Scan (50 MB) - Deutscher Rat für Landespflege
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Siegbert Panteleit<br />
Entwicklung umweltverträglicher Freizeitformen<br />
Einleitung<br />
Freizeit und Sport haben sich zu eigenständigen Lebensbereichen<br />
entwickelt, deren Bedeutung ständig steigt. In der Bundesrepublik<br />
werden 1988 und 1989 ca. 3,5 Mio. Menschen damit beginnen, eine<br />
Sportart auszuüben.'> International ist dabei ein Trend zu Sportund<br />
Freizeitaktivitäten zu beobachten, die in der freien Landschaft<br />
stattfinden.<br />
Sport und Spiel ist eine zentrale Lebensäußerung des Menschen,<br />
die systematisch aus dem täglichen Leben in westlichen Industriegesellschaften<br />
in die Freizeit ausgelagert wurde. In einer hochgradig<br />
organisierten Gesellschaft übernimmt der Sport die ausreichende<br />
Befriedigung der Bedürfnisse, die im täglichen Leben unterdrückt<br />
werden. Bei der Suche nach umweltverträglichen Freizeit-<br />
und Sportaktivitäten steht die alltägliche Lebenssituation der<br />
Menschen sowie die daraus resultierenden Wünsche im Mittelpunkt<br />
der Betrachtung. Das heißt, planvolle Veränderungen der<br />
derzeitigen Freizeitentwicklung müssen berufliche, soziale und<br />
politische Altagsprobleme miteinbeziehen. Der Abbau von Belastungen<br />
durch Freizeit- und Sportaktivitäten darf daher zeitlich<br />
nicht auf den Feierabend, das Wochenende oder den Urlaub und<br />
räumlich nicht auf die Naherholungsgebiete und touristischen Regionen<br />
beschränkt bleiben. Bei allen Versuchen, die hier ansetzen,<br />
handelt es sich um Rettungsversuche <strong>für</strong> das in den Brunnen gefallene<br />
Kind.<br />
1 Motive <strong>für</strong> die derzeitige Expansion bei den<br />
Freizeitaktivitäten<br />
Das heutige Bedürfnis Sport in der freien Landschaft in intakter Natur<br />
zu betreiben, wird von drei Hauptmotivationsebenen gespeist.<br />
- Darstellung eines eigenständigen individuellen Lebensstils<br />
- Ausbruch aus einem überorganisierten geregelten Alltag<br />
- Erhalt und Verbesserung der Gesundheit.<br />
Mehr als Familie, Beruf, Politik bietet die Freizeit Gelegenheit einen<br />
bestimmten Lebensstil darzustellen. Bestimmte Sportarten werden<br />
benutzt, um einen Lebensstil zu kreieren, der zu gesellschaftlicher<br />
Anerkennung verhilft. Dabei ist nicht der Sport, sondern das<br />
Sportimage entscheidend. Und das reicht von jung, frivol und sexy<br />
bis hin zu gesund, willensstark und diszipliniert Je extremer die<br />
Sportart ist wie z. B. Tiefschneefahren, Freiklettern, Tieftauchen,<br />
Gleitschirmfliegen oder je exklusiver wie Golf, Polo, Hochseesegeln,<br />
desto individueller kann man sich gegenüber anderen darstellen<br />
und abgrenzen.<br />
Im Sport ergeben sich über die Leistungsfähigkeit der einzelnen<br />
Aktiven andere Hierarchien als im Berufsalltag. Durch hervorragende<br />
sportliche Leistungen, die dann oft zusätzlich durch formale<br />
Qualifikationen dokumentiert sind (Handicap, Fluglizenz, Segelscheine<br />
usw.) können Hierarchien des Alltags völlig auf den Kopf<br />
gestellt werden. Der Chef wird im Sport zum blutigen Anfänger auf<br />
den man herabschauen kann.<br />
In der Freizeit ermöglicht Sport, der heutigen Massengesellschaft<br />
zu entfliehen. Allerdings schafft der Sport Herausforderungen, die<br />
im Arbeitsleben nicht mehr anstehen. Je höher die geistigen und<br />
körperlichen Anstrenungen bei Ausübung der einzelnen Sportart<br />
ist, desto höher ist die Anziehungskraft, die sie auf die Menschen<br />
ausübt. Insbesondere Extremsportler zählen zu den letzten Aben-<br />
teuerem unserer Welt. Die Selbstverantwortlichkeit, die der einzelne<br />
durch bewußte Annahme einer bestimmten Aktivität in der Freizeit<br />
übernimmt, löst ab von traditionellen Institutionen der sozialen<br />
Gemeinschaft, die zwar Sicherheit vermitteln, aber auch Freiheiten<br />
beschneiden. Die sozialen Sicherheitsbedürfnisse werden auf<br />
Versorgungsleistungen wie Lebens- und Rentenversicherungen<br />
reduziert. Kommunikative Bedürfnisse werden in Gemeinschaften<br />
erfüllt, die sich über einen gleichen Freizeitlebensstil kennzeichnen.<br />
Das Bedürfnis aus dem Alltag auszubrechen, wird besonders in der<br />
jährlichen „Urlaubsflucht" deutlich. Für viele Menschen ist dies ein<br />
Leuchtfeuer im Grau des täglichen Einerleis. Auch hier ist dann<br />
wieder die Tendenz zum Individuellen - zum Individualurlaub -<br />
festzustellen. Der Pauschalurlauber als einzelner Vertreter des<br />
Massentourismus befindet sich auf der unteren Rangskala der touristischen<br />
Gemeinde.<br />
Sporttreiben wird in enger Verbindung zu Gesundheit, Aussehen,<br />
Fitness und sexuelle Attraktivität gesehen. Männer und Frauen stehen<br />
heute gleichermaßen unter dem gesellschaftlichen Druck, gut<br />
auszusehen und fit zu sein. Während man im Alter zwischen 20 und<br />
35 bestrebt sein muß, diese Eigenschaften zu erlangen, reicht in<br />
zunehmendem Alter die Gesundheit. Menschen, die um bessere<br />
Fitness und Gesundheit bemüht sind, treiben Sport.<br />
Aktivitäten in naturnahen Landschaften wirken sich zudem auf das<br />
physische Wohlbefinden der Sportler positiv aus. So üben z. B. natürliche<br />
Wasserlandschaften nach wie vor größten Reiz aus.<br />
Naturnahe Landschaften als Sportgelände sind nicht durchgeplant,<br />
sie sind „unfertig", in ihnen gibt es noch viel zu entdecken. Der<br />
Sportler sieht sich hier mit ständig neuen Situationen konfrontiert.<br />
Im Vergleich zu traditionellen Sportanlagen findet hier keine starke,<br />
spürbare Lenkung der einzelnen Akteure statt, sondern es werden<br />
jeweils individuelle Situationen erlebt<br />
Erlebnisse in naturnahen Landschaften, das Erfahren von Naturkräften<br />
bis hin zu gefährlichen Situationen, denen sich Sporttreibende<br />
aussetzen, erhöht die Fähigkeit, sowohl den Streß als auch<br />
die Eintönigkeit des Alltags zu ertragen.<br />
Die zunehmenden Umweltbeeinträchtigungen, die dem Einzelnen<br />
durch tägliche Katastrophenmeldungen vor Augen geführt werden,<br />
bewirken einen Ansturm auf die letzten naturnahen Gebiete.<br />
Da der Einzelne kaum in der Lage ist, gegen die allgegenwärtigen<br />
Umweltbeei nträchtigungen wirksame Maßnahmen zu ergreifen,<br />
führt dies zu einem Verhalten, bei dem die letzten Reste der Natur<br />
in einer Art Panikstimmung genutzt werden - .wer weiß, wie lange<br />
dies noch möglich ist"? Freizeitverhalten wird hier ein Teil individueller<br />
Bewältigungsstrategie <strong>für</strong> erlebte Umweltbelastungen.<br />
Der erste Schritt zu umweltverträglichen Freizeitformen ist es, die<br />
kurz dargestellten Mechanismen zwischen den Organisationsformen<br />
der mediatisierten Industriegesellschaft und dem Freizeitverhalten<br />
zu überdenken. Freizeitformen, die sozusagen als „Hilfeschrei"<br />
auf gesellschaftliche Zustände zu verstehen sind, können<br />
langfristig nicht akzeptiert werden.<br />
Geht man davon aus, daß in dem neuen Freizeitboom der erneute<br />
Versuch steckt, sich zu emanzipieren und emotionale Spontanität<br />
1) Allensbach zitiert bei URBACH, D„ 1988: Das Fitness-Jahrzehn t, Frankfurter<br />
Allgemeine Zeitung, 23. 2. 1988<br />
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