Scan (50 MB) - Deutscher Rat für Landespflege
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Hermann Soell<br />
Regelungen des Naturschutzrechts in bezug auf Freizeit und Erholung<br />
1. Verfassungsrecht<br />
1. Die Erholungsfunktion von Natur und Landschaft zeigt eine Ambivalenz.<br />
a) Das Recht auf Naturgenuß, Freizeitgestaltung und Erholung<br />
in der freien Landschaft ist grundrechtlich garantiert. Zu erwähnen<br />
sind hier:<br />
- Die allgemeine Handlungs- und Entfaltungsfreiheit. Für<br />
die Persönlichkeitsentfaltung, die geistig-seelischen Bedürfnisse<br />
des Menschen, ist das Naturerleben unverzichtbar.<br />
Die Erholungsfunktion von Natur und Landschaft<br />
betrifft auch den Schutzbereich der körperlichen<br />
Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG). Für die Erhaltung der<br />
physisch-psychischen Gesundheit des gestreßten, lärmgeplagten,<br />
bewegungsarmen und schadstoffbelasteten<br />
Menschen ist die Erholung in der freien Natur unverzichtbar1<br />
).<br />
- Schließlich haben wir in Bayern mit Art. 141 Abs. 3 BV<br />
noch ein spezielles Grundrecht auf Genuß der Naturschönheiten<br />
und Erholung in derfreien Natur, was insbesondere<br />
ein Betretungsrecht miteinschließt.<br />
b) Die genannten Verfassungsbestimmungen gewähren aber<br />
nicht nur Individualrechte, sondern legen zugleich als objektive<br />
Wertmaßstäbe staatliche Schutzpflichten fest, d. h. statuieren<br />
Handlungspflichten von Staat und Gemeinde zur Erhaltung<br />
der Erholungsfunktionen von Natur und Landschaft.<br />
So bestimmt beispielsweise Art. 141 Abs. 3 BV, daß Staat und<br />
Gemeinden berechtigt "und verpflichtet sind, die Zugänge<br />
zu Bergen, Seen, Flüssen und sonstigen landschaftlichen<br />
Schönheiten freizuhalten und allenfalls durch Einschränkungen<br />
des Eigentumsrechtes freizumachen sowie Wanderwege<br />
und Erholungsparks anzulegen".<br />
c) Der Staat hat bei der Wahrnehmung seiner Schutzpflicht zur<br />
Erhaltung der Erholungsfunktion von Natur und Landschaft<br />
zunächst einmal Zielkonflikte zwischen Erholungsformen<br />
zu lösen, die miteinander nicht verträglich sind. Da<strong>für</strong> seien<br />
folgende Beispiele genannt:<br />
- Campingplätze und Beschränkung des Betretungsrechtes<br />
von Ufergebieten (Baden einerseits - Segeln und<br />
Surfen auf kleinen Badeseen andererseits)<br />
- Winter- und Sommererholung in den Bergen,<br />
- Reiten und Wandern auf denselben Wald- und Feldwegen,<br />
- Wandern und Radfahren auf denselben Wegen.<br />
Bei der Lösung dieser Zielkonflikte ist einmal die grundrechtsimmanente<br />
Schranke der gemeinverträglichen Erholung,<br />
die auf andere Erholungsnutzungen Rücksicht zu nehmen<br />
hat, von Bedeutung. Damit ist folgendes gemeint:<br />
- Zwar stehen die verschiedenen Arten der Erholung in der<br />
freien Natur grundsätzlich gleichwertig nebeneinander.<br />
- Sofern es jedoch zu Nutzungskonflikten kommt, die anders<br />
nicht zu lösen sind, haben die „sanften" Erholungsarten,<br />
von denen keine Beeinträchtigung anderer ausgeht,<br />
Vorrang 2 ), d. h. „harte", andere Erholungsuchende<br />
oder die Natur belastende Erholungsnutzungen der freien<br />
Natur müssen Beschränkungen hinnehmen, zu denen<br />
der Staat berechtigt und verpflichtet ist.<br />
Darüber hinaus ist der Staat auch verpflichtet, die Erholungsmöglichkeiten<br />
gegen eine Übernutzung zu schützen.<br />
Da der wachsende Erholungsverkehr die Tendenz<br />
hat, seine eigenen Existenzgrundlagen, nämlich Natur<br />
und Landschaft, zu beeinträchtigen und zu zerstören,<br />
muß der Staat auch dagegen Vorsorge treffen. Darauf<br />
werde ich noch einmal zurückkommen.<br />
2. Eine zweite verfassungsrechtliche Direktive ergibt sich aus<br />
dem Staatsziel Umweltschutz. Worum es dabei geht, nämlich<br />
um medialen Umweltschutz, wird in Art. 141 Abs. 1 BV besonders<br />
deutlich 3 ). Für das Bundesverfassungsrecht lassen sich<br />
entsprechende Direktiven aus dem Sozialstaatsprinzip ableiten4).<br />
a) Es besteht eine Spannungslage zwischen dem grundrechtlichen<br />
Erholungs- und Betretensrecht und dem vom Staatsziel<br />
Umweltschutz aufgegebenen Schutz von Biotopen und<br />
Ökosystemen. Aufgabe des Gesetzgebers und des Gesetzesvollzuges<br />
ist es, die beiden Verfassungswerte zu harmonisieren.<br />
b) Lösungsmöglichkeiten ergeben sich auch hier aus dem<br />
Grundsatz, daß nur eine „gemeinverträgliche Erholung", die<br />
auf Natur und Landschaft Rücksicht nimmt, verfassungsrechtlich<br />
gewährleistet ist. Beispielhaft ist hier wiederum Art.<br />
141 Abs. 3 S. 2 BV, wo expressis verbis die Pflicht statuiert ist,<br />
bei der Ausübung des Naturgenusses und des Betretensrechtes<br />
„mit Natur und Landschaft pfleglich umzugehen''.<br />
c) Mit Recht ist deshalb der Bayerische Verfassungsgerichtshof<br />
davon ausgegangen, daß Erfordernisse des Natur- und<br />
Landschaftsschutzes eine Einschränkung des Rechtes auf<br />
Naturgenuß durch die Verhängung von Betretungsverboten<br />
oder Betretungsbeschränkungen rechtfertigen, wenn diese<br />
Anordnungen erforderlich sind, um schädliche Einwirkungen<br />
auf Natur und Landschaft zu verhindern 5 ).<br />
3. Faßt man die verfassungsrechtlichen Überlegungen zusammen,<br />
so ist folgendes festzuhalten:<br />
a) Das verfassungsrechtlich garantierte Recht auf Erholung<br />
und die daraus abgeleitete Schutzpflicht des Staates verbieten<br />
es, die Erholungsfunktion von Natur und Landschaft aus<br />
dem Naturschutzrecht auszuklammern, wie das jüngst vorgeschlagen<br />
worden ist 6 ).<br />
b) Das verfassungsrechtliche Leitbild geht von einer „sanften"<br />
Nutzung von Natur und Landschaft zu Erholungszwecken<br />
aus. Je belastender Freizeit- und Erholungsaktivitäten <strong>für</strong><br />
Natur und Landschaft oder die Erholungsmöglichkeiten anderer<br />
sind, um so mehr sind Staat und Gemeinden befugt<br />
und verpflichtet zu handeln.<br />
1) Vgl. SENING, Bedrohte Erholungslandschaft, 1977, S. 17 ff.; LOCHNER,<br />
Recht auf Erholung, in: Erholung und Artenschutz, Laufener Seminarbeiträge<br />
4/ 83, S. 85 f.<br />
2) Vgl. BayVerfGH, BayVBI. 1980, S. 496 (.Kirchsee").<br />
3) Vgl. dazu SOELL, Der mediale Umweltschutz im geltenden Verfassungsrecht,<br />
Wirtschaft und Verwaltung 1986, S. 205, 208 ff.<br />
4) Vgl. dazu SOELL, WiR 1973, S. 85 ff.<br />
5) Vgl. BayVerfGH, BayVBI. 1978, S. 48.<br />
6) Vgl. etwa H. HOFMANN und J. SALZWEDEL, in: Neue Leitbilder im Naturschutzrecht?,<br />
Beiträge zur Umweltgestaltung A 107, 1988, S. 33 und<br />
54.<br />
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