Scan (50 MB) - Deutscher Rat für Landespflege
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Josef H. Reichholf<br />
Belastung von Ökosystemen durch Freizeit und Erholung<br />
Erholungsdruck als Belastungsquelle -<br />
auch <strong>für</strong> Ökosysteme?<br />
Daß Freizeit und Erholung <strong>für</strong> Pflanzen und T iere in der freien Natur<br />
eine Belastung verursachen können steht außer Frage. Eine Vielzahl<br />
von Befunden liegt hierzu vor, zusammengefaßt z. B. in<br />
EDINGTON & EDINGTON (1986) und in diesem Tagungsband. Da<br />
T iere und Pflanzen zentrale Bestandteile von Ökosystemen sind,<br />
folgt daraus zwangsläufig, daß Freizeit und Erholung auch Ökosysteme<br />
belasten.<br />
Die Fragestellung muß demnach anders zu verstehen sein. Wie,<br />
das hängt eng mit dem verwendeten Ökosystembegriff zusammen.<br />
Ökosysteme sollen hier, entgegen der landläufigen Praxis, die<br />
sich in den letzten Jahren herausgebildet hat, nicht einfach als inhaltsgleich<br />
mit Lebensräumen verstanden werden, sondern als<br />
wissenschaftliche Methodik, Prozesse im Naturhaushalt erfaßbar<br />
und quantifizierbar zu machen.<br />
Belastungen werden dann zu Einflüssen auf Struktur und Funktion<br />
ökosystemarer Prozesse, welche diese verändern. Die Ökosysteme<br />
nehmen veränderte Zustände ein oder die Intensitäten von<br />
Stoff· und Energieflüssen verändern sich.<br />
Die Frage läßt sich somit präzisieren: Können Auswirkungen von<br />
Freizeit und Erholung Einfluß auf ökosystemare Prozesse nehmen?<br />
Auf diese Problemstellung soll sich der Beitrag konzentrie·<br />
ren. Dabei wird zwischen örtlichen und überregionalen Auswirkungen<br />
zu unterscheiden sein.<br />
2 Fallbeispiel Wasservogeljagd<br />
Die Jagd auf Wasservögel dient unter mitteleuropäischen Verhältnissen<br />
weder der Nahrungsbeschaffung noch ist sie zur Regulierung<br />
der Bestände notwendig. Sie läßt sich daher dem weiteren<br />
Rahmen von Freizeit und Erholung zuordnen, was im Angloamerikanischen<br />
auch durch die Bezeichnung .sport hunting" oder .sport<br />
shooting" zum Ausdruck gebracht wird. Der weitaus größte Teil der<br />
erlegten Wasservögel, insbesondere Enten, entstammt auch nicht<br />
den Bruten der betreffenden Reviere, sondern ferngelegenen Brutgebieten,<br />
so daß die Abschußquoten nicht durch Hegemaßnahmen<br />
kompensiert werden (können). Solange die Bestände insgesamt<br />
nicht abnehmen, erscheint die jagdliche Nutzung auf dem<br />
Durchzug und in den Überwinterungsgebieten zulässig und unproblematisch.<br />
Wären die Wasservögel nur vorübergehende Gäste in den Jagdrevieren<br />
und ohne Belang <strong>für</strong> deren Naturhaushalt, würde der Blick<br />
auf die Entwicklung der Populationen der bejagten Arten genügen,<br />
um Beeinträchtigungen rechtzeitig zu verhindern. Dem scheint<br />
aber nicht so zu sein, sonst wären die Klagen über fischfressende<br />
Wasservögel, wie sie aus Fischereikreisen vehement vorgetragen<br />
werden, von vornherein ungerechtfertigt und bedeutungslos. Entsprechendes<br />
gilt <strong>für</strong> die Landwirtschaft, wenn sie Schäden geltend<br />
machen will, die durchziehende oder überwinternde Gänse auf<br />
den Fluren verursacht haben sollen.<br />
Vorkommen und Häufigkeit der Wasservögel können folglich nicht<br />
einfach als irrelevant <strong>für</strong> die Gebiete abgetan werden, die sie aufsuchen<br />
und zeitweilig als Nahrungsraum nutzen. Räumt man diese<br />
Möglichkeit grundsätzlich ein, hat man davon auszugehen, daß<br />
sich die Wasservögel in den Nahrungskreislauf der Gewässer einschalten<br />
und somit .ökosystemar" wirksam werden. Die Schadenskalkulationen<br />
von Landwirtschaft und Fischerei zwingen geradezu<br />
zu dieser Annahme, die als Arbeitshypothese genutzt werden<br />
kann, um eine „Rolle" der Wasservögel im Gewässerhaushalt vorher<br />
zusagen. Diese Prognose läßt sich mit gängigen ökologischen<br />
Methoden überprüfen und, falls sie zutreffen sollte, auch quantifizieren.<br />
Das erste Fallbeispiel soll diesem Teilaspekt gewidmet sein. Die<br />
Befunde hierzu sind an den Stauseen am unteren Inn in langjährigen<br />
Forschungen erarbeitet worden (Übersicht in REICHHOLF &<br />
REICHHOLF-RIEHM 1982). Hier werden nur die Aspekte der Auswirkung<br />
jagdlicher Nutzung auf die ökosystemaren Prozesse herausgegriffen.<br />
Vor Einstellung der Bejagung der Wasservögel im Naturschutzgebiet<br />
und Europareservat „Unterer Inn" wurden etwa 3 % der Enten<br />
Im Rahmen der üblichen, herbstlichen Bejagung abgeschossen;<br />
eine geringfügige Quote, die bei den Zehntausenden anwesender<br />
Wasservögel eine zu vernachlässigende Größe zu sein schien. Ei·<br />
ne Beeinträchtigung der Entenpopulationen sollte bei dieser geringfügigen<br />
Nutzungsquote auszuschließen sein.<br />
Bei der Zusammenstellung der Befunde zum Ausmaß der Nutzung<br />
der in diesen flachen Stauseen am unteren Inn vorhandenen Wasservogelnahrung<br />
ergaben sich aber so auffällige Unterschiede,<br />
daß in ihrem Wirkungsgrad zwei völlig unterschiedliche Teil-Ökosysteme<br />
miteinander verknüpft zu sein schienen (Abb. 1 ). Die Wasserpflanzen<br />
verwertenden Wasservögel (Höckerschwan, Bläßhuhn<br />
und Schnatterente) erreichten 90 % Nutzung der im laufe des<br />
Sommers produzierten Nahrungsmenge, die bis 1,25 kg Frischbiomasse/qm<br />
erreichte, während die Verwerter der Mückenlarven<br />
und der Schlammröhrenwürmer (Chironomiden und Tubificiden)<br />
nur rund 15 % der in den obersten Schichten des Bodenschlammes<br />
vorhandenen Biomasse entnahmen. Diese .Schlammfauna-Biomasse"<br />
wies im Spätsommer / Frühherbst gleichfalls eine „Stehende<br />
Ernte" von bis zu einem Kilogramm pro Quadratmeter auf. Ein<br />
reichhaltiges Artenspektrum von Wasservögeln, das von Krickenten<br />
und Limikolen im Flachwasser bis zu den Tauchenten (Reiherente,<br />
Tafelente und Seheilente) in den Tiefezonen von mehr als einem<br />
Meter reichte, nutzte das Nahrungsangebot in enger Packung<br />
der artspezifischen Tiefen.nischen". Keine Tiefenzone blieb ungenutzt<br />
oder ohne entsprechend angepaßte Art Die nur 15%ige Nutzung<br />
des Angebots fiel daher unerwartet schwach aus, selbst wenn<br />
man berücksichtigt, daß Wasserpflanzen möglicherweise leichter<br />
abgeweidet als Zuckmückenlarven und Schlammröhrenwürmer<br />
aus dem Schlick von den Lamellenschnäbeln herausgesiebt werden<br />
können.<br />
Verfolgt man die Beziehungen (Abb. 1, folgende Seite) weiter, so<br />
wird deutlich, daß die 90%ige Nutzung der Wasserpflanzen zur Folge<br />
hatte, daß nur 10 % des Pflanzenmaterials als organischer Detritus<br />
anfielen und von den Mikroorganismen im laufe von Herbst<br />
und Winter remineralisiert werden mußten. 30 % gingen als teilweise<br />
bis weitgehend verdaute Substanzen zwar in Form der Vogelexkremente<br />
ins Wasser zurück, aber dem stand ein Export von 33 %<br />
gegenüber, welcher mit dem Abzug der Bläßhühner, die etwas<br />
mehr als die Hälfte der pflanzenverwertenden Wasservögel stellten,<br />
und der Schnatterenten mit einem Anteil von 10 % (den Rest<br />
machen die Höckerschwäne aus) das System verließ. Die Wasservögel<br />
entzogen also über die Wasserpflanzen-Nahrungskette dem<br />
System Nährstoffe durch Verbrauch in ihrem Betriebsstoffwechsel,<br />
durch Festlegung in körpereigenen Reserven und durch Umbau<br />
bei der Nahrungsnutzung in „mineralische"Stoffe. Die Folge davon<br />
war, daß der über die Wasserführung des lnns ankommende Zustrom<br />
von Pflanzennährstoffen durch den Export der Wasservögel<br />
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