Scan (50 MB) - Deutscher Rat für Landespflege
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Hier sei jedoch nicht auf die unbestreitbaren Vorteile der Nutzwertanalyse<br />
hingewiesen, sondern auf die Grenzen ihrer sinnvollen Anwendung<br />
im Bereich von Naturschutz und Landschaftspflege. Der<br />
Vorteil der Vergleichbarkeit verschiedenartiger Phänomene wird<br />
nämlich dann zum Handicap, wenn in der Entscheidungsfindung<br />
daraus eine Verrechenbarkeit unvergleichlicher Umweltsituationen<br />
wird. Hier kann eine zunächst sinnvolle Abstraktion zum Fallstrick<br />
werden, wenn von konkreten Besonderheiten abstrahiert<br />
wird, die sich nicht ersetzen oder austauschen lassen. Und gerade<br />
das ist im Hinblick auf den Biotopwert und Erlebniswert von Flächen<br />
häufig der Fall.<br />
Um den Verg leich verschiedener Umweltsituationen nach bestimmten<br />
Kriterien kommen wirnicht herum. Denn dieser Vergleich<br />
ist notwendig, wann immer Entscheidungen gefällt werden müssen<br />
über die Standortwahl von Anlagen und Aktivitäten des Menschen<br />
in der Landschaft. Ein Vergleich ohne Wertung ist unmöglich. Denn<br />
es gilt, Stellung zu beziehen, welche Ausprägungen der Umweltsituation<br />
wir als unbedingt schützens- und erhaltenswert betrachten<br />
und wo gewisse Veränderungen wünschenswert sind bzw. hingenommen<br />
werden können.<br />
Um nachvollziehbare Antworten auf solche Fragen geben zu können,<br />
bedarf es eines Bewertungsansatzes, mit dessen Hilfe Vergleichbares<br />
verglichen und Unvergleichbares in seiner Einzigartigkeit<br />
und Unersetzlichkeit gewürdigt werden kann. Ein solcher Ansatz<br />
ist die Einführung von Veto-Kriterien und ihre Kombination mit<br />
dem nutzwertanalytischen Vorgehen. Mit Veto-Kriterien ist die Bezeichnung<br />
von Umweltsituationen und Lebensräumen gemeint,<br />
die <strong>für</strong> jedwede Veränderung tabu bleiben müssen. Bereiche, die<br />
als Taburäume bezeichnet werden, sind solche, deren sehr hoher<br />
Natur- und/oder Erlebniswertdurch keinerlei Ausgleich und Ersatz<br />
kompensierbar ist, wenn er durch Eingriffe in diese Räume gemindert<br />
wird.<br />
Wenn zur Befriedigung von Freizeitansprüchen in der Landschaft<br />
stärkere Flächenveränderungen vorgenommen werden sollen,<br />
z.B. im Rahmen der Anlage eines Golfplatzes, so sollte bei einer<br />
Beurteilung aus der Sicht der Umwelt unbedingt zwischen Tabuflächen<br />
und disponiblen Flächen unterschieden werden. Unter disponiblen<br />
Flächen seien Bereiche mit einer „ökologischen Ausstattung"<br />
verstanden, deren Verlust oder Beeinträchtigung durch<br />
gleichwertigen Ersatz oder gleichartigen Ausgleich ökologisch voll<br />
kompensiert werden kann. Darunter fallen z.B. Jungwald, junge<br />
Gebüsche und Baumgruppen, Ruderalgesellschaften, Entwässerungsgräben,<br />
Feldraine und ähnliche Biotope, die durch Ubiquität<br />
und geringe Komplexität gekennzeichnet sind. Es fallen darunter<br />
auch relativ naturferne Bereiche wie intensives Grünland und<br />
Ackerland, Bereiche, die leicht einer ökologischen Aufwertung zugeführt<br />
werden können, indem man sie sich selbst überläßt oder<br />
nur extensiv nutzt. Solche disponiblen Flächen lassen sich bilanzieren,<br />
indem die durch eine landschaftliche Umgestaltung bewirkten<br />
ökologische .Verluste" und .Gewinne" miteinander verglichen<br />
und gegeneinander verrechnet werden (Flächenbilanz). Das klingt<br />
buchhalterisch, ist jedoch ein Vorgang, der nach strengen ökologischen<br />
Gesichtspunkten vollzogen werden kann (ausführliches<br />
Beispiel siehe SCHEMEL/SCHOBER/ REICHHOLF 1986). Festzuhalten<br />
ist, daß es einerseits dem Naturschutz wenig dient, wenn<br />
die erholungswirksame Landschaft insgesamt unter eine „Käseglocke"<br />
gestellt wird, daß j edoch andererseits auch nicht alle Teile<br />
der Landschaft den verschiedenen Freizeitansprüchen überlassen<br />
werden dürfen in dem irrigen Glauben, alle Eingriffe seien ökologisch<br />
kompensierbar.<br />
Nach diesen eher grundsätzlichen methodischen Bemerkungen<br />
zur objektbezogenen Bewertung landschaftlicher Beanspruchungen<br />
sollen im folgenden stärkere planerische Akzente gesetzt werden.<br />
Weniger die Bewertung einzelner Eingriffe bzw. Objekte, sondern<br />
größerer Landschaftsräume und ihrer Beanspruchung durch<br />
Freizeitnutzung soll nun im Vordergrund der Betrachtung stehen.<br />
5 Unterschiedliche Flächenansprüche und geeignete<br />
Raumkategorien<br />
Bekanntlich müssen die sehr verschiedenen Formen und Intensitäten<br />
der Freizeitnutzung sehr differenziert betrachtet werden, um<br />
zu einem Urteil über ihre Landschaftsverträglichkeit (also über ihre<br />
Vereinbarkeit mit den Zielen von Naturschutz und Landschaftspflege)<br />
kommen zu können. Zu denken ist hier etwa an folgende<br />
Differenzierungen der Freizeitformen:<br />
• infrastrukturorientiert - anlagenungebunden,<br />
• innerhalb des Siedlungsgebietes - in der freien Landschaft,<br />
• auf bestimmte Landschaftssituationen fixiert - in ihrer Standortwahl<br />
relativ ungebunden,<br />
• laut - still,<br />
• massenhaft ausgeübt - vereinzelt ausgeübt.<br />
Solche plakativ als eher „hart" oder eher .sanft" anzusprechenden<br />
Formen von Erholung, touristischer und freizeitsportlicher Nutzung<br />
oder Beanspruchung der Landschaft lassen sich durchaus<br />
ohne erhebli~he Umweltbelastungen verwirklichen, wenn sie sich<br />
an die aus der Sicht von Naturschutz und Landschaftspflege gesetzten<br />
Grenzen halten. Solche Grenzen sinnvoll zu definieren, ist<br />
eine bleibende Aufgabe der <strong>Landespflege</strong> und hierzu seien einige<br />
Anregungen gegeben.<br />
Gerade im Blick auf die fast flächendeckend präsenten Freizeitaktivitäten,<br />
die zur Beunruhigung der Tierwelt und zur Belastung der<br />
Pflanzenwelt in den bisher noch ungestörten Ruhebereichen führen<br />
können, gerade im Blick auf diese sich verschärfende potentielle<br />
Konfliktsituation versagen die Kategorien der Schutzgebiete, die<br />
im BNatSchG verankert sind. Bereits an anderer Stelle wurden <strong>für</strong><br />
Erholungsgebiete die Kategorien ,Jaburaum", „Naturerholungsgebiet"<br />
und „Kulissenraum" vorgeschlagen und näher erläutert<br />
(SCHEMEL 1986 und 1987). Damit lassen sich sowohl „harte" als<br />
auch .sanfte" Erholungsformen im Sinne einer Ausrichtung an der<br />
Schutzwürdigkeit und Belastbarkeit der Landschaftsräume gezielt<br />
steuern. Naturschutz- und Landschaftsschutzgebiete erfüllen ihren<br />
Zweck als Bollwerk gegen Bebauung, Abgrabungen und sonstige<br />
bauliche Eingriffe oder Besuchermassierungen.<br />
5.1 Taburäume<br />
Wenn jedoch Spaziergänger, Wanderer, Jogger, Skilangläufer, Badende,<br />
Radfahrer und ähnliche Erholungsuchende mit ihren sanften<br />
Formen der Freizeitgestaltung in naturnahe Räume, vielleicht<br />
auch in Schutzgebiete eindringen, dann kann, aber muß das nicht<br />
die ökologische Qualität dieser Bereiche erheblich beeinträchtigen.<br />
Ob der Schutzzweck eines Schutzgebietes durch solche<br />
sanften Formen tatsächlich beeinträchtigt wird, hängt vo r allem davon<br />
ab, ob in diesem Gebiet schutzwürdige Tierarten vorkommen,<br />
die in ihren Rückzugsräumen durch Beunruhigung gestört und bedroht<br />
werden. Je nach ihrer Fluchtdistanz und ihren Raumansprüchen<br />
benötigen diese Tiere mehr oder weniger große ungestörte<br />
Ruhezonen.<br />
Ein Beispiel hier<strong>für</strong> sind Birkwild und Auerwild. Diese Tiere reagieren<br />
auf einen frei gehenden Menschen bei einer Entfernung von<br />
200 bis 300 Metern mit Flucht. Das kann <strong>für</strong> sie besonders im Winter<br />
lebensbedrohlich sein, wenn die Energiereserven der Tiere zu<br />
schnell verbraucht werden.<br />
Auch viele Wasservögel sind störanfällig gegen über Wassersportlern<br />
und anderen Erholungsuchenden, die plötzlich auftauchen<br />
oder unberechenbar (abseits von Wegen) daherkommen (vgl.<br />
REICHHOLF/SCHEMEL 1988).<br />
Hier lassen sich Lösungen finden, indem an geeigneten Stellen in<br />
ausreichender Größe Ruhezonen als Taburäume ausgewiesen<br />
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