Wärter brüllten uns zu, wir sollten leise sein, und das machte jeden von uns bloß noch lauter. Baldwaren wir alle am Heulen, brüllten uns die Seele aus dem Leib, brüllten, bis die Kehle schmerzte.Warum auch nicht? Was hatten wir noch zu verlieren?Als sie mich das nächste Mal zum Verhör holten, war ich verdreckt und müde, durstig und hungrig.Frau Strenger Haarschnitt gehörte auch zur neuen Fragerunde, dazu kamen drei große Typen, diemich rumschubsten wie ein Stück Fleisch. Einer war schwarz, die anderen beiden weiß, einer vonihnen könnte aber auch ein Hispanic gewesen sein. Alle trugen sie Waffen. Ich kam mir vor wie ineiner Mischung aus Benetton-Werbung und einer Runde Counter-Strike.Sie hatten mich aus der Zelle geholt und meine Handgelenke und Knöchel zusammengekettet.Während wir gingen, achtete ich auf meine Umgebung. Ich hörte Wasser draußen und dachte, dass wirvielleicht auf Alcatraz waren – immerhin war das ein Gefängnis, wenn es auch schon seit Jahrzehntenals Touristenmagnet diente: hierher kam man, um zu sehen, wo Al Capone und seine Gangster-Zeitgenossen ihre Zeit abgesessen hatten. Aber nach Alcatraz war ich mal auf einem Schulausfluggekommen. Das war alt und rostig, irgendwie mittelalterlich. Dies hier fühlte sich mehr nach ZweitemWeltkrieg an, nicht nach der Kolonialzeit.An den Zellentüren gabs Aufkleber mit aufgedruckten Barcodes, auch Nummern, aber sonst keinenHinweis darauf, wer oder was sich jeweils hinter der Tür befinden mochte.Der Befragungsraum war modern, mit Neonröhren, ergonomischen Stühlen (aber nicht für mich, ichkriegte einen Garten-Faltstuhl aus Plastik) und einen großen Konferenztisch aus Holz. Ein Spiegelbedeckte eine Wand, wie in den Polizei-Sendungen, und ich schätzte, der eine oder andere würdewohl von der anderen Seite zuschauen. Frau Strenger Haarschnitt und ihre Freunde versorgten sichmit Kaffee aus einer Kanne auf nem Beistelltisch (in dem Moment hätte ich ihr die Kehle mit denZähnen aufschlitzen können, nur um an ihren Kaffee zu kommen), und dann stellte sie einePlastiktasse mit Wasser vor mich – ohne meine Hände hinterm Rücken loszubinden, so dass ich nichtdrankam. Sehr komisch.„Hallo, Marcus“, sagte Frau Strenger Haarschnitt. „Wie stehts heute um deine Einstellung?“ Ich sagtekein Wort.„Weißt du, das hier ist nicht das Schlimmste“, fuhr sie fort. „Besser wirds ab jetzt nie mehr für dich.Selbst wenn du uns jetzt noch sagen solltest, was wir wissen wollen, und selbst wenn uns das davonüberzeugt, dass du bloß zur falschen Zeit am falschen Ort warst – jetzt haben wir dich auf dem Radar.Wohin du auch gehst, was immer du tust, wir werden dir dabei zuschauen. Du hast dich benommen,als habest du was zu verbergen. Und so was mögen wir gar nicht.“So kitschig es klingt: Alles, woran mein Gehirn denken konnte, war dieser Satz „wenn uns dasüberzeugt, dass du bloß zur falschen Zeit am falschen Ort warst“. Das war das Schlimmste, was mirjemals passiert war. Niemals zuvor hatte ich mich so erbärmlich und ängstlich gefühlt. Diese Wörter,„zur falschen Zeit am falschen Ort“, diese sechs Wörter, sie waren wie ein Rettungsring vor mir,während ich strampelte, um den Kopf über Wasser zu halten.„Hallo, Marcus?“ Sie schnipste mit den Fingern vor meiner Nase. „Hierher, Marcus.“ Ein kleinesLächeln zeigte sich auf ihrem Gesicht, und ich hasste mich dafür, ihr meine Angst gezeigt zu haben.„Marcus, es kann noch viel schlimmer werden als jetzt. Dies ist längst nicht der übelste Ort, an denwir dich bringen können, ganz gewiss nicht.“ Sie griff unter den Tisch und holte eine Aktentaschehervor, die sie aufklappte. Heraus zog sie mein Handy, den RFID-Killer/Kloner, meinen WLAN-Finder und meine Speichersticks. Eins nach dem anderen legte sie auf den Tisch.„Hör zu, was wir von dir erwarten. Heute entsperrst du dein Telefon für uns. Damit verdienst du dirFrischluft- und Badeprivilegien. Du wirst duschen dürfen und im Innenhof ein paar Schritte gehen.Morgen bringen wir dich wieder her, und dann werden wir dich bitten, die Daten auf diesenSpeicherstiften zu dechiffrieren. Wenn du das machst, verdienst du dir ein Essen in der Messe. Nocheinen Tag später werden wir dich nach deinen E-Mail-Passworten fragen, und das wird dirBibliotheksprivilegien einbringen.“26
Mir lag das Wort Nein auf der Zunge wie ein Rülpser im Entstehen, aber es kam nicht. Statt dessenkam ein „Warum?“„Wir müssen sicherstellen, dass du der bist, der du zu sein scheinst. Hier geht es um deine Sicherheit,Marcus. Mag sein, du bist unschuldig. Vielleicht bist du wirklich unschuldig, obwohl mir nicht klarist, welcher unschuldige Mensch so tut, als ob er so viel zu verbergen hätte. Aber mal angenommen,du bist unschuldig: Du hättest auf dieser Brücke sein können, als sie in die Luft flog. Deine Elternhätten dort sein können. Deine Freunde. Willst du nicht auch, dass wir die Leute fangen, die deineHeimat angegriffen haben?“Merkwürdig: Als sie über die „Privilegien“ sprach, die ich mir verdienen könnte, machte mich das soängstlich, dass ich hätte nachgeben mögen. Ich fühlte mich grade so, als ob ich irgendwas dazubeigetragen hätte, hier zu landen, als ob ich teilweise selbst dran schuld wäre, als ob ich irgend etwasdaran ändern könnte.Aber als sie mit diesem „Sicherheits“-Scheiß anfing, da kam mein Rückgrat zurück. „Hören Sie“,sagte ich, „Sie sprechen darüber, wie meine Heimat angegriffen wird, aber wie ich es sehe, sind Siedie einzigen, die mich in letzter Zeit angegriffen haben. Ich dachte, ich lebe in einem Land mit einerVerfassung. Ich dachte, ich lebe in einem Land, in dem ich Rechte habe. Aber sie reden davon, meineFreiheit zu verteidigen, indem Sie die Bill of Rights zerreißen.“Ein Hauch von Verstimmung erschien auf ihrem Gesicht und verschwand wieder. „Wiemelodramatisch, Marcus. Niemand hat dich angegriffen. Die Regierung deines Landes hat dich inGewahrsam genommen, während wir den schlimmsten Terroranschlag aufzuklären versuchen, der jeauf unserem Staatsgebiet verübt wurde. Es liegt in deiner Macht, uns bei diesem Krieg gegen dieFeinde unserer Nation zu unterstützen. Du willst die Bill of Rights erhalten? Dann hilf uns, böseMenschen daran zu hindern, deine Stadt in die Luft zu sprengen. So, und jetzt hast du genau dreißigSekunden Zeit, dieses Telefon zu entsperren, bevor ich dich in deine Zelle zurückbringen lasse. Wirhaben heute schließlich noch eine Menge andere Leute zu befragen.“Sie blickte auf ihre Uhr. Ich schüttelte meine Handgelenke, schüttelte die Ketten, die mich daranhinderten, herumzugreifen und das Handy zu entsperren. Ja, ich würde es tun. Sie hatte mir den Wegzurück in die Freiheit gezeigt – zurück zur Welt, zu meinen Eltern –, und ich hatte Hoffnunggeschöpft. Nun hatte sie gedroht, mich fortzuschicken, ab von diesem Weg, und meine Hoffnung warverflogen und alles, woran ich denken konnte, war, wieder auf diesen Weg zurückzugelangen.Also schüttelte ich meine Handgelenke, um an mein Handy zu gelangen und es für sie zu entsperren,und sie saß bloß da, schaute mich kalt an und guckte auf die Uhr.„Das Passwort“, sagte ich, als ich endlich begriff, was sie von mir wollte. Sie wollte, dass ich es lautsage, hier, wo sie es aufzeichnen konnte, wo ihre Kumpels es hören konnten. Sie wollte nicht bloß,dass ich das Handy entsperrte. Sie erwartete von mir, dass ich mich ihr unterwerfe. Dass ich michihrer Verantwortung unterstellte. Dass ich alle Geheimnisse preisgab, meine gesamte Privatsphäre.„Das Passwort“, sagte ich noch mal, und dann nannte ich ihr das Passwort. Gott steh mir bei, ich hattemich ihrem Willen unterworfen.Sie lächelte ein sprödes Lächeln – für diese Eiskönigin war das wohl schon wie ne Engtanzfete –, unddie Wachen führten mich weg. Als die Tür zuging, sah ich noch, wie sie sich über mein Handy beugteund das Kennwort eingab.Ich wünschte, ich könnte behaupten, auf diese Möglichkeit gefasst gewesen zu sein und ihr einPseudo-Kennwort geliefert zu haben, mit dem sie eine völlig unverfängliche Partition meines Handysfreigeschaltet hätte; aber so paranoid oder clever war ich damals längst nicht.An diesem Punkt könntet ihr euch fragen, was für finstere Geheimnisse ich wohl auf meinem Handy,auf den Speichersticks und in meinen E-Mails zu verbergen hatte – immerhin bin ich bloß einJugendlicher.27
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Ich hatte Glück. Niemand verhaftet
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Kapitel 19Dieses Kapitel ist dem MI
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Um mich herum fielen Hunderte Vampi
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Wir liefen weiter Market Street hoc
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Ich kam wieder auf die Beine. Alles
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Ich schluckte. Ich fühlte Knochen
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„Hört mal, ich muss jetzt sofort
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gemeldet, zu meiner Armee. Ich war
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„Er schläft“, sagte er. „Vor
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Risikokapitalgeber saßen, um eine
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