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NÄHRSTOFFZYKLEN IM ÖKOSYSTEM DER INNSTAUSEEN 1971 - 1973<br />

r<br />

Jagd<br />

3 %.Abschuß Export<br />

Eport ~ 5%<br />

SCHWÄNE ~O %<br />

90 01i<br />

15%<br />

3; % ~ BLÄSSHÜHNER ENTEN~<br />

Y<br />

ENTEN,<br />

10 % ... ETRITUS<br />

20 % .... SCHLAMMFAUNA<br />

WASSERPFC anorg. _/) II ~ org. ___/<br />

NÄHRSTOFFE t NAHRSTOFFE<br />

~ FAULSCHLAMM ~ Wasserführung<br />

Wasserführung ~ - 85 %<br />

Abb. 1: ökologische Kreisprozesse in den Stauseen am unteren Inn vor Einstellung der Bejagung der Wasservögel in den Jahren 1971 bis 1973. Angaben in<br />

Nutzungs- oder Umsatzprozenten. Linker Kreislauf: Nutzung der Primärproduktion der Wasserpflanzen. Rechter Kreislauf: Nutzung der Schlammfauna.<br />

Nach Befunden aus REICHHOLF & REICHHOLF-RIEM (1982).<br />

immer wieder kompensiert werden konnte. Es kam zu keiner Anhäufung<br />

von nur teilweise oder nicht abgebautem Pflanzenmaterial<br />

und folglich auch nicht zur Bildung von Faulschlamm.<br />

Dieser entstand jedoch im anderen Teil des Nutzungssystems,<br />

nämlich bei den die Schlammfauna verwertenden Wasservögeln<br />

(Abb. 1 ). Da die Enten die Schlammfauna nur zu 15 % verwerteten,<br />

reichte ihr Wirkungsgrad nicht aus, um die von der Strömung eingetragenen<br />

organischen Nährstoffe (Detritus) aufzuarbeiten. Nur<br />

20 % konnten dem Bodenschlamm entzogen werden. Der große<br />

Rest akkumulierte und bildete zusammen mit Rückläufen von den<br />

Enten Faulschlamm. Rund 85 % der organischen Nährstoffe landeten<br />

in dieser Faulschlammproduktion, wodurch nicht zuletzt auch<br />

die Wasserqualität beeinträchtigt wurde. Der Export von nur 5 %<br />

reichte bei weitem nicht aus, um den Überschuß an fäulnisfähigem<br />

Material aufzufangen oder gar abzubauen.<br />

Kleine Ursachen, große Wirkungen! Die Klärung dieses massiven<br />

Unterschiedes in der Nahrungsnutzung und der davon abhängigen<br />

Veränderung in der Ökosystemstruktur ergab sich aus der Tatsache,<br />

daß die Nutzung der Wasserpflanzen in der auf österreichischer<br />

Seite gelegenen „Hagenauer Bucht'' stattfand, in der völlige<br />

Jagdruhe herrschte. Die Wasserpflanzen verwertenden Wasservögel<br />

waren bei der Beweidung der mehr als 600 Tonnen „Stehender<br />

Ernte" an Laichkräutern, Wasserpest und Armleuchteralgen<br />

keinen massiven Störungen ausgesetzt, wohl aber die Schlammfauna<br />

verwertenden Wasservögel auf bayerischer Seite. Dort fand<br />

die normale Bejagung von Mitte August bis zum Beginn der winterlichen<br />

Vereisung statt. Sie bedingte zwar nur die so geringfügig erscheinende<br />

Abschußquote von 3 % der Wasservögel, aber einen in<br />

diesem Ausmaß überhaupt nicht erwarteten Vertreibungseffekt.<br />

Während in den nicht bejagten Teilen eine Wasservogeldichte von<br />

durchschnittlich fast 11 000 pro Quadratkilometer herrschte, sank<br />

der Wert bei Bejagung der halben Fläche schon auf etwas über<br />

5 000 Wasservögel, und wenn praktisch die gesamte Fläche bejagt<br />

worden war, verblieb noch ein Restbestand von knapp 2000 Wasservögeln<br />

pro Quadratkilometer. Das war erheblich zu wenig, um<br />

die vorhandene Biomasse der Schlammfauna ausreichend zu nutzen.<br />

Die Folge: Bildung von Faulschlamm.<br />

Im jagdlich befriedeten Teil der „Hagenauer Bucht" war es zu keinen<br />

Vertreibungseffekten gekommen. Dort funktionierte die Nutzung.<br />

Sie erreichte die <strong>für</strong> ein Zirkulieren der Nährstoffe und <strong>für</strong> einen<br />

wirkungsvollen Export nötige Größenordnung. In den bejagten<br />

Gebietsteilen, die insgesamt fast das Zehnfache der „Hagenauer<br />

Bucht" ausmachten und mehr als 3000 Tonnen organischer Biomasse<br />

in <strong>für</strong> Wasservögel nutzbarer Form enthielten, funktionierte<br />

die Nutzung nicht. Ein wesentlicher Prozeß im Ökosystem dieser<br />

Stauseen war nachhaltig beeinflußt worden; so sehr, daß das System<br />

einen anderen Zustand annahm.<br />

Ein eindeutiger Befund also und eine Bestätigung, daß durch eine<br />

bestimmte Form von Freizeit- und Erholungsnutzung ein Ökosystem<br />

sehr massiv verändert werden konnte. Einen zwingenden Beweis<br />

konnte man jedoch so lange nicht daraus ableiten, als der<br />

Großversuch ausstand: die Einstellung der Jagd auch bayerischerseits.<br />

Dieser Schritt erfolgte 1974 durch einen freiwilligen Beschluß der<br />

zuständigen Revierjäger. Später wurde er in der Verordnung zum<br />

Naturschutzgebiet . Unterer Inn" festgeschrieben. Wenn es zutraf,<br />

daß durch die Bejagung Zehntausende von Wasservögeln verjagt<br />

worden waren, und daß diesem Vertreibungseffekt die geringe Nutzungsquote<br />

der Schlammfauna zuzuschreiben war, dann müßten<br />

sich bald nach Einstellung der Bejagung die Verhältnisse drastisch<br />

ändern. Den Befund <strong>für</strong> die Jahre 1974 bis 1978 zeigt Abb. 2. Während<br />

im Zyklus der Wasserpflanzennutzung praktisch unveränderte<br />

Verhältnisse festzustellen waren, stieg die Nutzung der<br />

Schlammfauna rapide an und erreichte mit 85 % dieselbe Größenordnung<br />

wie die 90%ige Nutzung der Wasserpflanzen. Die Nährstoffe,<br />

die in organisch gebundener Form in diese Stauseen hineinkamen,<br />

wurden nun sehr wirkungsvoll genutzt, umgesetzt und remineralisiert,<br />

so daß die Faulschlammbildung unterblieb. Die 3 %<br />

Abschußquote hatten also tatsächlich 85 % Ausfall im Nährstoffzyklus<br />

des organischen Detritus verursacht und damit- wieder einmal<br />

- bestätigt, daß im Naturhaushalt einfache, lineare zusammenhänge<br />

oder Abhängigkeiten eher die Ausnahme denn die Regel<br />

sind. Aus dem geringen Prozentsatz der jagdliche_n Nutzung<br />

durfte man nicht auf einen ähnlich geringen Effekt im Okosystem<br />

schließen. Nichtlineare, oft genug exponentielle Abhängigkeiten<br />

müssen <strong>für</strong> die Beurteilung von Auswirkungen oder Belastungen in<br />

Betracht gezogen werden, auch wenn es bei oberflächlicher Betrachtung<br />

gar nicht danach aussieht.<br />

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