Scan (50 MB) - Deutscher Rat für Landespflege
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fahrtsstraße und die Anlage eines kleinen Hafens <strong>für</strong> die Angler geöffnet<br />
wurde, brach der Wasservogelbestand nahezu zusammen.<br />
Daraufhin sperrte die Oberösterreichische Landesregierung das<br />
Gebiet auch <strong>für</strong> die Angler zur Brutzeit und richtete einen Bewachungsdienst<br />
ein.<br />
Der Wasservogelbestand stieg - wie in einem großangelegten Experiment<br />
- wieder kräftig an und erreichte fast die alten Werte. ER<br />
LINGER (1981) hat diese äußerst aufschlußreiche Entwicklung<br />
ausführlich dokumentiert. Der ursächliche Zusammenhang zwischen<br />
Höhe und Qualität des Wasservogelbrutbestandes einerseits<br />
und der brutzeitlichen Anwesenheit der Angler andererseits<br />
ist damit nachgewiesen. Bezeichnenderweise verursachen schon<br />
die wenigen Angler der .geringen lntensitätsstufe" von 1- 2/km<br />
Ufer die entscheidenden Auswirkungen. Es ist anschließend <strong>für</strong><br />
den Artenschutz fast unerheblich, wie viele noch nachkommen. Eine<br />
Verringerung der Frequentierung der Brutgebiete durch Angler<br />
auf die Hälfte würde so gut wie gar nichts bringen. Das ist der<br />
schlichte Grund da<strong>für</strong>, daß das naturverbundene Wohlverhalten<br />
von 90 % der Angler nicht ausreicht, um solche Gebiete wirklich vor<br />
Störungen zu schützen, wenn die restlichen Prozente <strong>50</strong> oder 100<br />
Angler umfassen.<br />
Die Vorstellung von .Kompromissen", die im politischen Tagesgeschäft<br />
den Ton angibt, erweist sich in diesem Zusammenhang als<br />
gänzlich unzureichend. Wenn nicht dort, wo die Erholungsnutzung<br />
eingeschränkt werden soll, weil entsprechende Gründe vorliegen,<br />
die Einschränkung praktisch vollständig sein kann, wird sie weitgehend<br />
wirkungslos bleiben. Die verfügbaren Räume in Mitteleuropa<br />
sind <strong>für</strong> Mehrfachnutzungen in solchen Fällen einfach zu klein. Es<br />
gibt <strong>für</strong> die bedrohten Arten keine Ausweichmöglichkeiten mehr.<br />
Der Kompromiß, alle übrigen .Nutzer" aus dem Schutzgebiet am<br />
unteren Inn auszuschließen, und nur die Angler uneingeschränkt<br />
zu belassen, war kein Kompromiß, sondern die Grundlage <strong>für</strong> eine<br />
permanente Belastung der Funktion dieses Stausee-Ökosystems,<br />
Überschuß an Wasservogel-Nachwuchs zu produzieren, um den<br />
Verschleiß auszugleichen, dem ihre Bestände großräumig ausgesetzt<br />
sind. Das Netz von Feuchtgebieten internationaler Bedeutung<br />
der RAMSAR-Konvention sollte das Kapital der Wasservögel<br />
der Westpaläarktis sichern. Mit derartigen Kompromissen, wie sie<br />
am unteren Inn bayerischerseits eingegangen worden sind, geht<br />
das nicht.<br />
4 Fallbeispiel Botulismus<br />
Das erste Beispiel der Wasservogeljagd legte die Beeinflussung<br />
ökosystemarer Prozesse klar. Somit war es unmittelbar systembezogen.<br />
Schon <strong>für</strong> andere Wasservogelzentren, wie etwa <strong>für</strong> den lsmaninger<br />
Speichersee oder den Bodensee, ist der Zustand der<br />
Stausee-Ökosysteme am unteren Inn irrelevant. Es hängt von den<br />
Verhältnissen ab, inwieweit die Wasservögel ihre ökologischen<br />
Wirkungen entfalten können. Das zweite Fallbeispiel der Störungen<br />
durch Angler im Wasservogel-Brutgebiet führt über den lokalen<br />
Ansatz hinaus, denn die Nachwuchsproduktion wirkt sich auf<br />
die Populationen aus. Sie greift damit auch auf andere Räume über.<br />
Noch ausgeprägter wird dieser überregionale, ja europaweite Bezug<br />
im dritten Fallbeispiel, dem Wasservogel-Botulismus.<br />
Verursacher ist ein anaerobes Bakterium, Clostridium botulinum,<br />
dessen Ausscheidungen zu den stärksten Giften zählen, die es in<br />
der Natur gibt. Die Erreger vermehren sich in faulendem organischem<br />
Material, vornehmlich in Kadavern von Vögeln und Säugetieren<br />
unter Bedingungen aktuen Sauerstoffmangels und bei Temperaturen<br />
von mehr als 20°C. Der Übertragungsmechanismus ist<br />
offenbar recht vielfältig und noch nicht hinreichend bekannt. Tatsache<br />
ist, daß mit Botulismus-Ausbrüchen vornehmlich im Hoch- und<br />
Spätsommer bei anhaltend hohen Temperaturen, geringen Windstärken<br />
und Sauerstoffschwund in flachen Gewässern zu rechnen<br />
ist. Die Dauerstadien der Clostridien sind sehr widerstandsfähig.<br />
Sie bleiben im Bodenschlamm eutropher Gewässer jahrelang lebensfähig.<br />
Nehmen Wasservögel, wie etwa Enten, bei der Nahrungssuche Toxin<br />
von Clostridium botulinum Typ C (der sogenannte . Enten-Botulismus")<br />
in ausreichender Menge auf, kommt es zu Lähmungserscheinungen.<br />
Häufig ertrinken die Vögel. Die Kadaver werden im<br />
Flachwasser und am Ufer Ausgangspunkte <strong>für</strong> weitere Ausbreitung<br />
der Clostridien, so daß unter geeigneten Außenbedingungen<br />
der Enten-Botulismus als Seuche aufflackert. In machen Jahren tötete<br />
die Seuche mehr als 100 000 Wasservögel in Mittel- und Westeuropa.<br />
Das Ausmaß der Verluste wird in hohem Maße vom Erholungsdruck<br />
bestimmt, der auf den mitteleuropäischen Gewässern im<br />
Hochsommer lastet. Denn die stärksten Verluste mit Zehntausenden<br />
verendeter Enten treten an den wenigen Mauserquartieren der<br />
im Juli/ August über eine Spanne von drei Wochen flugunfähigen<br />
Enten auf. Da die verschiedenen Arten zu etwas verschiedenen<br />
Terminen mausern und auch von Ente zu Ente Unterschiede gegeben<br />
sind, die mit Brut, Alter und Ernährungszustand zusammenhängen,<br />
sind die Mauserplätze über den Gesamtzeitraum von Ende<br />
Juni bis Mitte September hochgradig gefährdet. Sie sind nämlich<br />
zu zentralen Sammelplätzen <strong>für</strong> Enten aus der ganzen Westpaläarktis<br />
geworden, seit es auf den Binnengewässern nahezu keine<br />
störungsfreien Zonen mehr gibt. Der allgemeine Bade- und Erholungsbetrieb<br />
drängt die Enten auf die wenigen störungsfreien<br />
Plätze, wie den lsmaninger Speichersee und einen Teil des ljsselmeeres<br />
in Holland zusammen, wo es Nahrung <strong>für</strong> die Zehntausende<br />
mausernder Enten und Ruhe gibt.<br />
Diese Mauserplätze und einige wenige störungsarme Wasservogelzentren,<br />
an denen sich die vermauserten Enten die <strong>für</strong> den<br />
Herbstzug und die Überwinterung nötigen Fettreserven anlegen,<br />
werden bei Umweltbedingungen, welche den Ausbruch von Botulismus<br />
begünstigen, zu Todesfallen. Die Wasservögel sind auf diese<br />
wenigen Plätze angewiesen; alle Ausweichmöglichkeiten hat ihnen<br />
der Erholungsbetrieb verwehrt. Sie eignen sich als Mauserzentren,<br />
weil sie sehr nahrungsreich sind. Das bedeutet aber<br />
gleichzeitig, daß sie die Gefahr des Botulismus bergen, weil nur<br />
eutrophe Flachgewässer die Massen der Mauserenten aufnehmen<br />
und ernähren können. Natürlicherweise sterbende Wasservögel<br />
genügen, um bei entsprechenden Außenbedingungen das Aufflackern<br />
der Seuche auszulösen.<br />
Der Erholungsuchende ist sich nicht bewußt, daß er mit seiner Nutzung<br />
eines Sees oder Ufergebietes vielleicht Dutzende oder Hunderte<br />
von Enten in die gefährlichen Reservate abgedrängt hat, wo<br />
sie akuter Gefahr ausgesetzt sind, obwohl es sich um Reservate<br />
handelt. Nur ein ausreichend dichtes Netzwerk von Entlastungsgebieten<br />
kann die Problematik lösen. Schon wenige Überschreitungen<br />
der durch Bojen oder Markierungen kenntlich gemachten<br />
Schutzzonen an den Seeufern reichen aus, um ähnlich wie im Falle<br />
der Angler die entscheidenden Störungen zu verursachen.<br />
5 Diskussion<br />
Die Beispiele können selbstverständlich die Problematik nur<br />
schlaglichtartig erhellen. Sie mögen stellvertretend verstanden<br />
werden <strong>für</strong> die Vielzahl qualitativ erkannter, aber quantitativ nicht<br />
näher untersuchter Fälle ökosystemarer Auswirkungen von Freizeitaktivitäten.<br />
Die Übersicht von EDINGTON & EDINGTON (1986)<br />
zeigt, wie vielschichtig die Verhältnisse wirklich sind.<br />
Gemeinsame Nenner gäbe es mehrere. Vielleicht ist der wichtigste<br />
die Feststellung, daß uns ein einfaches Ursache-Wirkung-Denken<br />
nur allzu oft zu unzutreffenden Urteilen führt Es sind häufig die kleinen<br />
Ursachen, die in der Verstärkung über die ökologischen Prozesse<br />
oder in der Potenzierung durch ihr vielfaches Auftreten die<br />
großen Wirkungen hervorbringen, die durch ein Zurückschrauben<br />
auf .halbe Intensität" nicht nennenswert abgemildert werden können.<br />
Das ist das Dilemma nicht-linearer Zusammenhänge. Die Anfangsstadien<br />
einer exponentiellen Wachstumskurve unterscheiden<br />
sich kaum von einfachen, linearen Zunahmen, bis die Verzögerungsphase<br />
überwunden und das exponentielle Anwachsen au-<br />
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