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Antworten auf Althusser - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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972 Urs Jaeggi<br />

schaftsformation zeitlich prognostiziert. Zweitens macht <strong>Althusser</strong><br />

deutlich, wie vorläufig und prekär das Verhältnis von <strong>Theorie</strong> und<br />

bestehender historischer Wirklichkeit (Praxis) begriffen wird. Dies<br />

wiederum hat zur Folge, daß die Widersprüche des „aktuellen Augenblicks"<br />

theoretisch und empirisch nur schwer und vorläufig (und<br />

immer auch nur <strong>auf</strong> dem Hintergrund der politischen Taktik der jeweiligen<br />

„historischen Konjunktur") festgemacht werden können.<br />

<strong>Althusser</strong> versucht mit seinem Konzept des Marxismus als Antihistorizismus<br />

und Antihumanismus die bei Marx <strong>auf</strong>tretenden Unschärfen<br />

und Widersprüche zu eliminieren, allerdings ist der Preis<br />

da<strong>für</strong> hoch. Läßt sich bei Marx ein permanentes Hinüberwechseln<br />

von mehr theoretischen Aussagen zu politisch-praktischen ausmachen:<br />

bei <strong>Althusser</strong> bleibt <strong>auf</strong>grund der gesetzten Prämissen die<br />

Schlußfolgerung im Bereich des Theoretischen. Nicht bloß seine<br />

„Feinde", auch seine Freunde 61 machen mit Recht dar<strong>auf</strong> <strong>auf</strong>merksam,<br />

daß <strong>Antworten</strong> zu aktuellen politischen Bezügen (jenseits des<br />

ideologischen Bereiches) fast ganz ausbleiben. <strong>Althusser</strong> beruft sich<br />

zur Rechtfertigung dieses Defizites <strong>auf</strong> die (neue) Praxis der Philosophie.<br />

Aber heißt das nun: der Marxismus ist nur eine (neue) Philosophie?<br />

Wo bleibt dann die <strong>Theorie</strong> der Geschichte, um die es <strong>Althusser</strong><br />

geht? Und wie läßt sich, wenn die „Massen" die Geschichte<br />

machen, verhindern, daß zwischen der Produktion einer <strong>Theorie</strong> (die<br />

ihre eigene Ordnung schafft) und dem Kollektivbewußtsein derer,<br />

die die Geschichte machen, kein theoretischer Bruch entsteht? Oder<br />

anders: Wie ist das Erkenntnisobjekt mit dem Realobjekt verknüpft?<br />

Daß <strong>Althusser</strong> hier keine eindeutige Antwort geben kann, liegt nicht<br />

(primär) in der schwierigen Fragestellung: verantwortlich sind die<br />

theoretischen Prämissen.<br />

6. Ein zerstückelter Marx, neu zusammengesetzt, und die sich daraus<br />

ergebenden Folgen<br />

Wie steht es mit der These von der „Geschichte ohne Subjekt", die<br />

wohl insgesamt als Kernstück aller frühen <strong>Althusser</strong>-Kritiken <strong>auf</strong>tritt?<br />

<strong>Althusser</strong> hat nach Lire le capital auch hier seine Position verdeutlicht:<br />

„Ich <strong>für</strong> meinen Teil würde sagen, die konkreten Menschen<br />

(Plural) sind zwangsläufig Subjekte (Plural) in der Geschichte,<br />

denn sie agieren in der Geschichte als Subjekte (Plural). Aber es gibt<br />

kein Subjekt (Singular) der Geschichte." Gewiß; aber eine solche Aussage<br />

befindet sich ohnehin in guter Gesellschaft (auch in der Marxschen).<br />

Die Frage: ist die bekämpfte Gegenthese: „Der Mensch macht<br />

die Geschichte", tatsächlich diesen Aufwand wert? Daß die Menschen,<br />

betrachtet als Agenten, nicht „freie" und „konstituierende"<br />

Subjekte im philosophischen Sinne dieser Ausdrücke sind, daß die<br />

\ 61 Metzger, J.: Après avoir lu le dernier livre de Louis <strong>Althusser</strong>, in:<br />

RM, S. 110 ff.<br />

DAS ARGUMENT 94/1975 ©

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