Antworten auf Althusser - Berliner Institut für kritische Theorie eV
Antworten auf Althusser - Berliner Institut für kritische Theorie eV
Antworten auf Althusser - Berliner Institut für kritische Theorie eV
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
996 Wolf-Dietrich Schmidt<br />
potismus zu Hause ist, nidit die russische .Bourgeoisie', die vom Zarismus<br />
<strong>auf</strong> die russische Gesellschaft <strong>auf</strong>gesetzt wurde und nicht etwa<br />
durch die Emanzipation vom Zarismus zur bürgerlichen Bourgeoisie<br />
geworden ist" (95). Dutschke kann sich offenbar nicht vorstellen, daß<br />
<strong>für</strong> einen bestimmten historischen Abschnitt die politisch herrschende<br />
Klasse nicht mit der ökonomisch herrschenden zusammenfällt. Der<br />
Verfasser müßte zum Beweis seiner These zeigen, daß die russische<br />
Bourgeoisie nur der ökonomische Agent des Zarismus war, daß sie<br />
den Mehrwert an den Staatsapparat abführen mußte; dieses Kunststück<br />
versucht unser Theoretiker nicht einmal. Tatsächlich konnte<br />
insbesondere die Monopolbourgeoisie ihre Interessen beinah reibungslos<br />
vermittels des zaristischen Herrschaftsapparats durchsetzen;<br />
vor allem im 1. Weltkrieg hat sie mit Hilfe der staatlichen Rüstungspolitik<br />
das Volk in unvorstellbarem Maße" ausgeplündert, indem sie<br />
— wie die Kapitalisten aller Länder — in bekannt patriotischer Begeisterung<br />
die Preise <strong>für</strong> Rüstungsgüter diktiert hat.<br />
Die „asiatische" Entwicklung Rußlands bildet auch den Hintergrund<br />
<strong>für</strong> Dutschkes Kritik am sowjetischen Weg nach der Oktoberrevolution.<br />
Im wesentlichen gehen die Ausführungen des Autors aber<br />
nicht über längst bekannte Steckenpferde einer sich als links verstehenden<br />
Sowjetunion-Kritik wie auch imperialistischer Ostforscher<br />
hinaus — Fraktionsverbot, Streikverbot, Einmann-Leitung,<br />
Abschaffung der Arbeiterkontrolle. Dutschke versucht keine dieser<br />
Erscheinungen zu erklären, d. h. sie in den objektiven historischen<br />
Zusammenhang zu stellen und die Gegner und Be<strong>für</strong>worter<br />
mit ihren Argumenten <strong>kritische</strong>r Prüfung zu unterziehen. Er verzichtet<br />
dar<strong>auf</strong>, auch nur andeutungsweise <strong>auf</strong> die Entwicklung der<br />
Sowjets einzugehen; <strong>für</strong> ihn sind diese immerhin noch heute existenten<br />
Einrichtungen „relativ schnell" untergegangen (311). Die Entfernung<br />
der Partei von den Massen wird pauschal als gegeben angesehen<br />
(253). Stichwort dieser „Kritik" ist der „Bürokratismus". Bezeichnend<br />
<strong>für</strong> ihren Klassenstandpunkt ist die Wertung des Kronstadter<br />
Aufstandes, dessen Niederschlagung von der „Arbeiteropposition"<br />
mitgetragen wurde, als „anti-bürokratisch". Die Anlehnung Dutschkes<br />
an Äußerungen Lenins gegen Bürokratismus in der Sowjetunion ist<br />
zweifellos verfehlt: Lenin faßte mit diesem Begriff nicht die von<br />
Dutschke angeprangerten Erscheinungen, sondern Schlendrian im<br />
Wirtschaftsapparat, Initiativlosigkeit, Unterdrückung berechtigter<br />
Kritik, stures Administrieren. Dutschke versucht gleichzeitig, eine<br />
probürokratische Seite bei Lenin zu entdecken. Für die völlige Fehlbeurteilung<br />
Leninscher Positionen ist ein Falschzitat bezeichnend.<br />
Lenin hatte 1917 am Beispiel der Syndikate Wege des Ubergangs<br />
vom Monopolkapitalismus zum Sozialismus erörtert und in diesem<br />
Zusammenhang den Satz geprägt: „Man braucht hier (im Zuckersyndikat<br />
— W.-D. S.) nur die reaktionär-bürokratische Regulierung<br />
in eine revolutionär-demokratische zu verwandeln, und zwar durch<br />
einfache Verfügung über die Einberufung einer Tagung der Angestellten,<br />
Ingenieure, Direktoren und Aktionäre, über die Einfüh-<br />
DAS ARGUMENT 94/1975 ©