Sonntag, 9. November 2003, 16.00 Uhr ... - ChorPfalz online
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Was heißt eigentlich<br />
»Mein lieber Herr<br />
Gesangverein!«?<br />
So jedenfalls fragte »Rheinpfalz«-Redakteur Michael Konrad am<br />
30. Mai unter der Überschrift »Singende Sünder und sinnlose<br />
Schnörkel - Ein Ausruf des Erstaunens setzt die gesamte deutsche<br />
Sprachwissenschaft schachmatt« in seiner Reihe »Saach blooß«,<br />
die sich in losen Folgen mit Redensarten aus der Pfalz beschäftigt.<br />
«Mein liewer Herr Gesangverein!« - Nie<br />
seit den Anfängen von »Saach blooß« hat<br />
sich ein Spruch - noch dazu einer, der im<br />
gesamten deutschen Sprachraum verbreitet<br />
ist - so hartnäckig gegen die<br />
Preisgabe seines Ursprungs gewehrt wie<br />
der von den singenden Männern aus dem<br />
örtlichen Laienchor. Als »salopper Ausdruck<br />
der Bewunderung und des Erstaunens«<br />
findet er sich im Duden, doch wie<br />
er entstanden ist, davon verraten die<br />
Sprach-Gurus nichts.<br />
«Die Karin un die Elke vun de Haßlocher<br />
Sparkass« haben sich folgendes<br />
Szenario ausgemalt: »Früher gab es ausschließlich<br />
Männergesangvereine. Wenn<br />
der Chor ganz besonders falsch sang und<br />
zu kippen drohte, unterbrach der Dirigent<br />
mit den Worten: Mein liewer Herr Gesangverein!<br />
und hatte somit alle (Sangessünder)<br />
in einem Atemzug genannt. « Kurt<br />
Scherff aus Obrigheim-Mühlheim schlägt<br />
als Erklärung vor, dass ein Mensch den<br />
Spruch zuerst kreiert haben könnte, der<br />
dem (natürlich hoch angesehenen) Dirigenten<br />
des Gesangvereins einen Brief<br />
schreiben wollte. Da der Absender aber<br />
die ordnungsgemäße Anrede, den Titel,<br />
nicht kannte, griff er zu der originellen<br />
Wort-Kombination. Jedoch: Historisch belegen<br />
lassen sich beide Theorien nicht.<br />
Ebenso wenig wie es Anhaltspunkte für<br />
eine weibliche - wenn auch nicht feministische<br />
- Version des Spruchs gibt, die<br />
etwa «Mei liewie Fra Damegymnaschtikgrupp!«<br />
heißen könnte.<br />
Selbst die Sänger sind ratlos. Gerd<br />
Nöther, Pressereferent des Pfälzer Sängerbunds,<br />
hat »keine Ahnung, wo der<br />
Spruch herkommt«. Doch immerhin konnte<br />
er »Saach blooß« an die Bundesgeschäftsstelle<br />
des Deutschen Sängerbundes<br />
in Köln verweisen, wo stolze 1,8 Millionen<br />
Mitglieder und 20.000 Chöre repräsentiert<br />
werden. Dort erinnert sich Heidi<br />
Marmulla, dass es »vor ein paar Jahren«<br />
ziemlich großen Ärger mit dem ZDF gegeben<br />
hat. Die Mainzer hatten unter dem<br />
Titel »Mein lieber Herr Gesangverein!« einen<br />
Beitrag gesendet, in dem der Eindruck<br />
erweckt worden sei, >in den Vereinen<br />
werde mehr gesoffen als gesungen«<br />
- natürlich sehr zum Ärger der Sänger.<br />
Wo allerdings der von dem TV-Sender so<br />
kritisch in Szene gesetzte Ausruf seine<br />
Wurzeln hat, weiß auch in Köln niemand.<br />
Doch führt uns ein freundlicher Recherche-Tipp<br />
weiter ins fränkische Örtchen<br />
Feuchtwangen, wo Günter Ziesemer der<br />
Archivar im «Dokumentations- und Forschungszentrum<br />
des deutschen Chorwesens«<br />
ist.<br />
Der Experte hat zwar keine Sofort-Lösung<br />
für das prickelnde Prosa-Problem<br />
parat, ist sich aber sicher: «Älter als aus<br />
dem frühen 1<strong>9.</strong> Jahrhundert kann der<br />
Ausspruch nicht sein.« Denn erst zu dieser<br />
Zeit seien die ersten Gesangvereine<br />
Der verflixte Druckfehlerteufel ...<br />
. .. hat die Vorsitzende der Chorjugend,<br />
I nge Vonnieda, in unserer vorletzten Ausgabe<br />
(PFÄLZER SÄNGER 3/<strong>2003</strong>, S. 67)<br />
erheblich älter gemacht. Frau Vonnieda<br />
ist am 6. August 1964 geboren und nicht<br />
1 947, wie dies zu lesen war. Typische<br />
Computer-Fehlleistung: Die neue Chorjugend-Vorsitzende<br />
hat ja den Platz ihres<br />
Vorgängers Luitpold Zwing eingenommen,<br />
dessen Daten (mit Geburtsjahr-<br />
gang 1947) in einer Maske vorgegeben<br />
waren. Als nun der aktuelle Datensatz<br />
von Frau Vonnieda «hineinkopiert« wurde,<br />
hat das Programm aus unerklärlichen<br />
Gründen das Geburtsjahr nicht überschrieben.<br />
Und so hat der PFÄLZER SÄN-<br />
GER aus einer jetzt 39-jährigen jungen<br />
Dame eine gereiftere Frau im Alter von 56<br />
Jahren gemacht. Sorry, Inge - aber das<br />
wäre wohl nicht die beabsichtigte Ver-<br />
entstanden - und zwar in Nord- und Süddeutschland<br />
auf höchst unterschiedliche<br />
Weise. Die «Liederkränze« im Süden gehen<br />
demnach auf den Schweizer Hans<br />
Georg Nägeli zurück, «und der hatte die<br />
Volksbildung (also die breite Masse) im<br />
Sinn«. Die 1809 in Berlin gegründete<br />
»Liedertafel« des norddeutschen Chor-<br />
Urvaters Carl Friedrich Zelter dagegen<br />
sei äußerst elitär gewesen, sagt Ziesemer.<br />
Per Ballotage, in einer Abstimmung<br />
mit weißen und schwarzen Kugeln also,<br />
sei damals über die Aufnahme jedes neuen<br />
Mitgliedes entschieden worden. -<br />
Könnten da Spötter diese elitäre neue<br />
Gruppierung »richtiger, nämlich singender<br />
Männer« auf die Schippe genommen<br />
haben, indem sie sich den abfällig gemeinten<br />
Spruch »Mein lieber Herr Gesangverein!«<br />
ausdachten? Eine Idee<br />
immerhin, die sich mit Ziesemers Vermutung<br />
deckt, der Ausruf sei nicht aus den<br />
Chören heraus, sondern »von außen geprägt<br />
worden«.<br />
»Saach blooß« hat noch weiter geforscht<br />
(besser: forschen lassen): Winfried<br />
Breitbach von der Gesellschaft für<br />
Deutsche Sprache in Wiesbaden hat alle<br />
einschlägigen Werke gewälzt und nur in<br />
zweien etwas über den »lieben Herrn Gesangverein«<br />
gefunden. Schriftliche Belege<br />
für den Ausspruch gibt es demnach<br />
erst ab 1932. Und zum Ursprung des<br />
Spruchs hat die Sprachwissenschaft tatsächlich<br />
nur das zu bieten: In Heinz Küppers<br />
»Illustriertem Lexikon der deutschen<br />
Umgangssprache« von 1983 heißt es:<br />
»Zu der Anrede mein lieber Herr! bildet<br />
Gesangverein wohl nur einen sinnlosen<br />
Schnörkel. « Das nun verschlägt sogar<br />
»Saach blooß« die Sprache. (...)<br />
j üngung des Chorjugend-Vorstandes geworden.<br />
Und weil wir gerade bei Schreibfehlern<br />
sind: Der Liedersammler, dem Gernot<br />
Seiler in seinem Artikel zum 200. Geburtstag<br />
huldigte ( PFÄLZER SÄNGER<br />
3/<strong>2003</strong>, S. 84), hieß Zuccalmaglio - mit<br />
»L« wie «Ludwig« nach »Zucca« und vor<br />
»maglio«. Ein Dankeschön dem aufmerksamen<br />
Leser Rudi Ehmer. Wir werden<br />
beim 300. Geburtstag von Wilhelm von<br />
Zuccalmaglio auf die Schreibweise genauer<br />
achten. -genö-<br />
PFÄLZER SÄNGER 5/<strong>2003</strong> 147