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Diaspora und Migranten gemeinschaften aus der Türkei in der ...

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malikitischen Schule) zusammen. Bei <strong>der</strong><br />

Suche nach Antworten auf neue Fragen<br />

messen diese <strong>der</strong> Scharia <strong>und</strong> <strong>der</strong> Tradition<br />

des Propheten e<strong>in</strong> jeweils unterschiedliches<br />

Gewicht bei. Die Türken gehören zur<br />

Schule <strong>der</strong> Hanafiten, die Kurden zu jener<br />

<strong>der</strong> Schafiiten. E<strong>in</strong>e weitere Trennl<strong>in</strong>ie verläuft<br />

zwischen den Sufi­Bru<strong>der</strong>schaften<br />

(«Tarikat», z.B. die Nakschibendi, Kadiri,<br />

Halveti, Rifai, Mevlevi, Bektaschi) <strong>und</strong> den<br />

religiösen Geme<strong>in</strong>schaften («Cemaat»,<br />

z.B. die Nurdschu, Süleymanci, Fetullahçi).<br />

Der Sufismus, die islamische Mystik, sucht<br />

unter Berücksichtigung <strong>der</strong> verborgenen,<br />

esoterischen Dimension <strong>der</strong> Religion des<br />

Propheten e<strong>in</strong>e vertiefte Lesart des Korans<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> islamischen Tradition. Typisch für<br />

den Sufismus ist auch die Pflicht, sich <strong>in</strong><br />

Beschaulichkeit zu üben (regelmässiges<br />

Beten, ekstatischer Tanz, Rückzug <strong>in</strong> die<br />

E<strong>in</strong>samkeit) mit dem Ziel, das menschliche<br />

Wesen zu re<strong>in</strong>igen <strong>und</strong> zu vervollkommnen,<br />

um es damit dem Schöpfer näher<br />

zu br<strong>in</strong>gen (Zarcone, 2004). Die seit dem<br />

12. Jahrh<strong>und</strong>ert bestehenden Sufi­Bru<strong>der</strong>schaften<br />

wurden 1925 verboten. Doch mit<br />

dem Übergang zum Mehrparteiensystem<br />

(1950) konnten jene, die die Verfolgungen<br />

<strong>der</strong> 1930er-Jahre überlebt hatten, wie<strong>der</strong><br />

<strong>aus</strong> dem Untergr<strong>und</strong> hervortreten. Ab den<br />

1940er-Jahren wurden die mit den Bru<strong>der</strong>schaften<br />

verwandten religiösen Geme<strong>in</strong>schaften<br />

gegründet. Über klientelistische<br />

Beziehungen haben beide Gruppierungen<br />

e<strong>in</strong>en erheblichen E<strong>in</strong>fluss auf Politik <strong>und</strong><br />

Wirtschaft.<br />

Die Nichtmuslime stellen e<strong>in</strong>e weitere religiöse<br />

Gruppe dar. Sie s<strong>in</strong>d nicht sehr zahlreich<br />

<strong>und</strong> leben vor allem <strong>in</strong> Istanbul. Auch<br />

sie lassen sich nach unterschiedlichen Kriterien<br />

gruppieren. E<strong>in</strong>e erste Unterteilung<br />

ist religiöser Natur: die Christen auf <strong>der</strong><br />

e<strong>in</strong>en Seite (Armenier, Assyrer-Suryoye <strong>und</strong><br />

Griechisch-Orthodoxe) <strong>und</strong> die Juden auf<br />

<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en. E<strong>in</strong>e weitere Unterscheidung<br />

lässt sich aufgr<strong>und</strong> des Rechtsstatus dieser<br />

M<strong>in</strong><strong>der</strong>heiten treffen. So wie die <strong>Türkei</strong> den<br />

Begriff «nichtmuslimische M<strong>in</strong><strong>der</strong>heiten»<br />

des Vertrags von L<strong>aus</strong>anne <strong>aus</strong>legt, gilt<br />

<strong>der</strong> Status <strong>der</strong> «geschützten M<strong>in</strong><strong>der</strong>heit»<br />

lediglich für die Armenier, Griechen <strong>und</strong><br />

Juden (die bereits im Osmanischen Reich<br />

den «Millet»-Status 2 <strong>in</strong>nehatten). Dieser<br />

Status wird z.B. den Assyrern-Suryoye nicht<br />

zuerkannt.<br />

Die dritte Kategorie <strong>der</strong> weiteren «M<strong>in</strong><strong>der</strong>heiten»<br />

wird somit durch die Assyrer-<br />

Suryoye, die Aleviten <strong>und</strong> die Yeziden gebildet.<br />

Die Benennung «Assyrer» wurde<br />

Ende des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts von den westlichen<br />

Missionaren e<strong>in</strong>geführt, um die Christen<br />

des Ostens zu bezeichnen. Heute wird<br />

sie <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Türkei</strong> für die aramäischsprachigen<br />

Christen verwendet, die verschiedenen<br />

Kirchen wie <strong>der</strong> chaldäisch-katholischen,<br />

<strong>der</strong> syrisch-orthodoxen, <strong>der</strong> syrisch-katholischen,<br />

<strong>der</strong> assyrisch-evangelischen (Protestanten)<br />

o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>er weiteren Kirche angehören.<br />

Aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> Massaker ab 1915 <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> politischen Repression s<strong>in</strong>d diese fast<br />

ganz <strong>aus</strong> ihrer Heimatregion im Südosten<br />

2 Das Millet-System wurde nach <strong>der</strong> Eroberung von Istanbul<br />

e<strong>in</strong>geführt. Es wurde im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert <strong>in</strong>stitutionalisiert<br />

<strong>und</strong> existierte bis zu Beg<strong>in</strong>n des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts. Das System<br />

basierte auf nicht muslimischen Glaubens<strong>geme<strong>in</strong>schaften</strong><br />

o<strong>der</strong> M<strong>in</strong><strong>der</strong>heiten (Armenier, Griechen <strong>und</strong> Juden), die<br />

weitgehend autonom waren <strong>und</strong> vom Sultan geschützt wurden,<br />

jedoch von <strong>der</strong> Macht<strong>aus</strong>übung <strong>aus</strong>genommen waren.<br />

Jede Millet (religiöse Geme<strong>in</strong>schaft) hatte e<strong>in</strong>en Anführer<br />

(religiöser Vertreter <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>schaft), eigene Gerichte <strong>in</strong><br />

Bezug auf den persönlichen Status, eigene Gesetze <strong>und</strong><br />

e<strong>in</strong>e eigene Besteuerung.<br />

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