis uns im konkreten Fall weder automatisch die theoretische<br />
Lösung anbietet noch ohne weiteres imstande ist, die ideologischen<br />
„Notwendigkeiten" <strong>auf</strong>zulösen. Die Entwicklung der heute schon<br />
sozialistischen Gesellschaften, aber auch die internen Auseinandersetzungen<br />
in den sozialistischen und kommunistischen Parteien in<br />
nichtsozialistischen Ländern zeigen dies deutlich.<br />
Marx weist im 1. Band des Kapitals dar<strong>auf</strong> hin, daß „die Menschengeschichte<br />
sich dadurch von der Naturgeschichte unterscheidet,<br />
daß wir die eine gemacht und die andere nicht gemacht haben". Diese<br />
Bemerkung ist insofern ungenau, als Marx an anderer Stelle betont:<br />
die vor-sozialistische Geschichte werde zwar auch vom Menschen<br />
gemacht, aber gleichsam subjektlos, bewußtlos. Diese Erkenntnis<br />
mündet dadurch ein in ein Gesellschaftsverständnis, das nach primär<br />
ökonomisch-bedingten Strukturgesetzen abläuft. Mag sich also jene<br />
subjektlose Menschengeschichte von einer bewußtlosen Naturgeschichte<br />
unterscheiden: Sie bleibt ihr in dieser Phase doch ähnlicher<br />
als der wirklich verantworteten Geschichte. In der Gesellschaftsformation,<br />
in der die kapitalistische Produktionsweise dominiert,<br />
nimmt die Ökonomie die beherrschende Rolle ein; der Arbeits- '<br />
prozeß ist vom Standpunkt des Eigentums aus ein Prozeß zwischen<br />
Dingen, die der Kapitalist gek<strong>auf</strong>t hat: „Das Produkt dieses Prozesses<br />
gehört ihm daher ganz ebenso sehr als das Produkt des Gärungsprozesses<br />
in seineih Weinkeller." Erst im Sozialismus ist die Gesellschaft<br />
nach Marx kein „Naturding" mehr: ihre Geschichte erfolgt<br />
hier nicht länger irrational. Dieses Dilemma läßt sich noch verdeutlichen.<br />
Marx hat einerseits im Rahmen einer von ihm noch nicht voll<br />
entwickelten <strong>Theorie</strong> der Geschichte die Entwicklung der Ablösungsfolge<br />
von Gesellschaftsformen typisiert <strong>auf</strong>grund innergesellschaftlicher<br />
Widersprüche, die temporal durch antagonistische Klassenkämpfe<br />
und deshalb strukturell durch Revolutionen <strong>auf</strong>gelöst werden.<br />
Solange gesellschaftliche Verkehrsformen und die Bewegung der<br />
57 MEW 4, S. 143.<br />
58 FM, S. 102 f.<br />
DAS ARGUMENT 94/1975 ©