Fördert Fernsehen Medienkompetenz? - KOBRA - Universität Kassel
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Das Fernsehprogrammangebot zur Medien- und Genrekompetenz<br />
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gramm!“ Er meint dazu: „Die Frau ist komisch.“ und fängt an, Marge zu zeichnen. In der nächsten Folge von<br />
„Itchy & Scratchy“ spielt dann auch prompt ein Eichhörnchen mit, das die gleiche Frisur wie Marge trägt. Ihm wird<br />
von Itchy und Scratchy der Kopf abgeschlagen, kommentiert Marge die Szene mit den Worten: „So viel unnötige<br />
Brutalität“, ohne ihr Zeichentrick-Pendant darin wiedererkannt zu haben.<br />
Marge ist Gast in einer Talkshow, das Thema lautet „Sind Trickfilme zu gewalttätig für Kinder?“ Bei Recherchen<br />
ist der Produzent der Zeichentrickserie darauf gestoßen, dass es Gewalt schon lange vor Zeichentrickprogrammen<br />
gab, z.B. Kreuzzüge – über lange Zeit hinweg und mit vielen Toten. Selbst der Psychiater, der als Experte<br />
zugeschaltet ist, vergnügt sich mit Zeichentrickfilmen und hat wissenschaftlich nichts gegen sie einzuwenden.<br />
Die engagierte Mutter interessiert das nicht und sie nutzt die Gelegenheit einer großen Öffentlichkeit für einen<br />
Aufruf an Eltern, den Produzenten schriftlich ihre Bendenken gewaltdarstellenden Cartoons gegenüber mitzuteilen.<br />
Sehr viele Menschen folgen Marges Aufruf, und dank Marge ist Gewalt nun „moralisch verwerflich“. Die Zeichentrickfiguren<br />
Itchy und Scratchy müssen nun Kuchen miteinander teilen und sich gegenseitig Limonade anbieten,<br />
anstatt sich gegenseitig niederzumetzeln. Lisa kommentiert: „Tja, die Sache hat ja wohl jeden Biss verloren.“<br />
Marge meint, dass die Sendung in ihrem neuen Design jetzt eine sehr menschenfreundliche Botschaft rüberbringen<br />
würde – und Maggie bietet ihrem Vater prompt ein Glas Limo an. Bart und Lisa wollen nicht mehr sehen.<br />
„Vielleicht gibt es auf diesem Planeten was Besseres zu tun.“<br />
Alle Kinder gehen aus den Häuser, reiben sich die Augen, treffen sich auf den Straßen und Wiesen und spielen<br />
miteinander. Im Hintergrund läuft klassische Musik, der Anfang der 6. Symphonie von Beethoven. Die Kinder<br />
fangen Fische, beobachten Vögel, machen ihre Seifenkisten startklar Zu Hause sind sie höflich und räumen nach<br />
dem Essen ihr Geschirr weg. Homer ist fasziniert von den artigen Kindern und begrüßt das „Goldene Zeitalter“.<br />
Das alles würden die Eltern Marge verdanken, sie habe die Welt verbessert.<br />
Zur gleichen Zeit wird in Florenz Michelangelos „David“ verpackt, um u.a. nach Springfield, der Heimat der Simpsons,<br />
gebracht zu werden. Doch die Bürger dort protestieren gegen dieses Kunstwerk: „Nieder mit David!“ Sie<br />
wollen auch Marge zum Protest bewegen: „Marge, du musst unseren Protestzug anführen gegen diesen<br />
Schweinkram.“ Marge entgegnet: „Aber das ist Michelangelos David, das ist ein Meisterwerk.“ „Eine Schweinerei!<br />
Stellt plastisch Teile des menschlichen Körpers dar, die, so praktisch sie auch sein mögen, böse sind.“ Marge:<br />
„Aber ich mag diese Statue.“ „Hab ich doch gesagt: bei einem nackten Mann wird sie schwach.“<br />
„Ist es ein Meisterwerk oder nur ein Kerl, der die Hosen runterlässt?“ ist das Thema der nächsten Talkshow, in<br />
die auch Marge eingeladen wurde. Sie persönlich hat gegen dieses Kunstwerk keinerlei Einwände. Wie aber<br />
kann Marge für eine Form der künstlerischen Freiheit sein wie bei David und gegen eine andere wie bei Itchy<br />
und Scratchy? Marge findet keine Argumente gegen die Anmerkung des Moderators und gibt sich geschlagen.<br />
Die Kinder sitzen wieder vor dem Fernseher und wieder macht Maggie nach, was sie dort sieht. Was die Eltern<br />
nun stört ist nicht mehr der Fernsehkonsum, sondern die Tatsache, dass die Kinder lieber zusehen, wie Katz und<br />
Maus sich die Bäuche aufschlitzen, anstatt ein großes Kunstwerk anzuschauen. Doch zum Glück, und das macht<br />
Marge und Homer wieder froh, „zwingt“ die Springfielder Grundschule die Kinder in den nächsten Tagen, ins<br />
Museum zu gehen. 87<br />
Die Folge der Simpsons „Das <strong>Fernsehen</strong> ist an allem Schuld“ führt in drei Stufen einen Diskurs<br />
über Populär- und Hochkultur. Ausgehend von Cartoons, in denen es um Gewalt anderen gegenüber<br />
geht, im Kinderprogramm gelangt er über die Darstellung von Kindheitskonzepten zu<br />
der Gegenüberstellung von Populärkultur und Hochkultur. Gewaltdarstellungen in den Medien<br />
dienen als Aufhänger für eine Diskussion um Kindheit, Ästhetik und Kultur.<br />
Zunächst steht das Baby Maggie als Beispiel für mimetische Medienrezeption. Sie imitiert unreflektiert,<br />
was sie im <strong>Fernsehen</strong> sieht. Marge geht entschlossen gegen „diese psychotische Gewalt“<br />
vor und nutzt in ihrem Aktivismus wie selbstverständlich Medien (Plakate, Briefe), startet<br />
sogar mit Erfolg einen Aufruf über das <strong>Fernsehen</strong>. Sie erreicht zahlreiche Eltern, die, so scheint<br />
es, das <strong>Fernsehen</strong> ebenso wie diverse Printmedien zur Information und darüber hinaus zur<br />
Kommunikation, zur Verbreitung ihrer Interessen nutzen, zur Beteiligung an öffentlichen Diskursen<br />
– im Gegensatz zu ihren Kindern, die sich bevorzugt Cartoons zur Unterhaltung reinziehen,<br />
87 Eine weitere Folgenbeschreibung auch in: Matt Groening: Die Simpsons – Der ultimative Serienguide. Stuttgart<br />
(Dino entertainment AG), 2001, S. 43. Siehe auch: Gruteser, Klein, Rauscher (Hrsg.): Subversion zur<br />
Prime-Time – Die Simpsons und die Mythen der Gesellschaft. Schüren Verlag (Marburg), 2002, S. 42ff.<br />
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