Antworten auf Althusser - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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Die erkenntnistheoretischerl Auffassungen <strong>Althusser</strong>s 945<br />
ruht, verweist aber zugleich <strong>auf</strong> das Dilemma der Konstruktion:<br />
Wenn die Entwicklung und Funktionsweise des gesellschaftlichen<br />
Gesamtorganismus konstitutiv <strong>für</strong> die Bewegung seiner Teile ist,<br />
kann von einem einheitlichen Geschichtsprozeß gesprochen werden.<br />
Wenn aber die Entwicklung und Funktionsweise ihrer Teile konstitutiv<br />
<strong>für</strong> die Bewegung der gesellschaftlichen Totalität ist, kann<br />
überhaupt nur von einem differentiellen, letztlich ungerichteten Geschichtsverl<strong>auf</strong><br />
die Rede sein. Diesen Schluß zieht <strong>Althusser</strong>, ohne die<br />
Prämisse auszusprechen. Seine Polemik gegen eine letztlich Hegelsche<br />
Auffassung der Gesellschaft, die dazu führe, „alle Praxisformen<br />
als Ausfluß der .realen' historischen Praxis und die Philosophie, ja<br />
selbst die Wissenschaft und folglich auch den Marxismus als .Ausdruck'<br />
der realen Geschichte zu denken" 94 , läuft in ihrer Konsequenz<br />
<strong>auf</strong>-die Negation der entscheidenden Rolle des sozialhistorischen Entwicklungsprozesses<br />
und seiner ökonomischen Grundlage <strong>für</strong> die Entwicklung<br />
der Wissenschaft hinaus, eine Konsequenz, vor der <strong>Althusser</strong><br />
allerdings selbst zurückschreckt. So behauptet er einerseits, daß<br />
sich die Wissenschaft „dem gemeinsamen Schicksal einer einheitlichen<br />
Geschichte, nämlich der des geschichtlichen Blocks der Einheit von<br />
Basis und Überbau entzieht" 95 , andererseits aber, daß das System<br />
theoretischer Produktion „in der bestehenden ökonomischen, politischen,<br />
ideologischen Praxis gründet und mit ihr verbunden ist" 86 ,<br />
daß in den Wissenschaften „organische Beziehungen zu anderen<br />
Praxisformen bestehen, die diesen Wissenschaften einen Teil ihres<br />
Grundstoffes liefern und mitunter sogar in der theoretischen Struktur<br />
dieser Wissenschaften mehr oder weniger tiefgreifende Umwälzungen<br />
hervorrufen" 97 . Gerade die zuletzt angeführten Aussagen<br />
zeigen, welchen Preis <strong>Althusser</strong> zahlen muß, um seine Konstruktion<br />
<strong>auf</strong>rechterhalten zu können: er muß etwas zur Kenntnis nehmen,<br />
was er theoretisch nicht verarbeiten kann, ohne seine Konzeption zu<br />
revidieren. So bleibt es in diesem Zusammenhang, um mit Norman<br />
Geras 98 zu sprechen, bei „Absichtserklärungen" einer Analyse, die<br />
dar<strong>auf</strong> verzichtet, sich über die Genesis der Wissenschaften aus den<br />
Erfordernissen des sich entwickelnden materiellen Lebensprozesses<br />
der Gesellschaft, die fördernde oder hemmende Einwirkung von<br />
Klasseninteressen <strong>auf</strong> ihren Entwicklungsprozeß selbst, ihre ökonomische<br />
Funktion als Produktivkraft und ihre generelle soziale Funktion<br />
als Instrument der Beherrschung natürlicher und gesellschaftlicher<br />
Prozesse zu äußern.<br />
3.3. Ideologie und Wissenschaft<br />
Ohne Zweifel führen ökonomische, politische und ideologische Interessen<br />
nicht unmittelbar zu wissenschaftlichen Erkenntnissen;<br />
94 LLC I S. 174/DKL S. 182.<br />
95 LLC I S. 170/DKL S. 178.<br />
96 LLC I S. 47/DKL S. 53.<br />
97 LLC I S. 72—73/DKL S. 79.<br />
98 Norman Geras, <strong>Althusser</strong>s Marxism: An Account and Assessment,<br />
in „New Left Review", No. 71, Jan./Feb. 1972, S. 57—86.<br />
DAS ARGUMENT 94/1975 ©