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Antworten auf Althusser - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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994 Wolf-Dietrich Schmidt<br />

Tatsächlich läßt sich ein erheblicher Aufschwung in der hier angesprochenen<br />

Epoche feststellen. Der Getreideertrag pro Kopf der Bevölkerung<br />

stieg von 19,3 Pud (1 Pud = 16,38 Kg) über 21,8 Pud zwischen<br />

1870 und 1879 <strong>auf</strong> 24,4 Pud zwischen 1909 und 1913 (P. A.<br />

Chromov, Ekonomiceskoe razvitie Rossii. Ocerki ekonomiki Rossii<br />

s drevnejsich vremen do Velikoj Oktjabr'skoj revoljucii. Moskva<br />

1967, S. 345). Besonders groß war die Produktivitätssteigerung dort,<br />

wo es zur Errichtung von Gutswirtschaften mit Lohnarbeit kam. Die<br />

Zersetzung der Agrikultur bestand vor allem in der Differenzierung<br />

innerhalb der Bauernschaft und der Freisetzung von Bauern, aus<br />

denen sich das Industrieproletariat rekrutierte. Eine metaphysische<br />

Gegenüberstellung von landwirtschaftlichem und industriellem Sektor,<br />

wie der Verfasser sie vornimmt, entbehrt also der Grundlage.<br />

Aus dem Ruin der Kleinproduzenten folgte auch keineswegs eine<br />

Beschränkung des Marktes, wie Dutschke meint. Diese irrige Auffassung<br />

wurde bereits von den Volkstümlern vertreten und von Lenin<br />

widerlegt (vgl. Lenin, Werke, Bd. 3, S. 31 ff.). Die ganze Hohlheit<br />

der asiatischen Argumentation wird deutlich, wenn der Verfasser<br />

über Lenins empirische Untersuchungen zur Herausbildung des russischen<br />

Kapitalismus nur zu bemerken weiß: „Seine empirischen<br />

Zahlen waren der Wirklichkeit äußerst nahe, da er aber die Entwicklung<br />

des Kapitalismus als westeuropäische und nicht als asiatische<br />

verfolgt, kann er die politisch-organisatorischen Konsequenzen <strong>für</strong><br />

das Verhältnis von Stadt- und Landproletariat nicht richtig erkennen"<br />

(82). Lenin steht in dieser Frage also <strong>auf</strong> demselben bornierten<br />

Standpunkt wie Marx und Engels!<br />

Im Kapitel über „Lenins Verständnis der herrschenden Klasse in<br />

Rußland" führt der Verfasser aus, daß die Bourgeoisie in Rußland<br />

nicht die herrschende Klasse stellte, eine im Kern richtige Aussage,<br />

die allerdings einiger Erläuterungen bedürfte; als herrschende Klasse<br />

wird die zaristische Bürokratie genannt. Tatsächlich geht Dutschke<br />

bei der Analyse des Verhältnisses von Bourgeoisie und zaristischer<br />

Bürokratie nicht von positivem Wissen, sondern von seinen Einbildungen<br />

aus. Zur Charakterisierung der „russischen Knechtschaftsverhältnisse"<br />

und zum Beweis, daß eine kapitalistische Entwicklung<br />

in Rußland unmöglich gewesen sei, rekurriert der Autor <strong>auf</strong> ein<br />

Engels-Zitat über türkische (!) Verhältnisse: „In der Tat ist die türkische<br />

wie alle orientalische Herrschaft unverträglich mit kapitalistischer<br />

Gesellschaft; der ergatterte Mehrwert ist nicht sicher vor den<br />

Händen raubgieriger Satrapen und Paschas; es fehlt die erste Grundbedingung<br />

bürgerlichen Erwerbs: Sicherheit der k<strong>auf</strong>männischen<br />

Person und ihres Eigentums." In der Anmerkung zu diesem Satz<br />

heißt es: „Engels. Die auswärtige Politik des russischen Zarenthums,<br />

in: Die Neue Zeit, 1890, S. 193; in den MEW nicht enthalten; die gekrümmten<br />

Kommunisten (Revisionisten) haben ihre Gründe" (88).<br />

Dutschke hat hier ein ganz besonderes Beispiel seines wissenschaftlichen<br />

Könnens geliefert. Der zitierte Artikel befindet sich nämlich<br />

unter eben diesem Titel im 22. Band der MEW, der die Engels-Werke<br />

der Jahre 1890—1895 enthält. Das Zitat bezieht sich nicht im ent-<br />

DAS ARGUMENT 94/1975 ©

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