„Jogurt brauchen wir auch“, sagte er und nickte nachdrücklich. „Für den Obstsalat. Den werfen sie amTag nach dem Mindesthaltbarkeitsdatum gleich weg, aber der wird ja nicht um Mitternacht sofortgrün. Hey, es ist Jogurt, ich mein, das ist doch sowieso schon vergammelte Milch.“Ich schluckte. Die Pizza schmeckte komisch. Rattengift. Abgelaufener Jogurt. Matschige Erdbeeren.Daran würde ich mich erst mal gewöhnen müssen.Ich biss noch mal ab. Wenn man sie für lau bekam, war Domino‘s Pizza ein bisschen wenigerscheußlich.Liams Schlafsack war warm und einladend nach diesem langen, emotional aufreibenden Tag. Vandürfte Barbara mittlerweile kontaktiert haben. Sie würde das Video und das Foto haben. Ich würde sieam nächsten Morgen anrufen und in Erfahrung bringen, was sie als nächste Aktion für angebrachthielt. Sobald sie veröffentlichte, würde ich noch mal reinkommen müssen, um die Geschichte zuuntermauern.Darüber dachte ich nach, als ich meine Augen schloss; ich dachte daran, wie es wohl sein würde, michselbst zu stellen, vor laufenden Kameras, die dem berüchtigten M1k3y in eines jener großen,säulengeschmückten Gebäude am Civic Center folgten.Der Lärm der über mir vorbeisausenden Autos verwandelte sich in ein Ozeanrauschen, als ichwegdämmerte. In der Nähe standen noch andere Zelte von Obdachlosen. Ein paar von ihnen hatte ichan diesem Nachmittag getroffen, bevor es dunkel wurde und wir uns alle zu unseren eigenen Zeltenzurückzogen. Sie waren alle älter als ich und sahen grob und derb aus. Aber keiner von ihnen sah aus,als sei er verrückt oder gewalttätig. Nur eben wie Leute, die nicht viel Glück gehabt hatten oderschlechte Entscheidungen getroffen oder beides.Ich musste eingeschlafen sein, denn ich erinnere mich an nichts mehr bis zu dem Moment, an dem einblendend helles Licht auf mein Gesicht fiel.„Das ist er“, sagte eine Stimme hinter dem Licht.„Sackt ihn ein“, sagte eine andere Stimme, eine Stimme, die ich früher schon einmal gehört hatte unddann wieder und wieder in meinen Träumen, wie sie mir Vorträge hielt und meine Passwörterverlangte. Frau Strenger Haarschnitt.Blitzschnell war der Sack über meinem Kopf, und sie zogen ihn an der Kehle so fest an, dass ich zuersticken glaubte und meine Freeganer-Pizza erbrach. Während ich zuckte und würgte, fesselten harteHände meine Handgelenke und meine Knöchel. Ich wurde auf eine Trage gerollt und emporgehoben,dann in ein Fahrzeug getragen, ein paar klappernde Metallstufen hinauf. Sie ließen mich auf einengepolsterten Boden fallen. Hinten im Fahrzeug war bei geschlossenen Türen absolut nichts zu hören.Die Polsterung unterdrückte alles außer meinem eigenen Würgen.„Hallo nochmal!“, sagte sie. Ich spürte den Lieferwagen wippen, als sie zu mir hineinstieg. Ich würgteimmer noch und versuchte verzweifelt, Luft zu bekommen. Erbrochenes füllte meinen Mund und rannmir in die Luftröhre.„Wir werden dich nicht sterben lassen“, sagte sie. „Wenn du aufhörst zu atmen, sorgen wir dafür, dassdu wieder anfängst. Mach dir darum also keine Sorgen.“Ich würgte heftiger. Ich schnappte nach Luft. Ein bisschen was kam durch. Heftige, schmerzhafteHustenattacken schüttelten meine Brust und meinen Rücken, und dabei rüttelten sie was von derKotze weg. Mehr Luft.„Siehst du? Gar nicht so schlimm. Willkommen daheim, M1k3y. Wir haben einen ganz besonderenOrt für dich ausgesucht.“Ich versuchte mich auf dem Rücken liegend zu entspannen und spürte den Lieferwagen schaukeln.Der Geruch benutzter Pizza war anfangs übermächtig, aber wie das mit allen starken Stimuli so ist,gewöhnte sich mein Gehirn allmählich daran und filterte ihn aus, bis er nur noch ein schwachesAroma war. Die Schaukelei des Wagens war fast schon beruhigend.186
Und da geschah es. Eine unglaubliche, tiefe Ruhe kam über mich, als läge ich am Strand und derOzean käme angebrandet und hebe mich empor, sanft wie eine Elternhand, hielte mich in derSchwebe und trage mich hinaus in ein warmes Meer unter einer warmen Sonne. Nach allem, wasgeschehen war, hatten sie mich gefangen, aber darauf kam es nun nicht mehr an. Ich hatte Barbara dieInformationen zukommen lassen. Ich hatte das Xnet organisiert. Ich hatte gewonnen.Und wenn ich nicht gewonnen hatte, so hatte ich doch alles getan, was ich konnte. Mehr als ich mirjemals selbst zugetraut hätte. Während wir fuhren, zog ich eine mentale Bilanz, dachte an alles, wasich erreicht hatte, was wir erreicht hatten. Die Stadt, das Land, die Welt war voll mit Menschen, dienicht bereit waren, so zu leben, wie das DHS es von uns erwartete. Wir würden ewig weiterkämpfen.Sie konnten uns nicht alle wegsperren.Ich seufzte und lächelte.Dann wurde mir klar, dass sie die ganze Zeit geredet hatte. Ich war so weit weg an meinemglücklichen Ort gewesen, dass sie einfach verschwunden war.„... kluger Junge wie du. Man würde meinen, du solltest es besser wissen, als dich mit uns anzulegen.Wir hatten dich im Visier seit dem Tag, an dem du rausgekommen bist. Und wir hätten dich auch dannerwischt, wenn du nicht zu deiner lesbischen Verräter-Journalistin gerannt wärst, um dichauszuheulen. Ich versteh das einfach nicht – wir waren uns doch einig, du und ich ...“Wir rüttelten über eine Metallplatte, die Federung des Lasters sprach an, und dann änderte sich dasWippen. Wir waren auf dem Wasser. Unterwegs nach Treasure Island. Hey, Ange war da. Und Darrylauch. Vielleicht.-----Die Kapuze nahmen sie mir erst in meiner Zelle wieder ab. Um die Fesseln an Handgelenken undKnöcheln kümmerten sie sich nicht, sondern ließen mich einfach von der Trage auf den Boden rollen.Es war dunkel, aber im Mondlicht, das durch das einzige winzige Fenster hoch oben hereinschien,konnte ich sehen, dass die Matratze vom Bettgestell entfernt worden war. Der Raum beinhaltete mich,eine Toilette, ein Bettgestell und ein Waschbecken. Sonst nichts.Ich schloss die Augen und ließ mich vom Ozean emporheben. Irgendwo tief unter mir war meinKörper. Ich wusste, was als Nächstes passieren würde. Ich würde hier liegenbleiben, um in die Hosezu pinkeln. Schon wieder. Ich wusste, wie sich das anfühlte, ich hatte schon mal eingepinkelt. Es rochstreng. Es juckte. Es war erniedrigend; als sei man ein Baby.Aber ich hatte es überlebt.Ich lachte. Der Klang war seltsam, und er zog mich in meinen Körper zurück, zurück in dieGegenwart. Ich lachte und lachte. Ich hatte das Schlimmste erlebt, das sie mir antun konnten, und ichhatte es überlebt; und ich hatte sie geschlagen, monatelang, sie als Trottel und Despoten vorgeführt.Ich hatte gewonnen.Ich erleichterte meine Blase. Sie war ohnehin voll und schmerzte, und was du heute kannstbesorgen ...Der Ozean trug mich davon.-----Am nächsten Morgen schnitten zwei effiziente, unpersönliche Wachen meine Fesseln an Hand- undFußgelenken durch. Ich konnte noch nicht wieder laufen – wenn ich mich hinstellte, gaben meineBeine nach wie die einer Marionette ohne Fäden. Zu viel Zeit in einer Stellung. Die Wachen zogenmeine Arme über ihre Schultern und schleppten mich halb ziehend, halb tragend den vertrautenKorridor entlang. Die Strichcodes an den Türen waren mittlerweile von der aggessiven Salzluft welliggeworden und baumelten herab.187
- Seite 2 und 3:
Cory DoctorowLittle BrotherDeutsch
- Seite 4 und 5:
Bona, Heimatort Petaluma) ist ne ga
- Seite 6 und 7:
werden konnten. Man musste bloß hi
- Seite 8 und 9:
Aber es gibt ne Menge Leute, die ir
- Seite 10 und 11:
Kapitel 2Dieses Kapitel ist Amazon.
- Seite 12 und 13:
sind, die auf seinen Befehl warten.
- Seite 14 und 15:
Die physische Komponente des heutig
- Seite 16 und 17:
Kapitel 3Dieses Kapitel ist Borderl
- Seite 18 und 19:
des Telefonnetzes. Solche Sachen h
- Seite 20 und 21:
Das Licht im Raum war so grell, das
- Seite 22 und 23:
Desinfektionslösung, auf der in kl
- Seite 24 und 25:
Wenn du mit den Bullen sprichst, oh
- Seite 26 und 27:
Wärter brüllten uns zu, wir sollt
- Seite 28 und 29:
Die Wahrheit lautet: Ich hatte alle
- Seite 31 und 32:
Dann zurück in die Zelle; aber sie
- Seite 33 und 34:
„Warten Sie!“, schrie ich. „B
- Seite 35 und 36:
Kapitel 5Dieses Kapitel ist Secret
- Seite 37 und 38:
Gegend gabs schon seit Jahren keine
- Seite 39 und 40:
Ich verstand den Wink und ging weit
- Seite 41 und 42:
Ich fand mein Bild und sah, dass es
- Seite 43 und 44:
Ich wälzte mich aus dem Bett. Inzw
- Seite 45 und 46:
Hacker gehen durch solche Sperren g
- Seite 47 und 48:
Meine Kinnlade klappte runter.„De
- Seite 49 und 50:
Deshalb geben sich Rasierklingen-Fi
- Seite 51 und 52:
Und tatsächlich ist ziemlich genau
- Seite 53 und 54:
mit vollem Magen. Außerdem nahm ic
- Seite 55 und 56:
„Also folgen Sie jedem, der mit e
- Seite 57 und 58:
„Mom setzte ihren Teebecher ab.
- Seite 59 und 60:
unnormal warst. Und ich konnte das
- Seite 61 und 62:
Pigspleens Gründerin hatte die Ant
- Seite 63 und 64:
Kapitel 8Dieses Kapitel ist Borders
- Seite 65 und 66:
Sie lag zurückgelehnt in der Sonne
- Seite 67 und 68:
hat. Damit meine ich, er liefert in
- Seite 69 und 70:
man machte die Pseudo-Sicherheitsma
- Seite 71 und 72:
(Klingen kreuzen, um auszufechten,
- Seite 73 und 74:
dass sie mich abgefangen haben, ist
- Seite 75 und 76:
Und die Überwachung in Großbritan
- Seite 77 und 78:
Jetzt konnte ich wirklich nicht meh
- Seite 79 und 80:
Das würde absolut klappen! Jolu, d
- Seite 81 und 82:
Du willst ihnen eine Nachricht schi
- Seite 83 und 84:
„Tja, was machen wir? Mann, ich w
- Seite 85 und 86:
„Was?“, fragte ich, obgleich ic
- Seite 87 und 88:
„Was ich heute Nacht von euch mö
- Seite 89 und 90:
jemanden erkennt, dem man vertrauen
- Seite 91 und 92:
Zuerst fand der Vorschlag keinen Zu
- Seite 93 und 94:
Die planen einen Riesengig und habe
- Seite 95 und 96:
Das gab den Startschuss für die Be
- Seite 97 und 98:
Kapitel 12Dieses Kapitel ist Forbid
- Seite 99 und 100:
Moment hätte ich schwören können
- Seite 101 und 102:
Tabasco. Das ist verdammt höllensc
- Seite 103 und 104:
„Traut keinem über 25!“Sie sch
- Seite 105 und 106:
Und dann fiel der Nebel vom Himmel.
- Seite 107 und 108:
Kapitel 13Dieses Kapitel ist Books-
- Seite 109 und 110:
„Heilige Scheiße!“ Das war wir
- Seite 111 und 112:
meinten wir, holt euch Amerika zur
- Seite 113 und 114:
verliert eure Freiheit und eure Fre
- Seite 115 und 116:
Kapitel 14Dieses Kapitel ist der un
- Seite 117 und 118:
edroht ist. Wir sitzen jetzt im Ret
- Seite 119 und 120:
ennen, brennen, brennen wie sagenha
- Seite 121 und 122:
mit Schraubenziehern auseinananderg
- Seite 123 und 124:
Angelegenheit, als gestern abend Na
- Seite 125 und 126:
Kapitel 15Dieses Kapitel ist Chapte
- Seite 127 und 128:
zurechtzufinden, und gelegentlich d
- Seite 129 und 130:
Gegen elf Uhr hatte ich genug. Auß
- Seite 131 und 132:
Ich hatte Glück. Niemand verhaftet
- Seite 133 und 134:
-----Ange und ich sprachen vier Tag
- Seite 135 und 136: Darryl erzählte mir, dass sie ihm
- Seite 137 und 138: Kapitel 16Dieses Kapitel ist San Fr
- Seite 139 und 140: lebten. Es war neblig um Twin Peaks
- Seite 141 und 142: Mom nickte. „Du wirst gleich vers
- Seite 143 und 144: „Nun, das wirft ein anderes Licht
- Seite 145 und 146: Ursprung des Xnet darstellen. ‚Si
- Seite 147 und 148: Wir stöpselten die Xbox ein und gi
- Seite 149 und 150: Werbemails zu missbrauchen, und des
- Seite 151 und 152: Hier kommt ein Hack, an den du noch
- Seite 153 und 154: eine flache Nase mit breit ausgeste
- Seite 155 und 156: Ich brauch dich, um selbst rauszuko
- Seite 157 und 158: geheimen Gegenspieler hatte, einen
- Seite 159 und 160: gingen nach der Schule direkt zu de
- Seite 161 und 162: Jedenfalls ist das eine gute Theori
- Seite 163 und 164: „Jetzt gehen wir zu dir und kümm
- Seite 165 und 166: Kapitel 19Dieses Kapitel ist dem MI
- Seite 167 und 168: worden zu sein; viel eher klang es,
- Seite 169 und 170: Um mich herum fielen Hunderte Vampi
- Seite 171 und 172: Wir liefen weiter Market Street hoc
- Seite 173 und 174: Ich kam wieder auf die Beine. Alles
- Seite 175 und 176: Ich schluckte. Ich fühlte Knochen
- Seite 177 und 178: Quarter aus meiner Tasche und polie
- Seite 179 und 180: „Hört mal, ich muss jetzt sofort
- Seite 181 und 182: gemeldet, zu meiner Armee. Ich war
- Seite 183 und 184: waren ein Zeuge Jehovas und ein Sci
- Seite 185: Jetzt sah sie mich mit blanker Wut
- Seite 189 und 190: Dieses Mal war es ein Eimer voll Wa
- Seite 191 und 192: Endlich eine Frage, die ich beantwo
- Seite 193 und 194: Alles, woran ich denken konnte, war
- Seite 195 und 196: „Er schläft“, sagte er. „Vor
- Seite 197 und 198: Der Gouverneur breitete die Arme au
- Seite 199 und 200: Risikokapitalgeber saßen, um eine
- Seite 201: Nachwort des ÜbersetzersIm 13. Kap