Wir kramten unsere Taschen durch und fanden genug Geld, um uns einen Tisch bei einem deritalienischen Restaurants erlauben zu können, auf dem Bürgersteig, unter einer Markise. Die hübscheBedienung entzündete einen Gas-Heizpilz mit einem Grillfeuerzeug, nahm unsere Bestellungen aufund ging nach drinnen. Das Gefühl, Aufträge erteilen zu können, mein Schicksal unter meinerKontrolle zu wissen, war das faszinierendste Gefühl, das ich kannte.„Wie lang waren wir da drin?“, fragte ich.„Sechs Tage“, entgegnete Vanessa.„Ich komm auf fünf“, sagte Jolu.„Ich hab nicht gezählt.“„Was haben sie mit dir gemacht?“, wollte Vanessa wissen.Ich mochte eigentlich nicht drüber sprechen, aber sie schauten mich beide erwartungsvoll an. Und alsich dann erst mal angefangen hatte, konnte ich nicht mehr aufhören. Ich erzählte ihnen alles, auch denPart, als ich gezwungen war, in die Hose zu pinkeln, und sie schwiegen die ganze Zeit. Als dieBedienung unsere Limos brachte, machte ich einen Moment Pause, bis sie wieder außer Hörweitewar, dann erzählte ich zu Ende. Beim Erzählen verschwand alles irgendwie in der Ferne. Am Endehätte ich nicht mehr sagen können, ob ich die Fakten noch überhöhte oder ob ich alles wenigerschlimm darstellte, als es tatsächlich war. Meine Erinnerungen schwammen herum wie kleine Fische,die ich zu fangen versuchte, und manchmal entwischten sie meinem Griff.Jolu schüttelte den Kopf. „Mann, die waren hart zu dir“, sagte er. Dann erzählte er uns von seiner Zeitdort. Sie hatten ihn befragt, meist über mich, und er hatte ihnen immer nur die Wahrheit erzählt, diereinen Tatsachen über diesen Tag und über unsere Freundschaft. Sie hatten es ihn wieder und wiedervon vorn erzählen lassen, aber immerhin hatten sie mit ihm keine Psychospielchen gespielt wie mitmir. Er hatte in einem Kasino zu essen bekommen und sogar in einem Fernsehraum die Blockbusterdes letzten Jahres auf Video sehen dürfen.Vanessas Story war nur ein wenig anders: Nachdem sie in Ungnade gefallen war, als sie mit mirgesprochen hatte, hatten sie ihr die Klamotten weggenommen und ihr einen orangefarbenenGefängnis-Overall gegeben. Dann ließ man sie zwei Tage ohne Kontakt in der Zelle allein, allerdingsbekam sie regelmäßig Essen. Aber hauptsächlich wars so wie bei Jolu: dieselben Fragen, noch undnoch wiederholt.„Die haben dich echt gehasst“, sagte Jolu. „Die hatten dich auf dem Kieker. Aber warum?“Ich konnte es mir nicht sofort erklären. Aber dann erinnerte ich mich.„Du kannst kooperieren, oder es wird dir sehr, sehr Leid tun.“„Weil ich ihnen mein Telefon nicht entsperren wollte in der ersten Nacht. Deshalb haben sie michrausgepickt.“ Wirklich glauben konnte ichs nicht, aber es war die einzige Erklärung. ReinerRachedurst. Meine Gedanken verhaspelten sich geradezu in dieser Idee. Die hatten das alles bloßgemacht, um mir ne Lehre zu erteilen, weil ich ihre Autorität nicht anerkannte.Bisher hatte ich Angst gehabt. Jetzt war ich sauer. „Diese Arschgeigen“, sagte ich ruhig. „Die wolltenmir bloß einen reinwürgen, weil ich meinen Mund gehalten habe.“Jolu fluchte, und Vanessa brauste auf Koreanisch auf, was sie nur tat, wenn sie sehr, sehr wütend war.„Ich krieg die“, flüsterte ich in meine Brause, „ich krieg die.“Jolu schüttelte den Kopf. „Vergiss es. Gegen so was kommst du nicht an.“-----Aber in dem Moment wollte keiner von uns groß über Rache reden. Stattdessen sprachen wir drüber,was wir als nächstes tun wollten. Wir mussten heim. Unsere Handy-Akkus waren leer, und in dieser36
Gegend gabs schon seit Jahren keine Münztelefone mehr. Wir mussten einfach nach Hause kommen.Ich dachte sogar an ein Taxi, aber wir hatten nicht mehr genug Geld, um uns das zu erlauben.Also gingen wir zu Fuß. An der Ecke warfen wir ein paar Münzen in den Automaten des SanFrancisco Chronicle und hielten an, um die ersten paar Seiten zu lesen. Die Bombenexplosionenwaren zwar fünf Tage her, aber die Titelseite war immer noch voll davon.Frau Strenger Haarschnitt hatte davon gesprochen, dass sie „die Brücke“ hochgejagt hatten, und ichwar davon ausgegangen, dass sie die Golden Gate Bridge meinte; aber damit lag ich daneben. DieTerroristen hatten die Bay Bridge gesprengt.„Warum zum Teufel würde jemand die Bay Bridge hochjagen?“, fragte ich. „Golden Gate ist doch dieauf allen Postkarten.“ Selbst wenn du noch nie in San Francisco warst, weißt duhöchstwahrscheinlich, wie Golden Gate aussieht: Das ist diese große orangefarbene Hängebrücke, diein einem dramatischen Schwung von der alten Militärbasis „The Presidio“ hinüber nach Sausalitoführt, wo sich all die niedlichen Weinland-Städtchen finden mit ihren Räucherkerzen-Läden undKunstgalerien. Sie ist einfach höllisch malerisch und das Symbol schlechthin für den BundesstaatKalifornien. Im Disneyland-Abenteuerpark Kalifornien gibts gleich am Eingang einen Nachbau vonGolden Gate, über den eine Einschienenbahn führt.Deshalb war ich ganz selbstverständlich davon ausgegangen, dass man sich, wenn man eine Brücke inSan Francisco sprengen würde, die Golden Gate aussuchen würde.„Wahrscheinlich sind sie von all den Kameras und dem Überwachungszeug abgeschreckt worden“,sagte Jolu. „Die Nationalgarde checkt Autos auf beiden Seiten, und dann noch die Selbstmörderzäuneund dieser Kram.“ Seit Golden Gate 1937 freigegeben worden war, sprangen die Leute da runter –nach dem tausendsten Selbstmord anno 1995 haben sie aufgehört mitzuzählen.„Ja“, sagte Vanessa. „Und außerdem führt die Bay Bridge wirklich irgendwo hin.“ Die Bay Bridgeverbindet Downtown San Francisco mit Oakland und Berkeley, Wohnsiedlungen an der East Bay fürviele der Menschen, die in der Stadt arbeiten. Die Gegend ist eine der wenigen in der Bay Area, in derein Normalsterblicher sich ein Haus leisten kann, in dem er die Beine ausstrecken kann, außerdemgibts dort eine Universität und ein bisschen Industrie. Die BART führt zwar auch unter der Bay durchund verbindet die beiden Städte, aber der meiste Verkehr findet auf der Bay Bridge statt. Golden Gatewar ne hübsche Brücke für Touristen und reiche Pensionäre drüben im Weinland, aber hauptsächlichwar sie zu Dekozwecken da. Die Bay Bridge ist – war – das Arbeitstier der Stadt.Ich dachte einen Moment drüber nach. „Ihr habt Recht“, sagte ich. „Aber ich glaube, das ist nochnicht alles. Wir gehen immer davon aus, dass Terroristen Sehenswürdigkeiten angreifen, weil sie siehassen. Aber Terroristen hassen keine Sehenswürdigkeiten oder Brücken oder Flugzeuge. Die wollenbloß Chaos verbreiten und Leuten Angst machen. Terror erzeugen eben. Also haben sie sich natürlichdie Bay Bridge ausgesucht, weil auf der Golden Gate die ganzen Kameras installiert sind und weil siebeim Fliegen die ganzen Metalldetektoren und Röntgengeräte eingeführt haben und so.“Ich dachte noch eine Weile drüber nach und schaute dabei den Autos auf der Straße zu, den Leutenauf den Bürgersteigen, der ganzen Stadt um mich rum. „Terroristen hassen weder Flugzeuge nochBrücken. Sie lieben Terror.“ Das war jetzt so offensichtlich, dass ich nicht verstand, wieso ich da nichtschon früher drauf gekommen war. Schätze mal, ein paar Tage lang wie ein Terrorist behandelt zuwerden hatte mein Denken entrümpelt.Die anderen beiden starrten mich an. „Hab ich Recht oder nicht? Der ganze Dreck, dieses Röntgenund die Identitätsprüfungen, das ist alles komplett sinnlos, oder?“Sie nickten zaghaft.„Schlimmer als sinnlos“, fuhr ich mit überschlagender Stimme fort. „Weil es uns in den Knastgebracht hat und Darryl …“ Ich hatte nicht mehr an Darryl gedacht, seit wir hier saßen, und jetztkams alles zu mir zurück: Mein Freund war fort, verschwunden. Ich brach ab und presste die Kieferaufeinander.37
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Moment hätte ich schwören können
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Tabasco. Das ist verdammt höllensc
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„Traut keinem über 25!“Sie sch
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„Heilige Scheiße!“ Das war wir
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verliert eure Freiheit und eure Fre
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edroht ist. Wir sitzen jetzt im Ret
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ennen, brennen, brennen wie sagenha
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mit Schraubenziehern auseinananderg
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Angelegenheit, als gestern abend Na
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Kapitel 15Dieses Kapitel ist Chapte
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zurechtzufinden, und gelegentlich d
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Gegen elf Uhr hatte ich genug. Auß
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Ich hatte Glück. Niemand verhaftet
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-----Ange und ich sprachen vier Tag
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Darryl erzählte mir, dass sie ihm
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Kapitel 16Dieses Kapitel ist San Fr
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lebten. Es war neblig um Twin Peaks
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Mom nickte. „Du wirst gleich vers
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„Nun, das wirft ein anderes Licht
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eine flache Nase mit breit ausgeste
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Ich brauch dich, um selbst rauszuko
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geheimen Gegenspieler hatte, einen
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gingen nach der Schule direkt zu de
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Kapitel 19Dieses Kapitel ist dem MI
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worden zu sein; viel eher klang es,
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Um mich herum fielen Hunderte Vampi
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Wir liefen weiter Market Street hoc
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Ich kam wieder auf die Beine. Alles
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Quarter aus meiner Tasche und polie
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gemeldet, zu meiner Armee. Ich war
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„Er schläft“, sagte er. „Vor
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Der Gouverneur breitete die Arme au
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Risikokapitalgeber saßen, um eine
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Nachwort des ÜbersetzersIm 13. Kap