Fördert Fernsehen Medienkompetenz? - KOBRA - Universität Kassel
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Das Fernsehprogrammangebot zur Medien- und Genrekompetenz<br />
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in denen sich eine Katze und eine Maus die Köpfe einschlagen. Weil die Eltern nicht mit diesem<br />
Programm umgehen können, verbieten sie es ihren Schützlingen. Die Kinder hingegen besitzen<br />
ein hohes Maß an Genrekompetenz und wissen, dass diese Art von Gewaltdarstellungen nicht<br />
zu Gewalttaten auffordert oder führt, sondern der Unterhaltung und darüber, so Lisa, der Ausbildung<br />
eines heiteren menschlichen Charakters dient. Gewalt in Cartoons stumpft nach Lisas<br />
Ansicht eben nicht ab oder macht zu gefühllosen Robotern: „Wenn du uns die Trickfilme verbietest,<br />
wachsen wir ohne Sinn für Humor auf und werden zu Robotern.“<br />
Welche möglichen Konzepte von Kindheit existieren und wie Eltern sich eine Kindheit gerne<br />
wünschen, auch das wird behandelt. Für die Kinder um Bart und Lisa herum gehört es zum<br />
Alltag, sich nach der Schule Cartoons anzuschauen. Sie sind sich einig, dass ein Cartoon-<br />
Verbot nicht in Ordnung ist und entwickeln gemeinsam erfolgreich Strategien, um doch noch zu<br />
ihrer täglichen Folge von Itchy und Scratchy 88 zu kommen. Nachdem „Die Itchy & Scratchy-<br />
Show“ zu einem Programm geworden ist, das nun eine menschenfreundliche Botschaft vermittelt,<br />
es nach Lisas Ansicht jedoch jeglichen Biss verloren hat, erwachen die Kinder aus ihrem<br />
Fernseh-Tran und treten hinaus in die freie Natur. Wie hypnotisiert gehen sie Aktivitäten wie<br />
Schaukeln und Seilspringen nach, die zusammen mit der klassischen Musik im Hintergrund<br />
schon antiquiert scheinen. Filmzitate aus „Huckleberry Finn“ unterstreichen diesen Eindruck.<br />
Der elterliche Wunsch nach einer behüteten, friedvollen und medienfreien Kindheit in der Natur,<br />
Beethovens 6. markiert diesen Wunsch, scheint in Erfüllung gegangen zu sein. Zudem entwickeln<br />
sich die lieben Kleinen zu höflichen und hilfsbereiten Kindern.<br />
Mit Michelangelos David wird der Diskurs auf die nächste Ebene gehoben: Populär-/ Massenkultur,<br />
vertreten vom <strong>Fernsehen</strong>, steht der Hochkultur in Form von Michelangelos David gegenüber.<br />
Niemand kann schlagkräftige Argumente für die schönen Künste der Hochkultur und<br />
gegen ordinäre massenkulturelle Cartoons, die mit Gewaltdarstellungen arbeiten, vorbringen,<br />
womit Cartoons-Sehen wieder gestattet wäre. Das scheint sicherlich nicht die schlechteste Lösung<br />
zu sein. Zumindest nutzen die Eltern ihre Machtposition nicht aus und beharren auf das<br />
Verbot. An dieser Stelle zeichnet sich ab, dass Genrekompetenzen – sowohl das Wissen um<br />
den Umgang mit Gewalt in Cartoons als auch um den mit „David“ – Gegenstand eines Qualitätsdiskurses<br />
sind, der letztlich von ungleichen Gegnern mit ungleichen Waffen geschlagen wird:<br />
Zwei Generationen mit unterschiedlichen ästhetischen Präferenzen und Lebensentwürfen. Die<br />
Kinder haben Fernsehvorlieben und Genrekompetenzen, mit denen sich gewaltdarstellende<br />
Fernsehangebot arrangieren lassen. Diese ästhetischen Präferenzen spiegeln sich in ihren kindlichen<br />
Lebensentwürfen wieder. Hier ist es ein Lebensentwurf, der mit den Angeboten der Massenmedien<br />
erfolgreich, oder für die Kinder zumindest doch zufriedenstellend, organisiert wird.<br />
Bei den Simpsons haben die Eltern das verstanden, wie es scheint. Und zudem schaffen sie es<br />
doch noch, ihren Kindern im Rahmen eines Schulausfluges einen Teil ihres Lebens- und Kulturkonzeptes,<br />
das Kompetenzen im Umgang mit den Angeboten der sog. Hochkultur verlangt,<br />
nahe zu bringen und sie von der Glotze weg in ein Museum zu führen – zum „Sehen“ und nicht<br />
zum „Zusehen“.<br />
88 „Die Itchy & Scratchy-Show“ ist eine Zeichentick-Serie, die in der Serie Die Simpsons als Nachmittagsprogramm<br />
ausgestrahlt wird. Die Darsteller sind eine Maus und eine Katze, die sich ständig auf die nur denkbar<br />
grausamste Art und Weise gegenseitig ermorden. Die Serie wird in Springfield während des Kinderprogramms<br />
ausgestrahlt, das von Krusty dem Clown gestaltet wird. „Die Itchy & Scratchy-Show“ ist innerhalb<br />
der Simpsons also als Kinderprogramm angelegt.<br />
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