Susanne Kosiek - Universität Osnabrück
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Trotz der oben genannten Ergebnisse kann von der Annahme einer Veränderung der<br />
Intelligenz nach Frontalhirnschädigung abgesehen werden, wenn man sich vor Augen<br />
führt, dass die zuletzt genannten Untersuchungen nicht Intelligenz im engeren Sinne, d.h.<br />
nach der Definition gebräuchlicher Intelligenztests, erfassen, sondern eher einzelne<br />
Aspekte des Konzeptes „exekutive Funktionen“ darstellen, deren Anforderungen sich von<br />
denen der Intelligenztests unterscheiden.<br />
Für diese Annahme sprechen empirische Untersuchungen, die berichten, Defizite bei<br />
Frontalhirngeschädigten beziehen sich lediglich auf kognitive Prozesse, die auf höheren<br />
Ebenen der Informationsverarbeitung stattfinden (higher-level cognitive skills), während<br />
kognitive Fähigkeiten, die auf niedrigerem Verarbeitungsniveau ablaufen (lower-level<br />
cognitive skills), weitgehend unbeeinträchtigt bleiben (Grunthal, zit. n. Shallice & Evans,<br />
1978; Goldstein, zit. n. Shallice & Evans, 1978). Shallice und Evans (1978) weisen auf die<br />
unterschiedlichen kognitiven Anforderungen von konventionellen Intelligenztests und<br />
Schätzaufgaben hin:<br />
…„This implies that such tests [conventional intelligence tests] would stress primarily<br />
lower-level cognitive systems. Cognitive estimate questions, by contrast, would stress the<br />
more anterior higher level system.” (S. 301)<br />
Diese Annahme wird von einer Untersuchung der Autoren gestützt, die 79 Patienten mit<br />
unilateralen frontalen Hirnläsionen und einer nicht-frontal geschädigten Kontrollgruppe<br />
Schätzaufgaben vorlegten, ihre Intelligenz mit einem non-verbalen Intelligenztest (Raven)<br />
erfassten und Rechenaufgaben vorgaben (Addition, Subtraktion). Erwartungskonform<br />
zeigt bei den Schätzaufgaben die frontale Gruppe gegenüber der nicht-frontalen Gruppe<br />
Defizite, die sich in einer Unfähigkeit, adäquate Einschätzungen zu produzieren, äußern.<br />
Der Effekt bleibt auch nach Auspartialisieren der Intelligenz und der Arithmetikfähigkeit<br />
stabil. Dieses Ergebnis lässt eine Trennung der Konzepte Intelligenz und kognitive<br />
Einschätzung sinnvoll erscheinen.<br />
Einen weiteren Grund für eine Differenzierung liefert eine deutliche Zahl von Studien, die<br />
belegt, dass in standardisierten Intelligenztests die erzielten Werte frontalhirngeschädigter<br />
Patienten im Normalbereich liegen, bzw. sich nicht signifikant von den Leistungen<br />
gesunder Kontrollen unterscheiden (Shallice & Evans, 1978; Stuss, Benson, Kaplan, Weir,<br />
Naeser, Liebermann & Ferrill, 1983). Beispielsweise finden Shallice und Burgess (1991)<br />
bei einzelnen Patienten mit Läsionen der Frontallappen Defizite in Entwicklung und<br />
Einsatz von Strategien, bei gleichzeitigen WAIS-Intelligenzwerten im oberen Bereich.