„Wir müssen es unseren Eltern erzählen“, sagte Jolu.„Wir brauchen einen Anwalt“, sagte Vanessa.Ich dachte daran, wie ich meine Geschichte erzählen würde. Daran, der Welt zu erzählen, was aus mirgeworden war. An die Videos, die zweifellos auftauchen würden, auf denen ich weinte, nicht mehrwar als ein kriechendes Tier.„Wir können ihnen gar nichts erzählen“, sagte ich ohne nachzudenken.„Wie bitte?“, entgegnete Van.„Wir können ihnen gar nichts erzählen“, wiederholte ich. „Ihr habt sie gehört. Wenn wir reden,kommen sie und holen uns wieder. Dann machen sie mit uns, was sie mit Darryl gemacht haben.“„Mach keine Witze“, sagte Jolu. „Du erwartest ernsthaft, dass wir …“„Dass wir zurückschlagen“, ergänzte ich. „Ich will frei bleiben, damit ich genau das tun kann. Wennwir jetzt losgehen und alles erzählen, dann sagen sie, das sind bloß Kinder, die haben sich dasausgedacht. Mann, wir wissen ja noch nicht mal, wo sie uns hingebracht haben. Kein Mensch wirduns glauben. Und irgendwann kommen sie dann und holen uns.Ich werde meinen Eltern erzählen, dass ich in einem dieser Notlager auf der anderen Seite der Baywar. Dass ich da drüben war, um euch zu treffen, und dass wir dann festsaßen. In der Zeitung steht, esgibt immer noch Leute, die jetzt erst von da zurückkommen.“„Das kann ich nicht machen“, sagte Vanessa. „Und wie kannst du nur daran denken nach all dem, wassie mit dir gemacht haben?“„Weil es mir passiert ist, eben drum. Das ist jetzt ne Sache zwischen denen und mir. Ich erwisch die,und ich hol Darryl raus. Ich denk nicht dran, das einfach so hinzunehmen. Aber sobald unsere Elternwas wissen, wars das für uns. Niemand wird uns glauben, und niemanden interessierts. Wenn wirs somachen, wie ich es mir denke, wird es die Leute interessieren.“„Wie denkst dus dir denn?“, fragte Jolu. „Was ist dein Plan?“„Weiß ich noch nicht“, musste ich zugeben. „Lasst mir Zeit bis morgen früh, wenigstens bis dann.“Ich wusste: Wenn sie einen Tag lang dicht halten würden, dann würden sie für immer dicht halten.Unsere Eltern wären ja nur noch skeptischer, wenn wir uns plötzlich dran „erinnerten“, in einemGeheimgefängnis festgehalten worden zu sein statt in einem Flüchtlingslager.Van und Jolu schauten einander an.„Ich will doch nur eine Chance“, sagte ich. „Wir machen die Geschichte unterwegs noch rund. Gebtmir bloß diesen einen Tag bitte.“Die anderen beiden nickten düster, und wir machten uns auf den Weg bergab, auf den Weg nachHause. Ich lebte auf Potrero Hill, Vanessa in der nördlichen Mission, und Jolu lebte in Noe Valley –drei total unterschiedliche Viertel, nur ein paar Gehminuten voneinander entfernt.Wir bogen in die Market Street ein und blieben stehen wie angewurzelt. Die Straße war an allenEcken verbarrikadiert, die Querstraßen auf eine Spur verengt, und über die gesamte Länge vonMarket Street parkten große, unscheinbare Neunachser wie der, mit dem sie uns, mit Kapuzen überden Augen, von den Schiffsdocks nach Chinatown transportiert hatten.Alle hatten sie hinten dreistufige Metallleitern befestigt, und es wimmelte nur so von Soldaten,Anzugträgern und Polizisten, die in die Trucks rein- und wieder rausgingen. Die Anzüge hatten kleineEtiketten an den Revers, die die Soldaten beim Rein- und Rauskommen scannten – drahtloseZugangsberechtigungs-Buttons. Als wir an einem vorbeikamen, erhaschte ich einen näheren Blickund sah das vertraute Logo: Ministerium für Heimatschutz. Der Soldat sah, wie ich hinstarrte, undstarrte mit wütendem Blick zurück.38
Ich verstand den Wink und ging weiter. Höhe Van Ness trennte ich mich von der Gang. Wir umarmteneinander, weinten und versprachen, uns anzurufen.Für den Weg zurück nach Potrero Hill gibt es eine leichte und eine schwere Route; die zweite führtüber einige der steilsten Hügel der Stadt, die Sorte, die man bei Autoverfolgungsjagden inActionfilmen sieht, wo die Autos abheben, wenn sie über den höchsten Punkt rasen. Ich nehm immerdie schwere Route nach Hause. Die führt durch herrschaftliche Straßen mit alten viktorianischenHäusern, die wegen ihrer fröhlichen, sorgfältigen Bemalung „lackierte Ladies“ genannt werden, undVorgärten mit duftenden Blumen und hohen Gräsern. Von Hecken runter glotzen dich Hauskatzen an,und es gibt kaum Obdachlose dort.Es war so still auf diesen Straßen, dass ich bald wünschte, ich hätte diesmal die andere Routegenommen, durch die Mission; die ist ..., hm, lärmend ist wahrscheinlich das beste Wort dafür. Lautund pulsierend. Jede Menge krawallige Betrunkene, zornige Kokser und bewusstlose Junkies, dazujede Menge Familien mit Kinderwagen, alte Damen, die auf Verandas schnatterten, tiefergelegteKreuzer mit fettem Soundsystem, die mit wumm-wumm-wumm die Straßen entlangfuhren. Es gabhippes Jungvolk, zottelige Emo-Kunststudenten und sogar einige Old-School-Punkrocker, alte Säckemit Bierbäuchen unter ihren Dead-Kennedys-T-Shirts. Dazu Drag Queens, auf Krawall gebürsteteGang-Kids, Graffitikünstler und verwirrte Neureiche, die versuchten, hier nicht ermordet zu werden,während ihre Grundstücksinvestitionen reiften.Ich ging Goat Hill rauf und kam an Goat Hill Pizza vorbei; das erinnerte mich an den Knast, aus demich kam, und ich musste mich auf die Bank vor dem Restaurant setzen, bis mein Zittern sich gelegthatte. Dann bemerkte ich den Truck oben auf dem Hügel, einen unauffälligen Neunachser mit dreiMetallstufen am hinteren Ende. Ich stand auf und setzte mich in Bewegung. Ich fühlte, wie die Augenmich aus allen Richtungen beobachtetenDen Rest des Weges hatte ichs eilig. Ich hatte keine Augen mehr für die lackierten Ladies, die Gärtenoder die Hauskatzen. Ich blickte nur zu Boden.Beide Autos meiner Eltern standen in der Auffahrt, obwohl es noch mitten am Tag war. Ja logisch.Dad arbeitet in der East Bay, deshalb saß er daheim fest, solange sie an der Brücke arbeiteten. Mom –keine Ahnung, warum Mom daheim war.Sie waren wegen mir daheim.Noch bevor ich den Schlüssel fertig umgedreht hatte, wurde mir die Tür aus der Hand gerissen undweit aufgeschwungen. Da standen meine Eltern, grau und übernächtigt, und starrten mich aus großenAugen an. So standen wir für einen Moment, wie in einem Stillleben eingefroren, dann stürzten sieauf mich zu, zogen mich ins Haus und warfen mich beinahe dabei um. Sie redeten beide so laut undschnell durcheinander, dass ich bloß ein wortlos rauschendes Brabbeln hörte, und sie umarmten michbeide, und sie weinten, und ich weinte auch, und so standen wir da in dem schmalen Flur und weintenund brabbelten Zeug, bis uns die Luft ausging und wir in die Küche gingen.Dort tat ich, was ich immer tat, wenn ich heimkam: Ich füllte ein Glas mit Wasser aus dem Filter imKühlschrank und holte ein paar Kekse aus der „Biskuitbüchse“, die Moms Schwester uns aus Englandgeschickt hatte. Die Normalität von all dem bremste das Hämmern meines Herzens, essynchronisierte mein Herz mit meinem Gehirn; und kurz darauf saßen wir alle am Küchentisch.„Wo warst du?“, fragten sie beinahe gleichzeitig.Darüber hatte ich auf dem Weg nach Hause nachgedacht. „Hab festgesessen“, erwiderte ich. „InOakland. Ich war da mit ein paar Freunden für ein Projekt, und wir wurden alle in Quarantänegesteckt.“„Fünf Tage lang?“„Ja“, sagte ich. „Ja. Das war richtig ätzend.“ Ich hatte über die Quarantäne im Chronicle gelesen undbediente mich jetzt hemmungslos aus den Zitaten, die sie da abgedruckt hatten. „Ja. Alle, die von der39
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Das gab den Startschuss für die Be
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Moment hätte ich schwören können
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Tabasco. Das ist verdammt höllensc
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„Traut keinem über 25!“Sie sch
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Und dann fiel der Nebel vom Himmel.
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verliert eure Freiheit und eure Fre
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edroht ist. Wir sitzen jetzt im Ret
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ennen, brennen, brennen wie sagenha
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mit Schraubenziehern auseinananderg
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Angelegenheit, als gestern abend Na
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Kapitel 15Dieses Kapitel ist Chapte
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zurechtzufinden, und gelegentlich d
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Gegen elf Uhr hatte ich genug. Auß
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Ich hatte Glück. Niemand verhaftet
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-----Ange und ich sprachen vier Tag
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Darryl erzählte mir, dass sie ihm
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lebten. Es war neblig um Twin Peaks
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Mom nickte. „Du wirst gleich vers
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Ich brauch dich, um selbst rauszuko
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geheimen Gegenspieler hatte, einen
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Kapitel 19Dieses Kapitel ist dem MI
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Um mich herum fielen Hunderte Vampi
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Wir liefen weiter Market Street hoc
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Ich kam wieder auf die Beine. Alles
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Ich schluckte. Ich fühlte Knochen
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Quarter aus meiner Tasche und polie
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„Hört mal, ich muss jetzt sofort
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gemeldet, zu meiner Armee. Ich war
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„Er schläft“, sagte er. „Vor
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Risikokapitalgeber saßen, um eine
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Nachwort des ÜbersetzersIm 13. Kap